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Während des Lockdowns hielt die Solidarität zwischen Alt und Jung, doch nun geht es ans Zahlen der Schäden. Tut sich eine Kluft zwischen den Generationen auf?

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Die Freiheit misst ein paar Quadratmeter Rasen, eingeklemmt zwischen Müllcontainern, Radlständern und Hausmauern. Jeden Tag um drei viertel zwölf, wenn das Wetter mitspielt, klappt Manfred H. hier einen schwarzen Gartensessel auf – sein "Gefängnishofausgang", wie er sagt.

Zwei Spaziergänge hat sich der Pensionist seit Ausbruch der Corona-Krise gegönnt, auch nach Ende des Lockdowns hält er es nicht viel anders. Mit 83 Jahren bedeute eine Ansteckung Lebensgefahr, und dann war da noch die Warnung der Tochter: Wenn ein alter Mann herumflaniere, könnten das junge Passanten als Provokation auffassen. Schließlich seien sie es, die das Ganze ausbaden müssten.

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Die Alten müssen geschützt werden: So lautete eine zentrale Begründung der Regierung für die Vollbremsung des Alltags- und Wirtschaftslebens. Tatsächlich machen Vorerkrankungen Senioren für das Virus besonders angreifbar. 94 Prozent der bisher gut 600 Todesfälle in Österreich entfallen auf die über 65-Jährigen. Doch ökonomisch verteilen sich die Lasten ganz anders.

"Die Jungen müssen als Erste gehen"

90.000 Menschen im Alter von 14 bis 24 Jahren standen im April ohne Job da – ein historischer Höchstwert. In keiner anderen Altersgruppe hat sich die Arbeitslosigkeit derart rasant verbreitet, laut Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) haben seit März fast neun Prozent die Beschäftigung verloren. Warum, wissen Experten wie Johann Bacher von der Uni Linz oder Bernhard Binder-Hammer von der Akademie der Wissenschaften in Wien: Junge Leute arbeiten häufig in Branchen wie Gastronomie, Handel, Tourismus oder Kultur, die von Corona besonders gebeutelt sind.

Sie sind, wenn überhaupt, oft nur befristet angestellt, hangeln sich von einem Job zum nächsten, stecken in prekären Arbeitsverhältnissen – und sind somit leichter kündbar. "Selbst bei Fixanstellung müssen die Jungen meistens als Erste gehen", sagt Binder-Hammer.

Wer gleich zum Karrierestart am Arbeitsmarkt strauchelt, ergänzt Bacher, schleppe die Folgen mitunter Jahrzehnte mit. Geringere Einkommenschancen, weniger Zufriedenheit mit Arbeit und Leben, weniger politisches Engagement, psychische Folgen, Gesundheitsprobleme, prolongiert höheres Risiko der Arbeitslosigkeit: Studien zeigen, dass sich die Konsequenzen noch auf das Wohlbefinden im Alter von 50 Jahren auswirken.

Weil laut Bachers Prognosen die Jugendarbeitslosigkeit heuer von 8,4 auf 15,3 Prozent zu steigen drohe, fordert der Soziologieprofessor ein Jugendrettungspaket – etwa eine Jobgarantie bis 24 Jahre, ähnlich der gestoppten Aktion 20.000 für ältere Arbeitnehmer.

Bessere Einkommensbilanz der Älteren

Die Einkommen der Pensionisten hat die Krise bis dato hingegen nicht angeknabbert. Zwar fallen mit den Jobs auch massenhaft Beiträge für die Sozialversicherung weg, doch der Staat füllt die wachsende Lücke mit Steuergeld auf. Aber soll dies noch uneingeschränkt gelten, wenn es die nun angehäuften Schulden abzubauen gilt? Oder schreit die Lage nach einem Solidarbeitrag der Alten zugunsten der Jungen?

Entgegen verbreiteter Meinung kamen die Senioren in der Vergangenheit nicht immer ungeschoren davon. Weil Regierungen wegen klammer Kassen den vollen Teuerungsausgleich verwehrten, verloren die Pensionen in so manchem Jahr an Kaufkraft. Unterm Strich aber entwickelten sich die Einkommen der Älteren schon vor Corona besser als jene der Jungen, rechnet Christine Mayrhuber vom Wifo vor.

Das gelte besonders im Vergleich mit Haushalten mit Kindern, deren Einkommen von 2010 bis 2015 real um mehr als 13 Prozent schrumpften, während die über 65-Jährigen um zehn Prozent zulegten. Mayrhuber betont allerdings, dass hier ein Struktureffekt zum Tragen kommt: Neupensionisten haben tendenziell höhere Ansprüche als jene, die aus dem Leben scheiden.

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Während des Lockdowns hielt die Solidarität zwischen Alt und Jung, doch nun geht es ans Zahlen der Schäden. Tut sich eine Kluft zwischen den Generationen auf?
Foto: Getty Images / Oliver Rossi

Die Schlüsse daraus sind umstritten. Am Zahltag für die Krise sollte die Regierung Personen mit gesichertem Einkommen nicht aussparen, empfiehlt Binder-Hammer. Womit er nicht nur Pensionisten, sondern auch öffentliche Bedienstete meint.

Protest der Pensionisten

Wer hingegen Einwände sucht, ist bei Andreas Wohlmuth richtig. Gerade in der Krise würden viele "Penserl" für ihre Kinder finanziell einspringen, bis hin zur Übernahme von Kreditraten, wendet der Generalsekretär des sozialdemokratischen Pensionistenverbandes ein, und ein Kaufkrafteinbruch sei wohl das Letzte, was der Wirtschaft nun helfe.

Außerdem sei anderswo weitaus mehr zu holen als bei den Pensionen, von denen die Hälfte unter 1130 Euro im Monat liegt (Stand 2018): "etwa bei Konzernen, die keine Steuern zahlen". Eine andere Möglichkeit sind Erbschafts- und Vermögenssteuern, wie sie der Soziologe Bacher ins Spiel bringt.

Wer die Generationenfrage aufwerfe, dürfe immaterielle Belastungen nicht ausblenden, sagt Wohlmuth. Abgesehen vom Virus bedrohe Einsamkeit die Senioren, dazu geselle sich das deprimierende Gefühl der Entmündigung. Nicht jeder über 65-Jährige sei gebrechlich und damit besonders gefährdet, dennoch habe die Regierung alle pauschal als Risikofälle punziert, statt auf Eigenverantwortung zu setzen. "Die Schlange vor den Baumärkten am Tag eins nach dem Lockdown war ein Protest der Pensionisten", glaubt Wohlmuth.

Krank wegen Isolation

Er habe hunderte Zuschriften erhalten, in denen Ältere Bevormundung beklagten, erzählt der Altersforscher Franz Kolland, der an der privaten Karl-Landsteiner-Uni in Krems die Auswirkungen des Social Distancings erforscht. Zu überprüfen gilt es düstere Annahmen: Experten erwarten einen Anstieg bei Depressionen und Selbstmorden sowie körperliche Folgen. "Wenn sich alte Menschen nicht mehr bewegen", sagt Kolland, "werden sie erst recht krank."

Der Soziologe rechnet mit breitem Verständnis der Jungen für die Lage der Alten und folglich keinem harten Generationenkonflikt aus aktuellem Anlass. Anders als in der Klimadebatte, wo Werte aufeinanderprallten, gehe es nun um eine Frage der Solidarität. Der Kitt in den Familien sei stark, der Generationenvertrag – die jungen Erwerbstätigen erhalten die Alten – ein festes Bindeglied, glaubt Kolland: "Weil jeder altert, denken sich viele: Wer die Solidarität aufkündigt, schießt sich ins eigene Knie."

Lukas Sustala vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria passt mit seiner Sicht nicht in diesen Befund. Er sieht den Generationenvertrag schon länger in Schieflage zulasten der Jungen, die nun auch die Kosten der Corona-Krise schultern müssten. Jetzt räche sich, dass wichtige Pensionsreformen hinausgeschoben worden seien, kritisiert er, denkt aber nicht nur an einen finanziellen Ausgleich: Bei der Vorbereitung auf eine mögliche zweite Infektionswelle sollten auch unterschiedliche Betroffenheiten von Gruppen berücksichtigt werden.

Gezielte Einschränkungen

Sustala schneidet damit eine heikle Frage an. Soll der Staat die Alten gezielt stärker isolieren als die Jungen? Vor ein paar Wochen war dieser Gedanke durch die heimische Politik gegeistert. In einer Novelle des Epidemiegesetzes fand sich die Passage, wonach Veranstaltungen "auf bestimmte Personengruppen" eingeschränkt werden sollten, wenn dies dem Schutz vor dem Virus dient.

Eine "Generalermächtigung" zum "Wegsperren" alter Leute witterten die roten Pensionistenvertreter, die türkis-grüne Koalition reagierte mit Dementis. Letztlich landete eine Klausel im Gesetz, wonach Beschränkungen unter anderem nicht aufs Alter abgestellt werden dürfen.

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Vielen Jungen vermasselte
Corona den Berufsstart: Weniger Einkommen, Frustration,
Gesundheitsprobleme – die Folgen ziehen sich bis ins Alter.
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Es gibt Stimmen, die da weniger zurückhaltend sind. Der renommierte Wissenschafter Daron Acemoğlu kommt in einer Simulation für das amerikanische National Bureau of Economic Research zum Schluss, dass eine auf starke Abschottung von Personen über 65 Jahren fokussierte Politik weniger Todesfälle und einen geringeren Einbruch der Wirtschaftsleistung verspreche.

In den USA könnte damit der Prozentsatz der Corona-Toten von gut 1,8 auf etwas mehr als ein Prozent gesenkt werden, womit 1,7 Millionen Leben gerettet würden. Gleichzeitig würde die Wirtschaft über ein Jahr gerechnet nur um zehn statt um 24 Prozent einbrechen. Der Grund: Bei einer Beschränkung eines Lockdowns auf die Älteren könnten jüngere Personen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten wieder viel schneller entfalten als im Falle gleichförmiger Restriktionen.

Nagelprobe im Herbst

Dass eine verordnete Isolation der Alten helfen könnte, wenn man zumindest nur die Erkrankungszahlen betrachtet, lässt sich auch aus den Simulationen von Niki Popper ableiten. Reduzieren die Menschen über 65 Jahre ihre Kontakte um die Hälfte, hat das Team um den Forscher von der Technischen Universität Wien bereits Mitte März berechnet, sinkt die Zahl der schweren Fälle um 55 Prozent.

Popper, der zum Beraterstab von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zählt, ist dennoch gegen selektive Restriktionen für Senioren: Die psychischen und medizinischen Kollateralschäden seien viel zu groß – und wenn die Zahl der insgesamt Erkrankten steigt, lasse sich auch eine einzelne Gruppe nicht mehr schützen. Als Alternative empfiehlt er die derzeit in Österreich versuchte Strategie: Viele Leute testen, um Infizierte rasch herauszupicken und die Gesamtzahl niedrig zu halten – dann sei ein neuer Lockdown überflüssig.

Im Herbst, wenn das Virus wieder günstigere Bedingungen zur Weiterverbreitung vorfindet, steht die Nagelprobe an – für die Strategie der Regierung ebenso wie für den Zusammenhalt der Generationen. Geht es nach einer Umfrage des Instituts Marktagent für die Eventagentur DocLX unter 3800 Jugendlichen, dann war während der ersten Welle von einer Spaltung wenig zu bemerken. Rund 84 Prozent der 14- bis 24-Jährigen befolgten die Corona-Maßnahmen vor allem deshalb, um die ältere Generation und Risikogruppen zu schützen.

Verständnis für andere Generation

Julia E. findet sich in dieser Haltung wieder – und sieht auch jetzt keinen Grund, davon abzurücken. Dabei zählt die 24-Jährige zu jenen Tausenden, denen der Lockdown den Start ins Berufsleben vermasselt hat. Nachdem sie im September ihren Sozialwissenschaftsmaster in London absolviert hatte, ergatterte sie einen Teilzeit-Werkvertrag in einem Forschungsinstitut, der mit April in eine Fixanstellung münden sollte. Doch die Krise fraß den Job weg. Nun macht sie ein unbezahltes Praktikum bei der Uno – von zu Hause aus.

Der Ruf nach Wegsperren und finanziellen Belastungen für die Senioren kommt ihr dennoch nicht über die Lippen. Es bringe die Debatte nicht weiter, wenn die Generationen gegeneinander aufgebracht werden, außerdem litten die Älteren ohnehin schwerer unter der Krise. "Wenn man nicht mehr so viele Lebensjahre vor sich hat, ist es einschneidender, zwei Monate drinnen zu sein und die Familie nicht zu sehen", sagt sie: "Das Recht auf Leben hat jeder. Wieso sollten gewisse Gruppen nicht geschützt werden, wenn man dafür nur daheim auf der Couch bleiben muss?"

Der 83-jährige Manfred H. hingegen hätte Verständnis für einseitige Maßnahmen, "denn die Jungen werden sich nicht ein zweites Mal wegsperren lassen". Gut situierte Pensionisten könnten sich einen Solidarbeitrag leisten, und wenn es Menschenleben und Wirtschaftskraft in einer zweiten Welle rette, sollte auch die Isolation speziell für die Alten kein Tabu sein.

"Das tut puristischen Vertretern der Menschenrechte weh", sagt der Beamte in Ruhestand, "doch manchmal ist es legitim, dass der Staat die Menschen zu ihrem Glück zwingt." (Gerald John, Andreas Schnauder, Selina Thaler, 24.5.2020)