Wien – Am 25. Mai ist es 85 Jahre her, dass der schwarze Leichtathlet James Cleveland "Jesse" Owens als 21-Jähriger in Ann Arbor westlich von Detroit innerhalb von 45 Minuten fünf Weltrekorde aufgestellt und einen weiteren eingestellt hatte. Im Jahr darauf errang er bei Olympia in Berlin vier Goldmedaillen in fünf Tagen – über 100 und 200 m, im Weitsprung und mit der US-Sprintstaffel über 4 x 100 m.

Jesse Owens bei den olympischen Spielen von Berlin 1936.
British Movietone

Der Großteil der Weltrekorde 1935 passierte freilich auf Strecken, die im neuzeitigen Olympiasport kein Rolle spielen. So die 100 Yards (Rekord eingestellt), die 220 Yards und 220 Yards Hürden. Zugleich galten letztere als Weltrekorde über 200 m und 200 m Hürden. Herausragend war der Weitsprung des nach einer Rauferei von Rückenschmerzen geplagten Studenten der Ohio State Universität mit 8,13 m, der ein Vierteljahrhundert bis 1960 hielt (Ralph Boston/8,21).

"Jesse schien über die Piste zu schweben. Er streichelte sie geradezu. Von den Hüften an aufwärts bewegte er den Körper praktisch nicht. Er hätte eine volle Kaffeetasse auf dem Kopf balancieren können und nichts davon verschüttet", wurde eine Aussagen von Trainer Larry Snyder übermittelt. Die medial allerdings wenig beachtete Performance war richtungsweisend für die Sommerspiele im darauffolgenden Jahr, die in Nazi-Deutschland stattfanden.

Keine Einladung ins Weiße Haus

Ein Schwarzer dominierte die Spiele in Berlin, und das Publikum verehrte ihn. "Bei Olympia das Rennen über 100 m zu gewinnen, das war mein Traum, seit ich ein kleiner Bub von 13 Jahren war", sagte Owens später. Dass – wie oft erzählt – Adolf Hitler ihm den Handschlag verweigerte, ist nicht bestätigt. Laut Owens-Autobiografie soll er ihm zugewinkt haben. Klar ist aber, dass er nach seiner Amerika-Rückkehr nicht die gebotene Anerkennung erhielt. Präsident Franklin D. Roosevelt steckte mitten im Wahlkampf, gratulierte nicht und schickte auch keine Einladung zur Ehrung ins Weiße Haus.

Laufschuh von Jesse Owens 1936 in Berlin, Marke Adidas.
Foto: imago images/adidas

Die verdienten Ehrungen gab es erst spät. 1973 erhielt Owens vom deutschen Generalkonsul in Los Angeles das Bundesverdienstkreuz. 1976 bekam er von US-Präsident Gerald Ford die Freiheitsmedaille überreicht. 1990 wurde ihm posthum von Präsident George Bush die Goldene Ehrenmedaille des Kongresses verliehen – "für seine humanitären Verdienste um die menschliche Rasse". Damit hatte er die beiden höchsten zivilen Auszeichnungen der USA erhalten. Der Leichtathletik-Weltverband ehrte ihn 2005 mit der "IAAF Golden Order of Merit".

Aus "J.C." wurde "Jesse"

Owens wurde 1913 in Oakville in Alabama geboren, die Großeltern waren als Sklaven ins Land gekommen, der Vater war Farmpächter und Baumwollpflücker. Die Familie zog in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Ohio. Der Spitzname "Jesse" ergab sich, weil die Lehrerin mit dem Akzent des Schülers Probleme hatte und das "J.C." als "Jesse" im Klassenbuch notierte. Sportlich fiel er rasch auf, ein Stipendium gab es allerdings nicht.

Mit Gelegenheitsjobs als Liftboy finanzierte er sich den Weg zu den Olympischen Spielen in Berlin. "Ich hatte zwar vier Goldmedaillen, aber vier Goldmedaillen kann man nicht essen", soll Owens danach einmal gesagt haben. Er war ein Held, aber einer, der nie in die Gesellschaft integriert wurde. Auftritte ins Nachtclubs und Zirkus, mehr war für ihn nicht zu holen. "Es war schlimm, überleben zu müssen in Schauläufen und dort sogar gegen Rennpferde anzutreten." Am 31. März 1980 starb der starke Raucher im Alter von 66 Jahren an Lungenkrebs. (APA, 24.5.2020)