Zu den zwölf seltsamsten Präsidenten der USA zählt Donald Trump inzwischen bestimmt.

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Das hat schon lange niemand mehr so ausgreifend, so mutig und so ambitioniert geschultert. Und so meisterhaft. Die ganze Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika von Anbeginn bis heute zu erzählen. Und zwar ganz allein, nicht in ein vielköpfiges Team eingebettet. Die 1966 geborene Jill Lepore, Ordinaria für amerikanische Geschichte an der Harvard University, ist dies angegangen. Und hat, um es gleich zu sagen, eine staunenswerte Leistung vollbracht. Wer sich mit diesem Land künftig beschäftigen will, der muss dieses gewaltige, enorme, enorm gehaltvolle und brillante Buch Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika gelesen haben.

Sie setzt nicht 1784 mit der Verfassung ein, nicht 1776 mit dem Beginn des Freiheitskriegs der nordamerikanischen Kolonisten wider König George III. Auftakt ist das Jahr 1492. Mit großer, majestätischer Meisterung eines schier unüberschaubaren Materials erzählt sie von den beeindruckenden intellektuellen Gewissheiten, den unverrückbaren "Wahrheiten", auf denen das Land einst sich gründete, wie von den jedes Jahrhundert aufs Neue prägenden, lähmenden, destruktiven Fehlern und fatalen Schieflagen, die die Republik ab dem ersten Tag prägten – Sklaverei, Rassismus, die Unterdrückung von Frauen, Gewalt.

Jill Lepore, "Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika". Übersetzt von Werner Roller. 41,10 Euro / 1120 Seiten. C. H. Beck, München 2019

Mit großem Gewinn liest man ihre vergleichende Geschichte. An vielen Stellen präsentiert sie, im europäischen Sinn eine Liberale, Überraschendes, kluge Einsichten, faszinierende Aspekte: wenn es etwa um die Abtreibungsdebatte und Waffenbesitz geht. Was zu kurz kommt – und das gesteht sie ziemlich zu Beginn selbst – sind Militärgeschichte – Kriege werden bei ihr angefangen und sind wenige Sätze weiter schon beendet – und Kultur- wie auch Technikgeschichte.

Dafür ist die Medien- und Politikgeschichte umso aufschlussreicher dargestellt. Vor allem ab den 1930er Jahren zeichnet sie den fatalen, bösartigen und endemisch zynischen Einfluss von "Politikberatern" nach, Wahlkampfplanern, die allesamt der Werbebranche entstammten.

Die düstere Gegenwart

In den letzten 40 Jahren hat deren Wirkung noch einmal unerwartet viele Eskalationsstufen genommen, die mittlerweile in ihrem Manipulationsgrad systematisch zerstörerisch wirken. Nur noch 17 Prozent der Amerikaner vertrauen heute noch ihrer Regierung. Viel mehr hängen Verschwörungstheorien an. Was nichts Neues ist.

Lepore breitet schon für das 19. Jahrhundert so viele Informationen in Sachen Xenophobie, Hypernationalismus, Rassismus, Mauerbau (!), weiße Suprematie und Widerstand aus, auf dass nichts, was Rechts- wie Linksextremisten heute von sich geben, neu ist. Nur dass sie es eben twittern, auf Tumblr oder 4chan posten oder mit Social Bots verbreiten.

Die letzten einhundert Seiten sind mit Abstand das Deprimierendste des Buches. Hier zeichnet sie die Politik der letzten 20 Jahre nach. Und zwar in all ihrer erschreckenden Rechtsbeugung und absichtlichen Rechtsabschaffung, der politischen Blockade und Demontage, der Aushöhlung der Parteiprogramme und, am verheerendsten, der Atomisierung der Meinungen.

Lepores Buch klingt mit einem beklemmenden Bild aus. Das amerikanische Staatsschiff schlingert und schwankt in hochwogendem Meer. Die Liberalen drängen sich unter Deck ängstlich zusammen, ohne Kurs, längst schon "den Horizont aus dem Blick verloren", ohne Zugriff auf einen Kompass.

An Deck: Die Konservativen und Reaktionären, die die Schiffsplanken her ausgerissen haben und sie in rasender Wut verfeuern, den Schiffsmast haben sie schon gefällt. Selbstzerstörung, Verblendung, Hetze, Lüge, nicht im Ansatz mehr vorhandene interkulturelle, überparteiliche Gesprächsbereitschaft, um die zerfasernde, verblutende Zivilgesellschaft, besser: um die zahllosen miteinander konkurrierenden Mikroziviluntergruppen zu bändigen, zu besänftigen, zu vereinen, zu kalmieren, um die Nation zu salvieren.

Das Fazit der Harvard-Professorin ist zutiefst schockierend, gerade weil sie einen so gewaltigen Horizont aufreißt – dieses Land ist nicht mehr zu retten. Und wohl ohne die kleinste Aussicht auf nur einen Funken Hoffnung in einem Strudel der Selbstvergiftung gefangen.

Wer nach Diese Wahrheiten noch an Mechanismen einer parlamentarischen Systemsicherung und eines übergreifenden gesitteten Miteinanders zwischen Boston und San Diego, Spokane und Miami glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen. Wem auch immer in der nächsten Dekade auferlegt sein wird, die Implosionsreste dieses Landes zu kitten, sollte zuvor diese großartige historiografische Darstellung Jill Lepores gründlich studieren. Und vielleicht wieder mit einfachen Grundwahrheiten beginnen.

Zwölf Köpfe

Ronald D. Gerste, "Trinker, Cowboys, Sonderlinge. Die 12 seltsamsten Präsidenten der USA". 10,60 Euro / 288 Seiten. Klett-Cotta, Stuttgart 2019

Verglichen damit handelt es sich beim Vignettenreigen des seit langem in Washington, D. C., lebenden deutschen Mediziners, Journalisten und Buchautors Ronald D. Gerste um eine Petitesse. Die "zwölf seltsamsten Präsidenten" will er porträtieren. Die einzelnen Kapitel sind überschaubar kurz, zwölf bis 36 Seiten.

Dass unter den Bewohnern des Weißen Hauses so mancher heutzutage komplett Vergessene ist, überrascht wenig. Gerste will Franklin Pierce (1853–1857) ebenso Gerechtigkeit widerfahren lassen wie dem biederen Chester Arthur (1881–1885), Theodore Roosevelt (1901–1908) oder dem trockenen Puritaner Calvin Coolidge (1923–1929).

Doch das Ganze entpuppt sich als gerade einmal zur minder kurzweiligen Einführung für Jugendliche geeignet. Nicht selten sind seine Akzente überschaubar überraschend. In die Auswahl auch den ehrenwerten Harry Truman aufzunehmen, ist dafür so exzentrisch-abwegig wie John F. Kennedy, bei dem mal wieder der Sexualtrieb als "seltsam" paradiert, und Richard M. Nixon einzureihen, bei dem Gerste mehr die ausgeprägte Vulgarität ins Feld führt als die atemberaubende Kaltschnäuzigkeit des über 25 Jahre habituell gepflegten Machtmissbrauchs.

Weitgehend unerklärlich bleibt, wie ein vor allem in Alter Geschichte so soignierter Verlag wie Klett-Cotta sich diese oberflächlichen Texte, hie und da argumentativ aufs rein Pittoreske reduziert, hat aufschwatzen lassen. Weil Gerste schon vier Bücher dort herausbrachte? Oder hat der ausgebildete Augenarzt das Lektorat auf andere Weise geblendet?

Dass es so manche Überblendung zu Gerstes Rendezvous mit Amerikas Präsidenten. Unterwegs zu den Orten ihres Lebens aus dem Jahr 2013 gibt, will dann kaum noch erstaunen. Angesichts solcher Veröffentlichungen bedauert man den abgeholzten Baumbestand, der für die Papiererzeugung nötig war.

Globale Verflechtungen

Daniel Immerwahr, "Das heimliche Imperium. Die USA als moderne Kolonialmacht". Übersetzt von Laura Su Bischoff und Michael Bischoff. 26,80 Euro / 720 Seiten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2019

Von anderem Kaliber ist Daniel Immerwahrs Studie über Das heimliche Imperium. Der Historiker und Associate Professor an der Northwestern University in Evanston in Illinois erzählt die Geschichte der USA als imperialistisches Empire, als globales Krakenwesen. Betrachtet man eine handelsübliche Karte des Landes, so sieht man die Landesgrenzen zwischen Kanada im Norden und Mexiko im Süden verlaufen, die übliche Silhouette.

Was unter den Tisch fällt, ist: Lange Zeit waren die Vereinigten Staaten viel größer. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren von diesem Land viele Territorien in Übersee besetzt und okkupiert. Rund 135 Millionen Menschen lebten darin. Und diese geografische Landmasse belief sich auf fast ein Fünftel des nordamerikanischen Riesenlandes.

Das Imperiale arbeitet Immerwahr heraus, das imperial Raumgreifende der US-Politik seit Mitte des 19. Jahrhunderts, vom Mexikanisch-Amerikanischen Krieg bis in die Gegenwart. Es war nicht der Angriff auf Pearl Harbor, der das Land, ungeduldig gestoßen von Roosevelt, auf die Weltbühne als Dominator springen ließ.

Um 1900 waren zur direkten Einflusssphäre schon die Philippinen und Kuba dazugekommen, später Puerto Rico, der Panamakanal und Hawaii, noch heute Guam und American Samoa. Stets begleitet von rassistischen Debatten um die Unterdrückung aller Nichtweißen. Geschichte wird hier aus Sicht der Besetzten, Unterdrückten und Bevormundeten erzählt.

Seit der Unabhängigkeitswelle in den 1950er- und 1960er-Jahren setzte Washington auf globale Hegemonie qua technologischem Vorsprung und ökonomischem Ködern im Tausch mit militärischer Verankerung weltweit. Die US-Armee unterhält, Stand 2019, mehr als 800 Militärbasen rund um den Globus, zwischen Schinnen, Niederlande, und Dubai, zwischen Bulgarien, Aruba und Dschibuti.

Was Immerwahr aufzeigt, in einem ausgesprochen lebendigen, manchmal allzu munter popkulturellen Stil, wobei sein eigenes Erschrecken mitunter mit Händen zu greifen ist: Jedes rüde in die Welt getönte isolationistische Plädoyer, die USA würden sich aus Weltkonflikten zurückziehen und sich sinnlosen Kriegen entziehen, ist nicht einmal die Hälfte der Wahrheit. (Alexander Kluy, 23.5.2020)