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In Zeiten von Corona sehen die Demonstranten von Fridays for Future wie Krieger aus. Sie sind es aber nicht, die einen Krieg gegen die Zukunft führen.

Foto: Picturedesk.com / dpa / Kay Nietfeld
Das Land ist in schlimmem Zustand
Der Elende hat keine Kraft, sich zu schützen
Es ist vergeblich, einen
Unwissenden zu überzeugen
Gegenrede schafft Feindschaft
Man nimmt die Wahrheit nicht an
Weit und schwer ist das Leiden
Siehe, Herr und Diener sind in
derselben Lage
Chacheperreseneb, Ägypten,
um 1800 vor Christus

"Dies ist ein Krieg", sagte ein Freund, ein Wissenschafter, der sich mit Flussökologie und der Erhaltung natürlicher Lebensräume und Biosysteme beschäftigt, auf der Terrasse des Café Korb in Wien. "Wir erobern und okkupieren ein Territorium und beuten es aus und zerstören, was da ist, und niemand hält uns auf, denn die, die es verteidigen müssten, sind noch nicht geboren. Wir führen einen Krieg gegen die Zukunft."

Mein Freund ist ein Mann der Zahlen und Beweise, und sie geben ihm recht. Die Menschheit baut mehr Rohstoffe ab denn je, verbraucht jedes Jahr mehr Erdöl, produziert Jahr für Jahr mehr CO2, so viel, dass die vorausgesagten Veränderungen natürlicher Systeme längst Realität geworden sind. Es wird heißer, Naturkatastrophen häufen sich, das Polareis schmilzt rapide ab, die Meeresspiegel steigen an. All dies ist innerhalb kürzester Zeit geschehen, größtenteils in meiner eigenen Lebenszeit, wenn es auch etwa zehn Jahre davor begann, an Fahrt zu gewinnen. Aber auch der Vergleich mit 1970 sagt schon genug.

1970 wurden weltweit 35 Millionen Tonnen Plastik produziert, 2015 waren es 381 Millionen, mehr als zehnmal so viel. Allein 2016 wurden weltweit 480 Milliarden PET-Flaschen verkauft, das sind 20.000 pro Sekunde. Dieser Müll wird um den ganzen Globus geschickt, um entsorgt oder recycelt zu werden.

Bei meiner Geburt lag der globale Ausstoß an CO2 pro Jahr bei 15 Milliarden Tonnen, inzwischen sind es 35 Milliarden, Tendenz steigend. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges lagen die globalen CO2-Emissionen noch unter fünf Milliarden Tonnen, trotz Kriegsproduktion. Seit 1970 hat sich der weltweite Erdölbedarf fast verdoppelt und steigt jährlich weiter an, und das, obwohl gleichzeitig wesentlich mehr alternative Energien genutzt werden. Dreieinhalb Milliarden Menschen teilten sich vor fünfzig Jahren die Ressourcen dieses Planeten, inzwischen sind es fast acht Milliarden.

Produktionsziffern explodierten

Die sprunghaft in die Höhe schnellende Erdölförderung war buchstäblich die Quelle dieses rasanten Wachstums, das sich dann auf andere Ressourcen ausweitete: auf Beton, Metalle, landwirtschaftliche Produkte wie Palmöl oder Soja, die oft auf gerodeten Regenwaldgebieten angebaut werden – Produktionsziffern explodierten plötzlich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, und das nicht nur, weil die Weltbevölkerung wuchs, sondern weil ein kleiner Teil von ihr einen immer größeren Durst nach Öl und anderen Ressourcen entwickelte.

Technologie und Märkte erlaubten den Menschen einen Lebensstandard wie niemals zuvor, hinterließen aber auch nie dagewesene Schäden und Zerstörungen. Das weitere Vordringen der Zivilisation, die verheerenden Rodungen, Monokulturen, Pestizide, Bodenversiegelungen und die Verschmutzung der Ozeane haben zur Folge, dass in Europa sechzig Prozent aller Wirbeltiere und Insekten verschwunden und Tausende von Arten vom Aussterben bedroht sind. Ein globaler Kollaps der Biodiversität droht, der Organismen und Netzwerke zerreißt oder beschädigt, die zum Teil noch gar nicht entdeckt worden sind.

Das letzte Mal, als so viel Kohlendioxid in der Atmosphäre war wie heute, war vor etwa drei Millionen Jahren, als die Arktis eisfrei war und der Meeresspiegel zwischen zehn und zwanzig Metern höher, mit Sommern, die acht Grad wärmer waren und in denen es dreimal so viel Regen gab wie heute.

Alles ein bisschen sauberer

Ein weiteres Ansteigen der Meerestemperaturen würde auch zum Zusammenbruch der Planktonvorkommen führen, die bereits jetzt um vierzig Prozent reduziert sind. Durch die Photosynthese produziert Plankton einen wichtigen Anteil des Sauerstoffs in der Atmosphäre, bindet dabei CO2 und steht gleichzeitig am Anfang einer mächtigen Nahrungskette. Währenddessen vernichten illegale Brandrodungen pro Jahr eine Fläche Regenwald, die so groß ist wie Österreich und die Schweiz zusammengenommen, dreißig Fußballfelder pro Minute.

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Make Love, not CO2: zwei Kehrseiten
ein und desselben Protestes der
Klimaaktivisten von Fridays for Future. Vergangene Woche haben sie wieder demonstriert.
Foto: Picturedesk.com / dpa / Patrick Seeger

Inzwischen hat sich zumindest bei einem Teil der Bevölkerung der westlichen Länder die Idee herumgesprochen, dass eine solche Entwicklung problematisch ist. Man muss etwas tun, von offizieller Seite, etwas, was sich kommunizieren lässt, was gut aussieht und niemandem wehtut. So wird alles ein bisschen smarter, ein bisschen sauberer, ein bisschen nachhaltiger gemacht, große Gesten, internationale Konferenzen und unverbindliche Ziele, ein voll durchgeplantes PR-Ereignis. Vielleicht schaffen es die reichen Industrienationen auf diese Weise tatsächlich, ihren CO2-Fußabdruck bis 2050 gegen null gehen zu lassen. Dann aber werden Länder wie etwa Österreich, Frankreich, die Niederlande oder Deutschland bereits teilweise versteppt sein oder unter Wasser liegen. London wird dann das Klima haben, das heute in Barcelona herrscht.

So sieht eine Omega-Phase aus.

Das Problem ist nicht, dass all dies intellektuell schwer zu erfassen wäre. Unendliches Wachstum ist mit endlichen Ressourcen schwer zu verwirklichen. Es ist viel eher, dass es denen, die die Möglichkeit hätten, daran etwas zu ändern, materiell so gut geht wie noch nie, während sie gleichzeitig unsicherer und gestresster geworden sind als die Generation ihrer Eltern.

Wie es scheint, ist es kein Zuckerschlecken, zu den Siegern im Krieg gegen die Zukunft zu gehören, vielen Menschen geht es nicht gut dabei. Innerhalb der wohlhabenden Nationen werden Jahr für Jahr mehr Patienten mit Depressionen, Aufmerksamkeitsschwäche und Angststörungen diagnostiziert und mit Psychopharmaka behandelt, die Zahl der Allergien und Intoleranzen steigt alarmierend an, Fettleibigkeit ist zur Armutskrankheit geworden, Essstörungen und Selbstverletzungen gehören zum Alltag zahlloser Jugendlicher, Suchtmittel von Opioiden bis zu Kokain sind längst in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft angekommen. Wer teilnehmen will an den materiellen Segnungen der Konsumgesellschaft, muss sich dauernd updaten, weiterbilden, neu erfinden, optimieren, muss flexibel sein und immer erreichbar, die dauernde Veränderung von Umwelt und Lebensumständen mühelos assimilieren.

Unendliches Wachstum

Vor der ökonomischen Globalisierung waren Gesellschaften mit weniger Wohlstand und weniger individueller Freiheit relativ erfolgreich darin, die meisten ihrer Mitglieder in starke und intuitiv verständliche Identitäten und Hierarchien einzubetten – national, religiös oder in Form von Klasse oder ethnischer Herkunft. Diese Identitäten waren restriktiv und schlossen andere aus, sie waren aber relativ stabil.

In einer Marktsphäre der kreativen Disruption und der alles durchdringenden Kommodifizierung treiben Identitäten auf der Oberfläche des Zeitgeschehens. Offiziell gefeierte Werte – Pluralität, Demokratie und Menschenrechte – sind intuitiv weniger packend als ältere Kategorisierungen wie Rasse und Religion und erlauben es nicht, jemanden zu identifizieren, der tiefer steht. Wer jemand ist oder für wen sich jemand hält, wird immer stärker dadurch bestimmt, welche Konsumentscheidungen er oder sie trifft. Bei so viel Unsicherheit ist der bloße Gedanke an radikale Veränderung im Interesse der Allgemeinheit oder gar der Zukunft schon fast eine Beleidigung. Die treibenden Kräfte der Welt sind nun einmal Innovation und Produktivität, die Natur darf keine Rolle spielen, der Wirtschaft nicht die Initiative rauben, sie ist ein passives Materiallager. Fraglos ändert sich das Klima. Es ist nun einmal dynamisch wie auch die Wirtschaft. Aber das ist alles im natürlichen Rahmen. Irgendwo muss sich der gestresste Selbstoptimierer sorglos erholen können.

Zu einer bewährten Strategie zählt es, die Konsequenzen einer akzelerierenden und menschengemachten Klimakatastrophe überhaupt zu leugnen. Das tun nicht nur die Verharmloser der Katastrophe, die Wissenschaftsverweigerer und Verschwörungstheoretiker, sondern auch die Tech-Optimisten und die ewigen Propheten des Fortschritts, die mit Statistiken wedeln und demonstrieren, dass es noch nie eine so niedrige Kindersterblichkeit, eine so hohe Lebenserwartung, so wenige Kriege und so wenig Gewalt, so wenig Hunger und extreme Armut gegeben hat wie heute. Das trifft auch zu. Statistisch gesehen ist dies die beste aller gewesenen Welten. Aber hilft es, wenn man am eigenen Ast sägt und dabei bemerkt, dass der Ast bequemer ist denn je und eine bessere Aussicht bietet, wo schon so viele andere Äste gekappt worden sind? Hilft es, wenn all diese Entwicklungen einen Ressourcenverbrauch und eine Degradierung der Biosphäre voraussetzen, die schon jetzt zig Millionen von Menschen ihre Gesundheit, ihre Lebensweise, ihre Heimat und auch ihr Leben kosten und die weiter eskalieren werden?

Endliche Ressourcen

Die optimistische Replik darauf lautet, dass Technologie, alternative Energiequellen und künstliche Intelligenz die existenziellen Probleme in den Griff kriegen werden. Tatsächlich sind die Aussichten eher apokalyptisch. Technologien, die es erlauben, die Krise ohne materielle Einschränkung zu bewältigen, gibt es noch nicht, und für eine dramatische Rettung in letzter Sekunde ist Hollywood ein besserer Ort als unser einziger Planet. Die Eiskappen der Pole schwinden rapide, der Permafrost taut auf und setzt Methan frei, Naturkatastrophen wie Waldbrände, Überschwemmungen und Dürren verheeren ganze Landstriche, und die Welt verliert die Fläche von dreißig Fußballfeldern Regenwald pro Minute. Heute schon wandert der sogenannte Getreidegürtel, die Zone, deren Landwirtschaft den Großteil der Menschheit ernährt, Jahr für Jahr zwanzig Kilometer weg vom Äquator. Unter diesen Umständen wäre es nicht optimistisch, sondern nachgerade wahnsinnig zu warten, bis die technologische Lösung aller Probleme gefunden wird.

Mit den heute messbaren Veränderungen in der Natur werden sich immense natürliche Zusammenhänge verschieben. Das Wetter wird sich verändern, das Klima, die Tier- und Pflanzenarten. Tropische Insekten und Viren werden jetzt schon in den gemäßigten Zonen nachgewiesen, schon jetzt trocknen Wälder aus, verbreiten sich neue Schädlinge, verschieben sich ganze Ökosysteme.

Kollabierende Natur

Die materiellen Veränderungen würden einen immensen Effekt auf Politik und Wirtschaft haben. Millionenfache Flucht vor den primären und sekundären Folgen der Klimakatastrophe, gewaltsame Konflikte um landwirtschaftlich nutzbares Land, um Wasser, um erträgliche Lebensbedingungen, eine radikale Verschiebung von Machtverhältnissen, Bevölkerungen, Handelsrouten, Rohstoffmonopolen, strategischen Allianzen, religiösen Bewegungen wären die Folge, und alles inmitten einer kollabierenden Natur.

Der Strudel dieser Transformation hat die Macht, alles, was in globalen Zusammenhängen als fortschrittlich und gesichert und zivilisiert betrachtet wird, mit sich zu reißen, zu zermalmen und die Trümmer wieder auszuspucken, gleichsam als Weltbühne eines postapokalyptischen Stücks ohne Publikum. Welche Geschichte dann über die Zeit vor dem Zusammenbruch erzählt wird, hängt davon ab, welche Geschichten sich Gesellschaften heute erzählen, aus welchen Geschichten heraus sie sich selbst und die Welt um sich herum verstehen und moralisch aufladen, welche Haltungen und Handlungen sie motivieren. (Philipp Blom, 23.5.2020)

Philipp Blom, "Das große Welttheater. Von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs". 126 Seiten / 18 Euro. Zsolnay-Verlag, 2020
Cover: Zsolnay-Verlag