Sentimentales Ein- und Ausatmen. Die Glocken der Kirche läuten 13 Uhr.

Foto: Philipp Traun

Nach der mitttäglichen Medikamentenausgabe stelle ich mich für zwei Zigaretten in den Raucherbereich und platze in eine nicht einzuordnende Debatte, die weniger einer Debatte als vielmehr dem Gesprächsverlauf einer Selbsthilfegruppe zum Thema Irrsinn ähnelt.

Hier die gekürzte Fassung: "Meine Mutter hat mich als Kind an fremde Männer vermietet", sagt Patientin D. "Das ist die Bumsti", sagt Patientin R. und zeigt der Runde ein zerknittertes Katzenbild, das sie aus ihrem Portemonnaie kramt. "Heute habe ich mich beim Essen fast angespieben." "Ich gestern." "Ich immer." "Ich find das Essen gut." "Ich auch." "Ich vermiss’ die Bumsti so."

"Ich hab später erfahren, dass meine Mutter 500 Schilling pro Mann kassiert hat", sagt Patientin S. und fügt hinzu: "Ich war ja auch eine Hübsche." "Ich hab mit dem Trinken begonnen, wie meine Frau gestorben ist." "Wenn meine Frau stirbt, hör’ ich sofort auf. Vor Freude."

"Bei mir war’s der Bordeaux", will sich Patient N. abheben. "Bei mir der Chirac." "Der Jacques?" "Nein, der andere." "Einer der Männer hat mich vergewaltigt", sagt Patientin S. "Und was hat deine Mutter dafür verlangt?", fragt Patient H. "Waren das Zeiten", sagt Patient F.

Sentimentales Ein- und Ausatmen. Die Glocken der Kirche läuten 13 Uhr. "Die Bumsti ist jetzt bei der Franzi", sagt Patientin R. "Wer ist die Franzi?", frage ich. Patientin R. schaut mich an, als hätte ich soeben eine dringliche Anfrage an das Parlament gestellt. Schweigen. Die Kirchenglocken verhallen. (Philipp Traun, 23.5.2020)