"So sind wir nicht", sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach Erscheinen des Ibiza-Videos. Mit Blick auf die aktuellen Ermittlungen dazu muss man sagen: Stimmt – wir sind noch viel schlimmer. Allem Anschein nach schaffen es die heimischen Ermittlungsbehörden nicht, in einem der heikelsten und politisch brisantesten Fälle der Zweiten Republik sauber vorzugehen. Von der Zusammensetzung der Soko Ibiza bis hin zu Gerichtsentscheidungen ergibt sich ein jämmerliches Bild einer Republik, die auf Korruptionsbekämpfung pfeift und dafür mit aller Härte des Gesetzes – und vielleicht darüber hinaus – jene verfolgt, die uns vor den Korruptionsfantasien der damaligen freiheitlichen Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus bewahrt haben.

Was in den ersten zwölf Monaten der Ermittlungen bereits alles passiert ist, lässt sich nicht einfach mit österreichischem Schlendrian und der landestypischen Wurstigkeit abtun. Da sind Vorgänge darunter, bei denen man sich fragt, ob die Verantwortlichen auch nur eine Ahnung vom Rechtsstaat besitzen.

Szene aus dem Ibiza-Video.
Foto: APA/HARALD SCHNEIDER

Man nehme das Beispiel des Polizisten N. R., der im Zentrum des Skandals steht. R. schrieb Strache am Tag nach dem Ibiza-Video, er wünsche sich dessen "Rücktritt vom Rücktritt". Bizarr genug, dass ein Polizist sich motiviert fühlt, als erste Reaktion auf Ibiza solche Dinge zu schreiben und nonchalant mit dem Vizekanzler Kontakt aufzunehmen. Sei’s drum. Er verheimlichte seine Affinität zu Strache der Soko Ibiza ("Tape"), für die er dann herangezogen wurde. Dann vermasselte er aus Sicht der Korruptionsstaatsanwaltschaft die Beschlagnahme von Festplatten bei der ÖVP – Stichwort Schredderaffäre. Da kam man dann plötzlich drauf, dass R. nicht nur Strache-Fan, sondern auch noch ÖVP-Gemeinderat war. In der Zwischenzeit konnte der doppelt befangene Beamte aber auch noch wichtige Zeugen gegen Strache und den Ex-FPÖ-Chef selbst einvernehmen. Plötzlich poppten der Reihe nach neue Vorwürfe gegen die mutmaßlichen Ibiza-Urheber auf.

Geruch von Befangenheit

Aber die Soko und die Gerichte hinterfragten die Ermittlungsergebnisse des Strache-Fans nicht, sondern sie nutzten diese exzessiv aus und ließen auf ihrer Grundlage Handydaten von hunderttausenden Berlinern auslesen.

Der Fisch beginnt ja bekanntlich am Kopf zu stinken, und auch Soko-Chef Andreas Holzer haftet der Geruch von Befangenheit an. Denn es war genau Holzer, der 2015 keine Ermittlungen durchführte, nachdem der Strache-Bodyguard R. und dessen Anwalt M. Hinweise auf Korruption geliefert hatten. Jetzt ist Holzer Chefermittler gegen die ehemaligen Hinweisgeber; die ihm vorwerfen, Korruptionsindizien ignoriert und so das Ibiza-Video nötig gemacht zu haben.

Das einzig Gute an dieser Sache ist, dass auch Deutschland in die Angelegenheit hineingezogen wurde. Durch die Europäische Ermittlungsanordnung ließen die heimischen Behörden ein Dutzend weitreichende Maßnahmen von der deutschen Polizei durchführen. Bei unseren Nachbarn ist das Bewusstsein für Grundrechte inzwischen ja deutlich stärker verankert. Gut möglich, dass deutsche Gerichte den heimischen Behörden Rechtsbeugung attestieren – die Ermittlungen dazu laufen schon.

So sind wir: nicht in der Lage, eine unabhängige Soko mit unbefangenen Polizisten zu besetzen. Dafür darauf erpicht, mit allen Mitteln jene zu jagen, die uns den Spiegel vorhalten. (Fabian Schmid, 22.5.2020)