In Wien rief die FPÖ diese Woche gar zur Demo gegen den "Corona-Wahnsinn" auf.

Foto: Christian Fischer

Auf der Bühne spricht ein Arzt ins Mikrofon der Moderatorin. Was sie zu laut ist, ist er zu leise. Es geht darum, was die Regierung seiner Meinung nach im Zusammenhang mit Corona alles falsch macht. "Lauter!", rufen einzelne Besucher. Der Auftritt bleibt kurz und wenig erhellend.

Wenig später wird Vizebürgermeister Dominik Nepp (FPÖ) in seiner Rede auf das Problem der fehlenden Lautstärke eingehen. Beim nächsten Mal, prophezeit er, würde noch in der letzten Reihe dieser "Menschenmasse" verstanden werden, was vorn gesprochen würde.

Die von Nepp imaginierte Menschenmasse reichte gerade einmal bis zum Denkmal des Prinz Eugen und umfasste laut Polizeiangaben 500 Demonstranten. Sie haben sich am Mittwoch auf dem Wiener Heldenplatz eingefunden, um gegen den "Corona-Wahnsinn" zu demonstrieren; Veranstalter der Kundgebung war die FPÖ.

Niedliche Babyelefanten

Eine Stunde zuvor ist von der "Menschenmasse" noch weniger zu sehen. FPÖ-Mitarbeiter befestigen Bilder von Babyelefanten auf dem Asphalt – brav und anständig im Abstand von einem Meter. Die Elefanten sind auf Schilder gedruckt auf denen "Freiheit für Österreich" steht. Die Freiheit zu demonstrieren scheint nicht in Gefahr zu sein, die Schilder schon.

Passanten wollen sie mitnehmen, der Elefant ist so niedlich. "Erst nach der Veranstaltung", sagt ein Funktionär zu einer Frau. Sie seufzt. "Es interessiert mich eh", sagt sie, nimmt ein Schild in Beschlag und schaut in Richtung leere Bühne. Ein paar FPÖ-Fahnen wehen schief im Wind, es ist Nachmittag und sonnig. Polizisten stehen und schauen, die Security in Signalwesten und Schutzmasken tut dasselbe.

Auf den Bankerln warten verstreut die ersten Teilnehmer. Ein Ehepaar um die 60 blinzelt gegen die Sonne. "Normal gehen wir nicht demonstrieren, aber es muss sein", sagt er. Während die Frau sich abwendet, wird er redselig. Am Anfang seien die Maßnahmen in Ordnung gewesen, sagt er, aber jetzt gehe es nur noch um Kontrolle.

Die Chinesen würden nur wegen der Luftverschmutzung mit Masken herumrennen, nicht wie die Depperten hierzulande. Eine Impfpflicht werde sicher kommen, aber die will er nicht. An das Virus glaube er zwar, aber es sei nicht schlimmer als die Grippe, das wüsste jeder, der ein Hirn hätte. Nein, Arzt sei er keiner, aber informiert. Und zu den Corona-Toten würden jene dazugezählt, die sterben mussten, weil man sie wegen Corona nicht operieren konnte. "Das ist der Skandal", sagt er und macht eine wegwerfende Geste.

Trommeln und Pfeifen

Ein paar Bänke weiter sitzen zwei Herren. Einer trägt eine Sonnenbrille von Rapid Wien, der andere ist in brauner Ledertracht da, ein Bundesheerabzeichen am Revers. Der mit der Brille ist "scho daham", hat "es schon hinter sich", ist in Pension. Der andere ebenso. Corona, sagt der in Leder, sei wie die Grippe. "Die meisten wären sowieso gestorben." Und ob die Zahlen stimmen würden, wisse auch niemand, weil derzeit ja alle Toten auf Corona aufgeschlagen würden.

Die Grenzen hätte man früher dichtmachen müssen, der Kurz, mit seinen Ohrwascheln, habe versagt. Der mit der Brille lacht. Gescheiter als Masken zu tragen wäre es, die Drogensüchtigen zu kontrollieren. Stattdessen wird die Wirtschaft ruiniert, es herrsche Massenarbeitslosigkeit, die Leute würden verhungern, nur die Pharmafirmen würden sich die Hände reiben. Alles sei übertrieben, den Weltkrieg hätten die Leut’ ja auch überlebt. Wobei, da sind sich beide einig, so etwas dürfe nie wieder passieren.

Allianz gegen Wahnsinn: Mit Polemik will die FPÖ Enttäuschte abholen; Lösungen finden sich in den Broschüren nicht.
Foto: Christian Fischer

Die FPÖ-Bühne ist immer noch leer, ein erstes Lebenszeichen kommt aber von der Gegendemo beim äußeren Burgtor. An die 150 Personen stehen dort. Sie haben Trommeln und Trillerpfeifen. Auf der Bühne warnt eine Rednerin vor einer Koalition der Rechten mit den Verschwörungstheoretikern, davor, dass normale Menschen mit ihren Ängsten in der Krise von der Regierung alleingelassen und denen in die Hände getrieben würden.

Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur

Tatsächlich genießen Verschwörungstheorien immer Zuspruch, klar, wer wünscht sich nicht insgeheim, dass Elvis noch lebte? In Krisenzeiten aber haben sie Hochkonjunktur. Wenn ins Wanken gerät, was Menschen als Sicherheit wähnen, werden sie anfällig für falsche Versprechen und Erklärungen. Die Rationalität schwindet, wenn das Verlangen der Gefühle zu stark wird. Dann wird das Tröstliche wichtiger als Vernunft und Wahrheit.

Verbreitung findet der Unsinn über soziale Netzwerke. Zu Corona sind jede Menge Theorien im Umlauf: Es sei bloß eine Grippe. Die Chinesen hätten es im Labor gezüchtet und wollten damit die Weltwirtschaft an sich reißen. Es diene dazu, die Bevölkerung zu kontrollieren und allen einen Chip einzusetzen ...

So absurd können Verschwörungstheorien gar nicht sein, dass sie nicht Gehör finden. Ihre Verbreiter genießen die Rolle der vermeintlichen Insider mit dem Geheimwissen, sie gefallen sich als ach so kritische Geister, die hinter die Kulissen blicken. Widerrede befriedigt ihre Eitelkeit und steigert ihr Ansehen nach dem Prinzip "Viel Feind, viel Ehr".

Die simplen Erklärungsmodelle populistischer Parteien wie die der FPÖ mit ihrer Einteilung der Welt in Gut und Böse funktionieren ähnlich. Selbst wenn ihre eigene moralische Verwahrlosung samt tatsächlicher Verschwörungsabsicht auf Video festgehalten wird – die Täter sind immer die anderen, sie selbst das Opfer.

Ein paar Lacher

Die Rede des Wiener Vizebürgermeisters Dominik Nepp ist schließlich die bekannt-polemische Oppositionsrhetorik, ihre Zielscheibe hauptsächlich Bundeskanzler Sebastian Kurz. Den Mundschutz nennt Nepp "Regierungsburka", das bringt ihm ein paar Lacher und Applaus. Lösungen hat er keine, aber Forderungen, die nach Versprechen klingen sollen. Dann geht er ab.

Vom Band läuft die Bundeshymne, instrumental, damit man die Töchter nicht unnötig besingen muss. Die Moderatorin dankt, die Veranstaltung zerstreut sich, einige Grüppchen besprechen nach.

Martin Sellner steht herum. Neben dem rechtsextremen Identitären halten zwei ein Plakat, auf dem "Heimatschutz statt Mundschutz" steht. Gleich daneben posiert Johann Gudenus für Selfies und grinst. Maske trägt er keine. Seine ist längst gefallen. (Karl Fluch, 23.5.2020)