Als in den letzten Wochen Wienerinnen und Wiener Kerzen und Gebete an der Dreifaltigkeitssäule am Graben in Wien deponierten, griffen sie damit auf die Erinnerung an die letzte wirklich große Pestepidemie zurück, die die Stadt 1679 heimsuchte. Um die Krankheit zu bannen, hatte Kaiser Leopold I. die Errichtung einer solchen Säule gelobt – schon im Sommer 1680 wurde eine erste, noch in Holz ausgeführte Fassung eingeweiht. Allerdings fehlten Kaiser und Kaiserin bei der Weihe, denn die kaiserliche Familie hatte zum Schutz vor Ansteckung im August 1679 die Stadt verlassen.

Die Pestsäule am Wiener Graben in der Corona-Zeit.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Odyssee durch die Erblande

Kaiserin Eleonore Magdalena, seit Ende 1676 die Ehefrau Leopolds I., korrespondierte während dieser Zeit regelmäßig mit ihrem Vater, Herzog Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg. Zwar berichtete sie vom Unterwegssein – das Kaiserpaar reiste mit dem gerade einjährigen Erzherzog Joseph zuerst nach Mariazell, um dort die Gottesmutter um Beistand gegen die Seuche anzuflehen. Da sich die Situation in Wien jedoch noch nicht veränderte, reiste man dann nach Böhmen weiter, wo sich der kaiserliche Hof mehrere Monate in Prag aufhielt. Das Kaiserpaar wechselte von dort mehrfach nach Brandýs nad Labem, einer beliebten Jagdresidenz.

Dorthin zog man sich im Mai 1680 dann zunächst zurück, als sich die Situation in Prag zuspitzte – auch dort forderte die Pest nun mehr und mehr Opfer. Nach kurzem Aufenthalt reiste die kaiserliche Familie auf der Suche nach einem sicheren Ort nach Pardubice an der Elbe weiter. Das dortige Schloss war freilich sehr klein und für die beträchtliche Zahl des Gefolges und der Dienerschaft der Herrscherfamilie kaum ausreichend. Nach einigen Wochen ging es schließlich in einer etwa zweiwöchigen Reise nach Linz, wo der kaiserliche Hof noch bis Anfang 1681 blieb. Eleonore Magdalena brachte am 13. Dezember 1680 in Linz ihr drittes Kind, Erzherzogin Maria Elisabeth, zur Welt.

Eleonore Magdalene von Pfalz-Neuburg im Porträt.
Kunsthistorisches Museum Wien, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/

"Haben entlich wegen der krankheit von Prag weichen müeßen"

Lässt sich der Reise- oder vielmehr Fluchtweg des kaiserlichen Hofes aus den Briefen der Kaiserin erschließen, so spielte die Pest selbst, die "Krankheit", wie es in den Texten heißt, lange kaum eine Rolle. Eleonore Magdalena berichtete ihrem Vater von verschiedensten Dingen: von den vielfältigen Bemühungen um die Wahl ihres jüngeren Bruders Alexander Sigmund zum Bischof von Augsburg sowie vom Fortgang der Überlegungen, ihren Vater als Statthalter in den Spanischen Niederlanden einzusetzen, aber auch von Weinlieferungen und der Musikbegeisterung des kleinen Erzherzogs. Von einer Bedrohung durch die Pest ist zunächst wenig zu lesen.

Dies änderte sich erst im Frühsommer 1680, als das Aufflammen der Seuche in Prag die kaiserliche Familie erneut zur Flucht zwang. So teilte die Kaiserin am 25. Mai 1680 ihrem Vater mit: "Haben entlich wegen der krankheit von Prag weichen müeßen, werden hier noch ein 8 dag verbleiben, darnach auf Pardoviz, dorten ein weill bleiben undt zue sehn, ob es villeicht widerumb möchte beßer werden. Gott gebe nuhr das mihr die 8 dag bleiben konnen, dan heut ein hatschier daran erkent worden, welcher zwar würklich nit hier, sondern in einen dorf nit weit. Ich hoff aber es sey niks der beschreibung nach, das es der mensch nit recht verst[e]hat, der in visitirt hatt."

Derweil spitzte sich aber die Lage in Prag eher weiter zu, wie die Kaiserin eine Woche später berichtete: "Übermorgen werden mihr unser reis auf Pardowiz vortsezen, da es leider alleweil schlimer wirt zue Prag vndt hier auch schon ettlige krankh worden seint, der liebe Gott wolle es beßeren."

Kaiserlicher "Lockdown"

Zwar gab es auch auf der Reise durchaus noch höfische Belustigungen, wie etwa einen Zwischenstopp auf dem kaiserlichen Gestüt in Kladruby oder eine Gänsejagd in den Elbwiesen. Aber deutlich wird doch, dass der Schwebezustand, der Umstand, dass der kaiserliche Hof "wegen der übelen krankheit selbsten noch kein bleibende statt gehabt", der Kaiserin naheging. Nach ihrer Ankunft in Linz in der zweiten Julihälfte 1680 war sie erleichtert, dass auf der Reise niemand krank geworden war. Eine lange besprochene Reise nach Regensburg, bei der sie ihren Vater treffen wollte, wurde jedoch immer unwahrscheinlicher, zumal es in Linz den Verdacht gab, dass ein junges Mädchen aus dem Umfeld des kaiserlichen Hofstaates an der Pest gestorben sei.

Anfang August bestand deshalb die Gefahr, dass das Kaiserpaar auch die Zuflucht in Linz bald würde verlassen müssen: "Gottlob [ist] zwar bis dato weiters niks erfolcht, Gott gebe weiters sein gnadt. Dieses veruhrsacht doch das man in villen sachen nit vort kann kommen, dan, das Gott vohr sey, wan es weiter solt kommen, mihr gahr balt wekh müesten, dan hier gahr ein enger ort ist, durften nit so lang warten, als [wir] zue Wien undt zue Prag gedahn haben."

Zwar waren die Kaiserin und ihre direkte Umgebung von der Pest zweifellos nicht in gleichem Maße bedroht wie die Masse der einfachen Bevölkerung. Die große Zahl von Toten in Wien 1679, die fast alle aus dem Hof fernstehenden Kreisen und den ärmeren Schichten stammten, hinterließ bei Eleonore Magdalena offensichtlich weniger Eindruck als der Umstand, dass in Prag 1680 auch adlige Kreise von der Seuche direkt betroffen waren. Das vergleichsweise unstete Leben des kaiserlichen Hofes, der sich mehrfach durch räumliche Distanz in (relative) Sicherheit brachte, vermittelte dessen ungeachtet auch der Kaiserin ein Gefühl von Unsicherheit.

Und das letzte Zitat legt nahe, dass ein Aspekt von Ausgangsbeschränkungen und Kontaktbegrenzungen, der uns mittlerweile durchaus vertraut ist, auch für die Kaiserin eine Belastung darstellte: der Umstand, dass man "in villen sachen nit vort kann". Für sie waren das Verhandlungen über die Besetzung von Bistümern, ihre Korrespondenzen und Überlegungen zur Reise ihres Vaters nach Wien, also zweifellos andere Handlungsfelder. Als Beschränkung und Gefährdung ihrer Handlungsfähigkeit wurde die Seuchenzeit aber offensichtlich auch von Eleonore Magdalena wahrgenommen. (Katrin Keller, 26.5.2020)