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Merkel-Deutschland gilt als Zuchtmeister für den Rest der Gemeinschaft.

Foto: Reuters / Kay Nietfeld

Angela Merkel ist wieder da. Voll da in Europa. Seit die deutsche Kanzlerin am Montag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Vorschlag für einen gesamteuropäischen "Wiederaufbauplan" zur Corona-Krise präsentierte, steht sie im Zentrum einer aufgeregten Debatte quer durch die EU.

Tenor: Man ist erstaunt, wie rasch die Deutsche sich dazu bereit zeigt, dass sich die EU auch verschulden kann, um ihre gemeinschaftlichen Wirtschaftsprogramme zu finanzieren, abgesichert von Garantien der Staaten. Das galt bisher als tabu, zumindest nach offizieller deutscher Lesart.

Politische Weitsicht und Mut

Es ist noch keine zwei Wochen her, da sorgte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in Sachen Euro- und Geldpolitik der Europäischen Zentralbank für gewaltigen Ärger. Es stellte die Anleihenkäufe der EZB samt dem zustimmenden EuGH-Urteil dazu infrage. Deutschland werde trotz Währungsunion, von der es unter allen Staaten am meisten profitiert, wohl nie bereit sein zu einer echten gemeinsamen Fiskal- und Wirtschaftspolitik, lautete das Signal.

Umso mehr zollt man Merkel bei den wichtigsten EU-Partnern nun Respekt für ihre politische Weitsicht und den Mut, den sie zeigte. Der Wirtschaft in Europa droht insgesamt ein gewaltiger Absturz, im Süden mehr als im Norden. Das hat erst begonnen, der Abschwung macht aufgrund des eng verflochtenen Binnenmarkts aber nicht vor nationalen Grenzen halt.

Mit den herkömmlichen EU-Mitteln und Regeln wird man diese Krise nicht überwinden. Anders als 2008 ist Berlin daher nun früh bereit, sich umgehend an die Spitze einer Bewegung zu setzen, um die Gemeinschaft zu stabilisieren, mit Riesensummen. Es gibt zwar erste, taktisch begründete Kritik seitens der "sparsamen vier", der kleinen Nettozahler Österreich, Schweden, Dänemark und Niederlande. Sie wollen vor allem ihre eigenen Beiträge im EU-Budget runterdrücken. Das werden sie sich "abkaufen" lassen, indem sie am Ende einem Kompromiss in Sachen EU-Schuldenaufnahme zustimmen werden, wie immer das technisch gelöst wird.

Pokern und Taktieren

Aber an der prinzipiellen Notwendigkeit des Wiederaufbauprogramms zweifeln sie ebenso wenig wie die Osteuropäer, die sich im Hintergrund bereits darum bemühen, ihre bisherigen Zuwendungen aus dem regulären EU-Budget zu erhalten.

Viel wichtiger als dieses Pokern und Taktieren ist nun jedoch der Umgang mit der alten "deutschen Frage" in der EU seit der Wiedervereinigung: mit der Urangst in Frankreich, in Italien, in kleinen Staaten, ob die übermächtige Exportnation den Rest der EU "erdrücken" könnte. Schon mit dem Brexit gewann das an Gewicht.

Die Corona-Krise verschärft das Problem. Deutschland steht so gut da, dass es allein 50 Prozent aller nationalen Corona-Hilfen aufbringt – nur für die deutsche Wirtschaft. Schrille Töne aus Rom, aus Madrid, auch aus Paris zuletzt waren also kein Zufall, nicht bloß Übertreibungen mit bösen historischen Anspielungen.

Merkel-Deutschland gilt seit den Eurohilfen an Griechenland als Zuchtmeister für den Rest der Gemeinschaft. In der noch viel schlimmeren Corona-Krise scheint die Kanzlerin daher plötzlich ganz leichtfüßig bereit, für das gemeinsame Europa in die Bresche zu springen. Dabei erinnert sie an Helmut Kohl: Er sprang 1998 über den nationalen Schatten, um das gemeinsame Euro-Europa zu schaffen. Zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil. (Thomas Mayer, 21.5.2020)