"Was heißt denn ‚Ich habe Geburtstag‘ auf Kölsch?" Obwohl diese Worte rund 18 Jahre her sind, habe ich sie so klar im Ohr, als wäre es erst gestern gewesen. Die Frage der Volksschullehrerin richtete sich an meinen damaligen und heutigen besten Freund, der über den Kölner Dialekt seines Großvaters erzählte. Er war einigermaßen perplex, nuschelte ein paar J statt der G, machte aus "habe" ein "han" und endete "Tag" nicht mit g, sondern mit ch. Fertig war der kölsche Satz: "Ich han Jebuchtstach."

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"Die konservativen Formen der Dialekte sterben natürlich aus", sagt Franz Patocka, Professor für Sprachwissenschaften an der Universität Wien. "Das bedeutet aber nicht, dass sämtliche dialektalen Merkmale verschwinden."
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Schon damals war klar: Wir würden nie jenen Dialekt sprechen, den unsere Großeltern sprachen. Schon unsere Eltern beherrschten das originale Kölsch nicht mehr wirklich einwandfrei. Und ich fürchte: Gäbe es nicht die kölsche Musik, die zu 90 Prozent aus Karnevalsmusik besteht, dann wäre auch unsere Fähigkeit, Kölsch auch nur annähernd zu verstehen, verschwunden. Der ursprüngliche Dialekt wäre mit meiner Generation so gut wie verschwunden.

Montach, Plümmo und Fuss

"Die konservativen Formen der Dialekte sterben natürlich aus", sagt Franz Patocka, Professor für Sprachwissenschaften an der Universität Wien. "Das bedeutet aber nicht, dass sämtliche dialektalen Merkmale verschwinden." Das beruhigt mich. Ich mag Dialekte, sie sind Teil meiner Identität, meiner Herkunft. Mittlerweile lebe ich in Wien, aber wenn ich mit Freunden in Köln telefoniere, dann führen wir bestimmte Merkmale des Dialekts weiter. Die angesprochenen G werden hier und da noch zu J, und auch die ch-Endung, beispielsweise bei Wochentagen ("Montach!"), ist fest verankert. Dazu kommen Dialektbegriffe wie das "Plümmo", mit dem wir uns jeden Abend zu decken, "op Jöck zu sin", also unterwegs zu sein, und in meinem Fall die Haare, die "fussisch" sind (sie sind rot).

Warum sprechen wir überhaupt so, warum gibt es Dialekte? "Die Frage ist eigentlich falsch gestellt. Sie müsste heißen: Warum gibt es überhaupt die Hochsprache?", sagt Patocka. Denn die Henne-Ei-Frage gibt es in der Sprachwissenschaft nicht. Die Dialekte waren zuerst da. Erst im Laufe des 16. Jahrhunderts wurden sie von der Schriftsprache überdacht. Die wieder wurde vermutlich erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur gesprochenen Sprache. Auch Dialekte sind nicht erst eine Erfindung der Neuzeit: "Das Latein, das wir heute in der Schule lernen, ist überspitzt ausgedrückt nichts anderes als der römische Stadtdialekt."

Ich fing erst an, mich mehr für das Kölsch zu interessieren, als ich meine Heimat verließ, Stationen in Vancouver und Bangkok einlegte, ehe ich schließlich nach Wien umzog, wo ich mich an völlig neue Dialekte, Begriffe und Redewendungen gewöhnen musste – und das bis heute.

Volksmusik und Austropop

Unterbewusst baute ich mehr und mehr meines Dialekts in Unterhaltungen ein und konsumierte auch mehr Dialektsprachliches. "Der Einfluss von Musik ist beim Erhalt von Dialekten nicht zu unterschätzen. Und da rede ich gar nicht von Volksmusik, sondern eher von Austropop", sagt Patocka. Bei mir ist es die kölsche Musik. Erst in Wien habe ich die Musik von Wolfgang Niedecken und seiner Band BAP (siehe unten) wirklich lieben gelernt. Eine Liebe, die mir mein Vater schon in jungen Jahren vermitteln wollte. Erst später verstand ich, warum. "Ein Dialekt ist nichts anderes als ein sprachlicher Ausweis, der sagt: ‚Ja, hier komme ich her‘", sagt Sprachwissenschaftler Patocka. Das Kölsch ist für mich ein Stück Heimat. Etwas, das ich gerne verwende oder höre, wenn ich Heimweh nach dem Dom, dem Rhein, meiner Familie oder meinen Freunden habe. Ich kannte mal eine Frau, die immer ins Schwäbische rutschte, wenn sie sich wohlfühlte. Plötzlich wurde jedes "Weißt du?" zu "Weischt?". Wenn das passierte, wusste ich, dass alles gut war.

Über die Schönheit von Dialekten lässt sich streiten. Ob Kölsch ein toll klingender Dialekt ist ... da bin ich zu befangen. Und in Österreich? Das Linzer Institut IMAS führte 2014 eine Umfrage durch, in der herauskam, dass der Kärntner Dialekt der beliebteste in ganz Österreich ist. Gefolgt von Tirolerisch und Oberösterreichisch. Bei einer Umfrage im STANDARD-Forum im vergangenen Jahr setzten die User das Oberösterreichische auf Platz eins, dahinter Tirolerisch und Kärntnerisch. Abschlagen in beiden Umfragen: Burgenländisch.

Wichtig für die Kultur

Weiters sagten 88 Prozent der Befragten der IMAS-Studie, der Dialekt sei für die Kultur enorm wichtig. Das sieht auch der Sprachwissenschafter so: "Bei einem Skirennen muss neben dem Kommentator, der Hochsprache verwendet, auch ein Experte sein. Und der hat Dialekt zu sprechen."

Mir gefallen alle österreichischen Dialekte, die ich bisher zu hören bekommen habe. Das bedeutet aber nicht, dass ich sie auch verstehe. Um die Interviews für die Dialektbeispiele in den Kästen abzutippen, musste ich die Audiodateien mehrmals abhören und zig Male nachfragen. Auch privat kommt es nach wie vor zu Missverständnissen. Österreichische Freunde, die gerade frisch von ihrem zweiwöchigen Aufenthalt in der Heimat kommen, vergessen meist, dass ich als gebürtiger Deutscher nicht fließend Salzburgerisch, Kärntnerisch oder Oberösterreichisch beherrsche. Andersherum scheint das Problem kleiner. Ich spreche dann doch eher Hochdeutsch.

Die Anfangsgeschichte aus der Volksschule erzählen mein Freund und ich immer noch gerne, wenn wir in der Heimat zusammensitzen. Und es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass wir danach einen übertriebenes Kölsch an den Tag legen, soweit wir denn können. Ich finde, das sollten wir öfter machen. Es wäre zu schade, sollte diese Tradition eines Tages aussterben: "All ming Jedanke, all ming Jeföhle / Hann ich, sulang ich denke kann, immer noch / Ussjelääv oder erdraare / Enn unserer eijene Sprooch." Alles klar?

Wolfgang Niedecken - Topic

Salzburgerisch

gesprochen von Martin Höflmayr, Analyst

Martin Höflmayr: "In Frankfurt hot mir a Orchester-Kollege gsagt, er fühlt si wie im Urlaub, wenn er mit mir red."
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Da ich schon länger von daheim weg bin und zurzeit in London lebe, ist mein Dialekt ein Stück Heimat. In England rede ich fast nie Deutsch. Als ich in Deutschland gelebt habe, habe ich mich bemüht, Hochdeutsch zu reden. Ehrlicherweise geht mir das Englische fast leichter über die Lippen als das Hochdeutsche.

Sobald ich österreichischen Boden betrete und endlich wieder meinen Salzburger Dialekt sprechen kann, fühle ich mich daheim.

Wir aus Salzburg sprechen ein sehr starkes R. Und während meiner Zeit in Frankfurt, aber auch in Innsbruck und Wien, haben alle gedacht, ich komme ursprünglich aus Bayern. Das hat mich nicht sonderlich gestört, da das Bild des Bayern, zumindest jenes, das wir in Österreich von ihm haben, ein sehr gemütliches ist. Und das passt irgendwie auch zu uns. Obwohl ich schon erlebt habe, dass man von manchen als provinziell angesehen wird, wenn man Dialekt spricht. Diese Vorurteile aus den Köpfen zu bekommen ist manchmal gar nicht so einfach.

Gleichzeitig ist es so, dass Menschen mit dem gleichen Dialekt, die man beispielsweise im Ausland trifft, das Gefühl haben, man gehöre zusammen, auch wenn man sich nicht kennt.

Besonders auf die Deutschen wirkt mein Dialekt natürlich anders. Da gibt es auch ein paar lustige Anekdoten. Ich spiele in einem Orchester – in Frankfurt hat mir einer der Musiker gesagt: Immer wenn ich mit ihm rede, fühle er sich wie im Urlaub. Das fand ich ganz nett.

Kölsch

gesprochen von Wolfgang Niedecken, Musiker

Wolfgang Niedecken: "Ich benn met sechs Johr ennjeschullt woode un moht ming eezte Frempsprooch liehre – Hochdeutsch"
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Mein Dialekt bedeutet in allererster Linie Heimat. Köln ist mein Heimathafen, von dem aus ich aufbreche und in den ich immer wieder gerne zurückkehre. Ich glaube, ich habe früher sogar auf Kölsch gedacht. Wenn ich mich besonders wohlfühle, falle ich sofort in den Dialekt zurück.

Ich spreche eine Mischung aus dem Kölsch der Südstadt und der Sprache meines Vaters aus Unkel, leicht eingefärbt im Tonfall aus der Eifler Internatszeit. Ich habe mich nie bemüht, reines Kölsch zu sprechen, sondern die wirklich lebendige Sprache so angenommen, wie mir eben der Schnabel gewachsen ist. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als ich mit sechs Jahren eingeschult wurde, musste ich meine erste Fremdsprache lernen – Hochdeutsch.

Köln war schon immer eine Handelsstadt, dadurch haben wir viele niederländische, französische und sogar englische Ausdrücke in unserem Dialekt. Hier gab es die erste Brücke über den Rhein, hier haben sich die Leute einfach getroffen. Und es hat mich schon immer interessiert, wo manche Begriffe letztendlich herkommen. Aber ich richte mich nicht hundertprozentig danach, wenn ich meine Texte schreibe.

Früher stand man abends in der Kneipe, kaufte im Einzelhandel ein und überall wurde Kölsch gesprochen. Leider ist das heute nicht mehr so, es gibt diesen kölschen Alltag nicht mehr. Ich kenne vielleicht noch fünf Leute außerhalb meiner Familie, mit denen ich instinktiv Kölsch rede.

Das ist natürlich schade. Die Heimat, die mir durch diesen Dialekt gegeben wurde, hätte ich gerne meinen Kindern und Enkeln erhalten. Mein ältester Sohn kann noch, wenn er will, fließend Kölsch sprechen. Aber meine Töchter schon nicht mehr. Dafür sprechen die halt ein perfektes Englisch.

Zürcher Mundart

gesprochen von Anita Kupper, Kommunikatorin

Anita Kupper: "Natürli wämmir Züri Oberländer nöd mit de Stadtzürcher verwächslet wärde."
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Wir im Zürcher Oberland sprechen eine Variante des Zürichdeutschen. Wir verwenden kein helles A wie die St. Galler und reden generell ein wenig dunkler und auch ruhiger, aber auch nicht ganz so gemächlich wie die Berner.

Für mich bedeutet der Dialekt sehr viel. Ich spreche ihn gern im Alltag, schreibe ihn aber auch in den sozialen Medien oder Whatsapp.

Es freut mich immer, wenn ich neue oder ganz alte Worte im Dialekt entdecke oder einfach solche, die vom Klang her schön sind. Darauf spreche ich die Leute auch an, wenn sie ein für mich interessantes Wort verwenden. Zum Beispiel "anumpfürsich" für "an und für sich".

Ich habe keine Angst davor, dass unser Dialekt ausstirbt, glaube aber, dass er etwas abflacht und sich verändert. Dass Sprache sich ändert, ist ja ganz natürlich. Durch Reisen, durch das Fernsehen und andere Sprachen.

In der Schweiz ist es nichts Negatives, im Dialekt zu reden. Wir ziehen uns gegenseitig mit den Unterschieden auf, aber es ist auch Respekt da. Apropos aufziehen: Natürlich wollen wir Zürcher Oberländer nicht mit den Stadt-Zürchern verwechselt werden. Die haben die sogenannte "Zürischnure", davon wollen wir uns abheben.

Sarajevo-Dialekt

gesprochen von Nedad Memić, Germanist

Nedad Memić: "Raju iz Saraj’va mo’š odma’ prepoznat’ kako prićaju. Glasov’ su im duži i mekši, vole gutat’ ,i‘ i ,u‘ đe god stignu, al’ im se jes’k ne ras’kuje puno od književnog."
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Die Leute aus Sarajevo kannst du sofort erkennen, wenn sie sprechen. Ihre Laute sind länger und weicher, sie lieben es, das I und das U zu schlucken, wann immer sie können. Aber ihre Sprache unterscheidet sich nicht so stark von der Hochsprache.

Die Dialekte in Bosnien-Herzegowina sind der bosnischen Standardsprache relativ nah. Man versteht Dialektsprechende in der Regel sehr gut. Die Stadt Sarajevo hat ihren eigenen Dialekt. Die großen Migrationswellen und der Druck der Standardsprache führten aber zu einem fast völligen Verdrängen des historischen Sarajevo-Dialekts. Seitdem bildete sich eine städtische Umgangssprache, die sich grammatikalisch größtenteils am Standard orientiert.

Das wesentliche Merkmal der Umgangssprache von Sarajevo ist die Reduktion von unbetonten Silben. Außerdem tendiert man dazu, die Grammatik zu vereinfachen.

Dialekte sind in Bosnien-Herzegowina weitgehend verpönt und gelten als Ausdruck einer fehlenden Bildung. Man bemüht sich, "korrekt" zu sprechen, was auf eine konservative Sprachbildung in der Schule zurückzuführen ist. Trotzdem sind Dialekte und Umgangssprachen nach wie vor verbreitet, man verwendet sie aber leider oft als Spott.

Vorarlbergerisch

gesprochen von Franz Dünser, Pensionist

Franz Dünser: "Also wenn i ins Walsertal inni kum, des durat höchschtens a Wocha, denn red i den Walser Dialäkt wia an Ihemischa."
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Wir haben einen Campingplatz, und da kommen Touristen aus allen Nationen hin. Vorwiegend sind es Deutsche und Holländer. Und da müssen wir natürlich Schriftdeutsch reden, sonst verstehen die uns nicht. Wir versuchen da nicht mal, mit Dialekt zu kommen, das funktioniert eh nicht. Und andersherum kann man nicht verlangen, dass die Touristen den Dialekt annehmen, das ist unmöglich in der kurzen Zeit.

Sagen wir so, unser Dialekt im Walgau ist eher allgemein, der ist nicht so ausgeprägt wie in Montafon oder im Walsertal.

Es gibt ja sprachbegabte und weniger sprachbegabte Menschen. Wenn ich eine Woche im Walsertal verbringe, dann spreche ich den Dialekt wie die Einheimischen. Es gibt aber auch Dialekte, wo ich Schwierigkeiten habe, beispielsweise im Bregenzer Wald oder in Lustenau, die sind aber trotzdem schön.

Natürlich wachsen die Kinder auch mit diesem Dialekt auf, selbst wenn sie in der Schule versuchen sollen, Hochdeutsch zu reden. Das müssen sie eh auch, wenn sie mit den Kindern der deutschen Gäste spielen. Ansonsten verstehen sie einander nicht. (Thorben Pollerhof, 23.05.2020)