August Sander (1876-1964): Der Konditor gehört zu den bekanntesten der 60 Porträt-Aufnahmen, die Sander 1928 für sein Buch "Antlitz der Zeit" (1929) schuf. Die Wertabstufung erklärt Johannes Faber, Fotogalerist in Wien, wie folgt: ein Originalabzug von 1928 läge bei 250.000 bis 300.000 Euro, ein solcher aus den 1930er Jahren und damit zu Lebzeiten Sanders bei 50.000 bis 80.000 Euro. Posthume Abzüge, die sein Sohn Gunther ab Mitte der 1960er Jahre etwa für Ausstellungen produzierte, liegen bei 20.000 bis 25.000 Euro; solche von August Sanders Enkel Gerd (siehe Abb., 1990) ab Mitte der 1980er-Jahre schlagen sich mit 8000 bis 12.000 Euro zu Buche.

Foto: Courtesy Galerie Johannes Faber

Daran, dass Fotografie ein künstlerisches Leitmedium des 20. Jahrhunderts ist, zweifelt mittlerweile niemand mehr. Die Anerkennung als klassische Kunstform spiegelte sich allerdings nur bedingt im Fundus staatlicher Museen. Im Laufe der letzten Jahre wurden deshalb die Inventare entsprechend aufgestockt. Denn wer seine historisch gewachsene Kernkompetenz für Arbeiten auf Papier behaupten wollte, konnte sich nicht mehr allein auf Zeichnungen und Grafiken Alter Meister über Vertreter des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart berufen.

Klaus-Albrecht Schröder reagierte früher als seine Kollegen in Deutschland. 1999 holte er die Bestände aus dem Museum moderner Kunst in die Albertina und gründete "seine" Fotosammlung. Dieser Grundstock wurde um umfangreiche Dauerleihgaben (Höhere Graphische Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt, Verlag Langewiesche), Schenkungen (Sammlung Essl) oder auch Zukäufe von Einzelwerken oder Werkgruppen erweitert.

In Deutschland macht dagegen seit einigen Jahren das Modell des Bausch-und-Bogen-Ankaufs Schule. Beispielhaft exerzierte das Max Hollein in seiner Zeit am Städel-Museum (Frankfurt) vor: 2011 die Sammlung von Uta und Wilfried Wiegand, die 189 Fotografien des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne umfasste. 2013 kamen "1173 Meisterwerke der Fotografie" aus der Sammlung des Ehepaars Kicken hinzu.

Die Gemeinsamkeit dieser beiden Zugänge: Ein Teil wurde dem Museum geschenkweise überlassen, der andere Teil offiziell angekauft. Obwohl der aliquote Kaufpreis mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und der Hessischen Kulturstiftung aufgebracht wurde, blieb er öffentlich unbekannt.

Kaufpreis unbekannt

Auch auf aktuelle Anfrage war dieser nicht in Erfahrung zu bringen. Man wolle sich zur Summe nicht äußern, erklärte die Pressestelle. Nur so viel, 524 Fotografien wurden angekauft, die Schenkung umfasste 649 Arbeiten. Warum die Geheimniskrämerei, ist man zu fragen geneigt. Auf Nachfrage war zu erfahren, dass 300 Arbeiten aus dem Ankaufskonvolut (524) vom Ehepaar privat gekommen seien, "der Rest als Sachspende aus der Galerie Kicken". Der inoffizielle Kaufpreis dürfte etwa 2,5 Millionen Euro betragen haben.

Die deutschen Feuilletons lobten die Großzügigkeit des Ehepaares, das seit 2000 in Berlin eine Galerie betrieb. Rudolf Kicken hatte seine Handelstätigkeit Mitte der 1970er-Jahre begonnen, war zu einem der führenden Galeristen des internationalen Fotokunsthandels avanciert und hatte Pionierarbeit für die Rezeption des Mediums in Deutschland geleistet. Er verstarb Mitte 2014, seither leitet seine Witwe die Galerie alleine.

2018 trennte sich Annette Kicken von einer Tranche von 3039 Abzügen, die im Dezember in den Bestand des Museums Kunstpalast in Düsseldorf gelangte: 1216 davon geschenkweise, 1823 Fotos wurden offiziell für acht Millionen Euro angekauft. "Vermutlich wurde noch nie von einer deutschen Institution eine derartige Summe für Fotografie ausgegeben", berichtete die FAZ, "dieser Ankauf ist mehr als ein Coup. Er ist ein Bekenntnis."

Zweifel an der Qualität

Den Zeitpunkt, eine Kollektion aufzubauen, als die Marktbedingungen noch günstigere waren, mochte Düsseldorf verpasst haben. Nun wähnte man sich, neben Hamburg, Berlin, Dresden oder Köln, in die erste Riege der deutschen Fotosammlungen katapultiert.

14 Monate und eine Ausstellung im spendablen Museum später kamen im Februar dieses Jahres erste Bedenken auf. Große Namen wie Edward Weston, August Sander, Karl Blossfeldt, Moholy-Nagy oder Man Ray mochten auf den ersten Blick beeindrucken, die Qualität der "Abzüge" sei jedoch nicht "museal" und damit durchaus fragwürdig, schränkte die FAZ kritisch ein.

Aktuelle Recherchen des deutschen Handelsblatts geben einem Verdacht nun zusätzliche Nahrung: Der Kaufpreis von acht Millionen dürfte völlig überzogen gewesen sein. Das bestätigen mittlerweile zahlreiche internationale Fotohistoriker, nicht nur europäische Experten. Konkret dürfte die Anzahl später Abzüge überwiegen, die jedoch kaum musealen Wert hätten.

Man Rays (1890-1976) "Les Larmes" (Glastränen) aus dem Jahr 1930. So legendär das Sujet auch ist, anders als Abzüge aus den 1930er-Jahren, haben jene von 1990 keinen nennenswerten Marktwert. Einen Gelatin silver print von 1990 (siehe Abb.), gleich jenem im Düsseldorfer-Bestand, kann man mit etwas Glück für 500 Euro bei Auktionen ergattern.
Foto: Courtesy Galerie Johannes Faber

Laut Handelsblatt handle es sich bei der "Sammlung" um einen "über 40 Jahre von permanenten Zu- und Abflüssen geprägten Warenstock einer Galerie". Neben "Originalabzügen aus dem zeitlichen Umfeld der Aufnahme" beinhaltet er "auch auffällig viele spätere Abzüge, Mappenwerke sowie 413 anonyme Bilder und Schnappschüsse von nicht durchweg origineller Art".

Vintage vs. posthumen Abzug

Würde man den von der Stadt Düsseldorf damals spendierten Betrag von exakt 8.359.619 Euro (inkl. MwSt.) durch die 3039 Exponate dividieren, läge der durchschnittliche Kaufpreis bei rund 2750 Euro. "Bei so einer Summe pro Aufnahme kann unmöglich ein Vintage-Print von Moholy-Nagy von 1929 dabei sein", verteidigt sich Felix Krämer, Direktor Museum Kunstpalast. 2013, als er noch Kurator am Städel Museum war, hatte bereits dort den Ankauf der Sammlung Kicken eingefädelt.

Den Restbestand sicherte er sich dann für Düsseldorf. Vor dem Ankauf war das Konvolut demnach von zwei Gutachtern bewertet worden: Bei dem einen handelt es sich um Thomas Weski, seit 2015 Kurator der Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt.

Das andere Gutachten stammt laut Handelsblatt von Simone Klein, die 2007 bis 2015 das Photography Department bei Sotheby’s in Europa verantwortete und nun als freie Beraterin tätig ist. Ihrem Lebenslauf zufolge war sie in den 1990er-Jahren auch Assistentin bei Rudolf Kicken in Berlin. Sie schätzte das Kicken-Konvolut auf zwölf Millionen Euro, Weskis lag mit acht Millionen darunter.

Beide rechtfertigen ihre Kalkulationen, etwa auch im Hinblick auf einen aktuellen Marktwert. Vielen sei genau das nicht nachvollziehbar. Der Ankauf sei jedenfalls kein Schnäppchen gewesen, eher das Gegenteil. Zum besseren Verständnis: Das Original von Man Rays legendärem "tränenden Auge" würde Millionen kosten, Abzüge aus den 1930er-Jahren erzielen manchmal 10.000 Euro. Posthume aus den 1990er-Jahren, wie jener im Kunstpalast, liegen in der Werteskala weit unten: Bei Auktionen erzielen sie um die 500 Euro. (Olga Kronsteiner, 23.5.2020)