Vor nicht einmal drei Monaten erntete man in Österreich noch skeptische, ängstliche und verwunderte Blicke, wenn man außerhalb der Faschingszeit eine Maske trug. Durch die Corona-Krise und die offensive Aufforderung der Regierung wurde die Gesichtsbedeckung schlagartig sozial akzeptiert. In Geschäften, Supermärkten und im öffentlichen Verkehr ist es aus Gesundheitsgründen gar verpflichtend, Nase und Mund zu bedecken.

Doch während wir gehorsam unsere Gesichter bedecken und der Anblick zur vielbeschworenen "neuen Normalität" wird, sorgten Überlegungen hinsichtlich einer verpflichtenden Contact-Tracing-App für massive Proteste von Datenschützern und Grundrechtsadvokaten. Der Protest fiel ähnlich heftig aus wie jener bei der Einführung von Gesichtserkennungssoftware durch das Innenministerium.

Unerwartete Fans

Liefert nun aber paradoxerweise just der Mund-Nasen-Schutz einen gewissen Schutz vor überbordender staatlicher Überwachung durch Gesichtserkennung?

Einige Gruppen dürften die Normalisierung der Maske durchaus mit einem gewissen Schmunzeln begrüßen. Julia Spacil vom Antifa-Referat der ÖH Uni Wien etwa meint, dass in der Vergangenheit Demonstrierende wegen bedeckter Nasen- und Mundpartie anders wahrgenommen wurden und von Polizei und Medien schnell als "ominöser schwarzer Block" tituliert wurden – ungeachtet ihres sonstigen Verhaltens.

Nur weil man sich vermummt, muss man nicht gewaltbereit sein, meint Julia Spacil.
Foto: Jens Krick / Imago images

"Vermummung wird hier noch stärker als anderswo mit Militanz, Gesetzeswidrigkeit und Radikalität verknüpft", so Spacil. Dabei gehe es dabei vielmehr um den Schutz von Persönlichkeitsrechten, vor Gesichtserkennung oder dem Ausgeforschtwerden durch feindselige Gruppierungen. Ähnliches hört man von Fußballfangruppen, von denen regelmäßig der Vorwurf kommt, ein polizeilicher "Testbetrieb" für das Eingreifen bei Demonstrationen zu sein – Repressionen inklusive. Rechtlich ist das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes auf Kundgebungen nach wie vor ein Graubereich: Das Vermummungsverbot wurde dort bis dato noch nicht aufgehoben.

Klar ist aber auch, dass ein vermummtes Gesicht jene Menschen ein Stück weit schützen könnte, die tatsächlich Böses im Schilde führen – nicht umsonst gelten Sturmhauben quasi als Berufsbekleidung von Bankräubern.

Werden durch die neue Maskennormalität ausgerechnet jene Kriminelle oder Terroristen vor der Strafverfolgung geschützt, deretwegen man die Gesichtserkennung in erster Linie ja überhaupt erst einführen wollte? Seitens des Bundeskriminalamtes heißt es dazu, "dass der Schutz der Gesundheit und insbesondere des Lebens das Wichtigste ist". Deshalb befürworte man natürlich das Tragen der Masken. Die aktuelle Situation stelle auch grundsätzlich kein erhöhtes Risiko dar.

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Anonymer Protest auf der Straße ist in Zeiten von Gesichtserkennungssoftware so gut wie unmöglich – insofern die Regierung über die entsprechende Software verfügt und willens ist, diese einzusetzen.
Foto: AP / Kirsty Wigglesworth

Ermittlungstaktisch wäre es schließlich auch leichter, wenn niemand jemals Handschuhe tragen dürfe. Aber das verbiete man ja ebenfalls nicht, erläutert BK-Sprecher Vincenz Kriegs-Au die kriminalpolizeiliche Perspektive. Und Gesichtserkennung, die hierzulande nur nach einer begangenen Straftat als Bildabgleich-Software zum Einsatz komme, dürfe man rechtlich auch gar nicht in Echtzeit einsetzen, so Kriegs-Au.

Gefahr der Bequemlichkeit

Zweifelsohne haben die Fortschritte im Maschinenlernen und bei künstlicher Intelligenz (KI) die Gesichtserkennung revolutioniert. So hat sie teils gar zu erfolgreichen Fahndungen nach vermissten Kindern in Indien geführt. Angetrieben von den Technologie-Hubs in Tel Aviv, San Francisco und Shenzhen wurde die KI binnen weniger Jahre immer effektiver, sodass sich immer mehr Firmen und Menschen vollends auf sie verlassen. Sei es, um das Smartphone zu entsperren, eine Banküberweisung zu bestätigen oder sich Zutritt zu Firmengebäuden zu verschaffen. Die Technik ist einfach komfortabel – aber ist sie sicher? Auch wenn neugierige Arbeitskollegen oder schnüffelnde Partner ziemlich sicher daran scheitern werden, das fremde Handy per Gesichtsscan zu entsperren, sind die Softwares alles andere als fehlerfrei.

Trotzdem setzen staatliche Behörden und die Militärs dieser Welt immer öfter darauf – etwa bei der Verbrecherjagd oder in kriegerischen Auseinandersetzungen. Auch Österreich will vermehrt mitmischen. Wie eine Antwort des Innenministeriums nach Anfrage per Auskunftsgesetz durch Epicenter.works zeigt, sei etwa die Etablierung einer europäischen Gesichtserkennungsdatenbank ein "Schwerpunkt der österreichischen Ratspräsidentschaft" gewesen. Seit Ende des Jahres wird sie in Österreich eingesetzt, in den Datenbanken des Innenministeriums liegen zehn Millionen Gesichtsbilder, wie eine parlamentarische Anfrage des Neos-Abgeordneten Nikolaus Scherak zeigte.

Diskriminierung

Eine große Gefahr der Gesichtserkennungssoftware ist dabei, dass sich Menschen zu schnell zu sehr auf sie verlassen – trotz aller Unzulänglichkeiten. Außerdem diskriminieren die Systeme immer noch Minderheiten.

So "matchte" etwa Amazons Software Rekognition bei einem Test anno 2018 fälschlicherweise die Gesichter von 28 Kongressabgeordneten mit Fahndungsfotos – überproportional betroffen waren farbige Politiker.

Tausende Menschen werden Monat für Monat auf ähnliche Weise fälschlicherweise in Abgleichen als unschuldige Verdächtige ausgespuckt. Genau aus solchen Gründen warnen Verteidiger von Grund- und Freiheitsrechten immer wieder vor dem exzessiven Einsatz der Software – vor allem vor ihrer Verwendung als scheinbar stichfestes Beweismittel vor Gerichten.

Krisen sind immer wieder Brandbeschleuniger für Überwachungssoftware.
ARTEde

Oder, noch schlimmer, als Ad-hoc-Beweismittel auf der Straße, wenn vermeintliche Kriminelle oder Gefährder von den Körper-Kameras der Streifenpolizisten erkannt werden. Verheerend, wenn dann die Waffe der Beamten vielleicht zu locker sitzt wie in den USA immer wieder dokumentiert.

Aber müssen Behörden angesichts der aktuell verbreiteten Maskenaffinität ihre Software vorerst auf Eis legen? Ist sie gar obsolet, falls Masken eines Tages zum normalen Erscheinungsbild dazugehören? Mitnichten, wie China, der Marktführer in Sachen Gesichtserkennung, zeigt.

Entwicklungsbeschleuniger

In China sind Masken nicht erst seit 2020 en vogue – sei es aufgrund vergangener Pandemien oder wegen der schlechten Luft in Millionenmetropolen. Dort wurden bereits zu Jahresbeginn – kurz nach Ausbruch des Coronavirus – umgehend Strategien entwickelt, um Menschen auch mit Maske bestmöglich zu erkennen. Iwona Laub von Epicenter.works zeigt sich allerdings erleichtert, dass Österreich "technisch gesehen noch weit entfernt von solchen Systemen" ist, wie sie im Reich der Mitte genutzt werden.

Binnen weniger Wochen soll man bei Hanwang Technology – das hauptsächlich Gesichtserkennungssoftware für Zutrittsbeschränkungen anbietet – die Trefferquote maskentragender Menschen von rund 50 Prozent auf über 95 Prozent gesteigert haben, was der Quote unmaskierter Treffer von 99,5 Prozent schon durchaus nahekommt.

Geschafft habe man das, indem man einerseits 2000 in den Systemen registrierte Menschen um Abgleichfotos mit Masken bat und gleichzeitig einen Datensatz mit sechs Millionen Gesichtern samt "künstlicher Maske" produzierte. Der Algorithmus lernte fortan mehr "Augenmerk" auf die Augenpartie zu legen und sogar eine wahrscheinliche Fortsetzung des Gesichts unter der Maske zu berechnen.

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Hanwang Technology beschäftigt rund 1500 Mitarbeiter. Viele von ihnen arbeiten daran, Menschen ohne die markante Mund- oder Wangenpartie zu erkennen. Der Algorithmus schaut sich dafür etwa prägnante Punkte der Augen oder des Nasenansatzes umso genauer an.
Foto: Reuters / Thomas Peter

Die Trefferquote von über 95 Prozent gelte vorerst zwar nur für die 50.000 bekannten Gesichter in der Firmendatenbank. Für das Register aus rund 1,2 Milliarden chinesischer Personalausweise, auf das man scheinbar auch Zugriff hat, sei man noch nicht bei einer entsprechenden Erfolgsquote angekommen. Der rasante Lernerfolg dürfte aber anhalten. Gesichtserkennung trotz Maske stellt Shenzhen, Tel Aviv und San Francisco vor Herausforderungen. Unbewältigbar scheinen sie aber kaum. Die aktuelle Krise könnte der Gesichtserkennungssoftware letzten Endes gar als Entwicklungsbeschleuniger dienen.

Will man Grund-, Anonymitäts- und Freiheitsrechte wahren, wird eine Maske bald nicht mehr reichen. Ein Ausweg wäre ein Verbot des flächendeckenden Einsatzes der Software durch Behörden, wie es in San Francisco seit 2019 gilt. (Fabian Sommavilla, 24.5.2020)