Autorin Cécile Wajsbrot erzählt vom Wert der Kunst.

Foto: imago images / Christian Thiel

Eine Autorin, die bisher das schöne Schreiben gewohnt war, sitzt nun nachts an ihrem Schreibtisch in Paris und soll Bericht abgeben. Niederschreiben ohne die gewohnten Korrekturdurchgänge. Es geht bei dem ihr gestellten Schreibauftrag nicht um die Form, sondern um das Zeugnis eines Widerstands gegen ein tyrannisches Regime, an dessen Anfang Populismus stand. Sie soll die Veränderungen der Gesellschaft abbilden. Wer ihr Auftraggeber ist, weiß sie nicht und auch wir, ganz im Gedankenstrom der einsamen Chronistin verhaftet, haben keine Ahnung. Aber nicht nur deshalb ruft Cécile Wajsbrots Zerstörung Beklemmung hervor. Auf 230 Seiten bündelt die Autorin (55) eine Vielzahl aktueller Debatten wie mit dem Brennglas und schreibt die Gegenwart in eine fatale Zukunft fort.

Dabei hatte es so bequem begonnen. Ob Sexismus, Umweltverschmutzung, Rassismus oder Hass auf Flüchtlinge – gegen alles das hatte unsere Chronistin im Internet Petitionen unterschrieben. Doch jetzt erkennt sie den Klick am Computer als falsche "Allmachtsfantasie". Auch Follower und Smartphones entlarven sich ihr nun, da es zu spät ist und das Regime verpflichtende Apps darauf installiert hat, als Instrumente der Überwachung und Entfremdung, die einem bloß vortäuschten, "mit der ganzen Welt in Kontakt zu sein", während man tatsächlich nicht einmal mit den Entwicklungen vor der Haustür umzugehen wusste. Immerhin besuchte man mit den nun Regimetreuen früher einmal dieselben Bars, Märkte, Viertel. Als ihre Sprache spitzer wurde, schottete man sich aber von ihnen ab und meinte, so den Konsens bewahren zu können. Jetzt dringen die einen nicht mehr zu den anderen durch.

Populismus bedroht Kunst

Wenig daran, wie Wajsbrot den Populismus als alles zersetzende Fehlentwicklung aus der Mitte der Gesellschaft heraus beschreibt, ist einem unbekannt. Sie umreißt slicke Populisten und verführte Abgehängte, Politikerverdrossenheit und Wut gegen "Eliten", die Macht suggestiver Sprache. Doch in ihrer Komprimiertheit ist Wajsbrots kulturpessimistische Warnung trotz subjektiver Erzählerin analytisch kraftvoll. Besonderes Augenmerk gilt der Rolle der Kultur.

Auch sie ist von den neuen Machthabern auf Linie gebracht worden. Bücher wurden plötzlich als zu kompliziert genannt, Inszenierungen zu raffiniert, Aufführungen zu lang. Inzwischen sind Klassiker der Literatur verboten, Romane bestehen nur mehr aus kurzen Sätzen, verfasst im Präsens und mit kaum Adjektiven: "So wird die Abfolge von Ideen, so wird das Denken zerstört". In der Kunst zählt Ähnlichkeit als Prüfstein, alles andere ist aus den Museen verschwunden. Filme offenbaren nicht mehr fremde Welten, sondern bekräftigen die bestehende. Kunst als Übung darin, sich selbst zu befragen und Verständnis zu lernen, ist passé. Die Theater spielen nur mehr zur seichten Unterhaltung. Diese "geistigen Gitter", fürchtet die Chronistin, werden das Verständnis für Geschichten und Leute von woanders her "bald erschweren".

Ihre Freunde stören sich daran kaum mehr. Sie haben sich mit dem neuen Angebot an Ablenkungen arrangiert. Sind sie nicht ohnehin nie in Museen gegangen? Wen interessieren alte Bücher? Sie erkennen nicht, dass so kollektives Gedächtnis gelöscht und ein "Nullpunkt" geschaffen wird. Zerstörung ist ein Mahnmal für Kultur als Erinnerungsspeicher, Erfahrungsschatz, Denkschule. Gut, geht das von Corona stillgestellte kulturelle Leben bald wieder los. (Michael Wurmitzer, 23.5.2020)