Bei "Stranded Deep" geht es ums Überleben.

Foto: Stranded Deep

Die Wasserdestillationsanlage am Strand ist fertig. Lange genug habe ich dafür etliche Rohstoffe auf meiner kleinen Insel suchen müssen. Steine, Stöcke, eine Plane, Fasern für Seile und eine Kokosnussflasche. Endlich, nach zwei Tagen nackten Überlebens, habe ich endlich sauberes Trinkwasser. Aber warum kommt kein Neues nach? Ich baue eine zweite Kokosnussflasche, um Meerwasser umzufüllen. Das funktioniert nicht. Muss ich doch verdursten?

Stranded Deep, das gerade für die Playstation 4 umgesetzt wurde, geizt wie viele seiner Artgenossen gerne mit Informationen. Sogenannte Survival-Games sind hoch im Kurs. Das zeigt nicht nur die Vielzahl an Vertretern wie genanntes Stranded Deep, Green Hell, Raft oder auch The Forest, sondern auch die Varianz der Settings. Denn seien wir mal ehrlich, allzu große Unterschiede im Gameplay ums Überleben darf man nicht erwarten. Aber dafür gibt es eben die einsamen Tropeninseln, den stinknormalen Wald oder auch gleich eine Welt voll Wasser (Subnautica).

Gegner gibt es natürlich auch. Meist gehören sie gleich mit zum Survival-Aspekt, also giftige Schlangen, Haie oder Infektionen, oder aber sie heizen noch etwas die Story an, sind demnach böse Ureinwohner oder mutierte Waldkreaturen. Hatte ich den obligatorischen Flugzeugabsturz erwähnt? Den gibt es nämlich ebenfalls bei vielen dieser Vertretern zu Beginn, um das Ganze überhaupt erst ins Rollen zu bringen.

PlayStation

Eine Dachterrasse voller Kartoffeln

Ist der Hauptcharakter also erst einmal aus dem Flugzeugwrack geklettert und hat dabei zufälligerweise noch das Survival-Handbuch gerettet, steht man als Spieler im Niemandsland oder -wasser. Und nun?

Survival-Games schlagen in die Kerbe der Sandbox-Spiele. Zwar erlauben sie keine solch große Vielfalt wie Allvater Minecraft, flüchten dafür aber auch nicht ins Abstrakte. Alles, was man in Stranded Deep bauen kann, gibt es im echten Leben. Zwar meist in einer moderneren Ausführung, aber auf einer einsamen Insel kann man eben nicht alles haben.

Das treibt die Kreativität ins Unermessliche. Was anfängt wie ein Strandcamp, das von einem ahnungslosen Trottel mit einem Restfunken Überlebensinstinkt zusammengeschustert wurde (Hi, das bin ich), wird nach etlichen Spielstunden zu einer wahren Oase aus Holzhütten, Stegen und fahrbaren Untersätzen. Eine Dachterasse, auf der Kartoffeln angebaut werden? Warum nicht. Ein Steg, von dem die Fischreusen herabhängen? Kein Problem. Ein Extrazimmer, in dem nur Stöcke für das Lagerfeuer gesammelt werden? Logisch.

Dass es zwar meist eine Story gibt, die aber vollkommen ignoriert werden kann, stört überhaupt nicht. Denn so wie der Baukasten die spielerische Kreativität fördert, regt die anfängliche Zwischensequenz die erzählerische Kreativität an. Ob der Hauptcharakter jetzt ein Superstar im Privatjet, ein Normalo im Linienflugzeug oder ein Astronaut ist, der bei einer Mission ins Wasser stürzt, ist vollkommen egal.

Denn alle haben das gleiche Ziel: Überleben. Und gelegentlich Zivilisation finden. Auch wenn ich mir das lieber nochmal überlege, wenn ich mir meine kleine Holzvilla am Strand so anschaue. Also erfinde ich mir kurzerhand eine eigene Geschichte, in der ich mir vornehme, dieses neue Leben anzunehmen und alle Inseln in meiner Umgebung zu erkunden. Vielleicht baue ich mir auch ein zweites oder drittes Domizil, sollte doch noch mal jemand vorbeikommen und Platz brauchen.

Green Hell

Angenehmes Ach-ich-wollte-doch-noch-das-hier-Bauen

Survival-Games fungieren als ein Kontrast zu Action-geladenen Blockbustern, den es unbedingt braucht. Wer sich in fünf Partien Warzone hintereinander stürzt, der muss auch mal ein Kartoffelfeld ernten. Wer in Doom: Eternal die Kreaturen der Hölle wieder zurückschickt, der kann seine Augen auch mal unter Wasser ausruhen, indem er ein bisschen Seetang sammelt.

Survival-Games sind perfekt, um sie vor dem Einschlafen zu spielen. Nebenbei eine seichte Serie angemacht, und schon verliert man sich in virtuellem Essen, Trinken und Ach-ich-wollte-doch-noch-das-hier-Bauen. Nicht umsonst sind Let’s Plays von Spielen wie "Raft" auch bei Nicht-Gamern beliebt. Es beruhigt ungemein, jemandem dabei zuzuschauen, wie er einer virtuellen Routine nachgeht. Dabei spielen auch die jeweiligen Soundtracks eine große Rolle, die das ganze Geschehen ebenfalls entschleunigen.

Manchmal kann man sogar etwas lernen. Im Falle der Wasserdestillationsanlage haben nämlich Palmenwedel gefehlt, mit denen die Maschinerie gefüttert werden musste. Die Hitze der Sonne lässt den Wasserdampf aus den Pflanzen aufsteigen, der sich an der Folie sammelt und schließlich in die Kokosnussflasche tropft. Ob das in echt so reibungslos funktionieren würde wie im Spiel, wage ich zu bezweifeln, aber immerhin habe ich jetzt eine leise Idee, wie ich an Trinkwasser komme, sollte ich einmal auf einer einsamen Insel stranden. (Thorben Pollerhof, 24.5.2020)