Nonne mit Schleier, Hut, Maske: Wo Gesundheit, Mode und Religion zusammenfallen, wird diskutiert.

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Es ist schon zehn Jahre her, dass die Nationalversammlung in Paris die Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum untersagt hat. Das sogenannte "Burkaverbot" – in Wahrheit hatte der Gesetzgeber den islamischen Nikab im Visier – bleibt in Frankreich aber ein Reizthema. Und wie das Coronavirus wird die Neuauflage der Debatte nun von außen eingeschleppt: Die Washington Post stellte sich in einem ironisch formulierten Beitrag plastisch vor, was einer praktizierenden Muslimin in der Pariser Metro widerfahren würde. Zuerst verlange man von ihr, ihren Gesichtsschleier abzulegen, dann folge das Verhüllungsgebot aus gesundheitlichen Gründen.

Im öffentlichen Verkehr Frankreichs ist das Tragen eines Gesichtsschutzes seit zwei Wochen in der Tat obligatorisch. Doch ist die französische Gesetzgebung wirklich widersprüchlich? Ja, der französische Staat sei "schizophren", behauptet der Anwalt Louis le Foyer de Costil. Die aktuelle Maskenpflicht entlarve das "Burkaverbot" von vor zehn Jahren als "heuchlerisch": Niemand habe jemals zugegeben, dass sich das Verbot der Gesichtsverhüllung einzig gegen das islamische Kopftuch richte.

Das Motiv im Zentrum

Es stimmt, das Gesetz von Oktober 2010 enthält keinerlei Verweis auf islamische oder auch nur religiöse Praktiken; es ist allgemein verboten, "im öffentlichen Raum eine Bekleidung zu tragen, die dazu bestimmt ist, das Gesicht zu verhüllen". Wichtig ist der Ausdruck "dazu bestimmt"; er macht klar, dass nicht nur der Umstand der Gesichtsverhüllung infrage steht, sondern ihr Motiv. In der Corona-Krise ist es – anders als im Fall des Nikab – nicht die Absicht der Behörden, einzelne oder alle Gesichtszüge zu verbergen. Absicht ist vielmehr der Schutz der Gesundheit. Die vorausdenkende Nationalversammlung hatte deshalb schon 2010 ausdrücklich eine Ausnahme vom Verhüllungsverbot "aus gesundheitlichen Gründen" aufgenommen.

Die Verfassungsrechtlerin Marie-Odile Peyroux-Sissoko erachtet es für absolut zulässig, dass die Regierung nun eine Verhüllung der Zugänge zu den Atemwegen und damit der unteren Gesichtspartie anordne. "Spaßig" sei der scheinbare Widerspruch dennoch, sagt sie. Für Betroffene gilt das sicher nicht.

Die afrofranzösische Feministin Rokhaya Diallo macht nicht nur eine widersprüchliche Rechtslage geltend. In der englischsprachigen Ausgabe des Senders Al-Jazeera schreibt sie, die heutige Maskenpflicht zeige im Gegenteil, worum es Frankreich mit dem Burkaverbot wirklich gehe – nämlich um den "Ausschluss" eines religiösen Symbols, also einer Religion. "Der Gegensatz zwischen der Darstellung des muslimischen Körpers im öffentlichen Raum und der französischen Lebensart wird klar", meint Diallo, die in Frankreich seit langem Vorwürfe des "Staatsrassismus" erhebt.

Streitbarer Laizismus

Unterstützung erhält sie aus den USA. Nach dem Bericht in der Washington Post fragte Kenneth Roth, der Chef des Hilfswerks Human Rights Watch, via Twitter: "Die französische Regierung empfiehlt Schutzmasken, aber untersagt die Burka. Kann Islamophobie offensichtlicher sein?"

In der neuen Burka-Debatte fällt auch der Unterschied zwischen dem französischen und angelsächsischen Gesellschaftsmodell auf. Der multikulturelle Ansatz der USA, wo Minderheiten nach eigenen Regeln leben, kontrastiert mit dem universellen Anspruch Frankreichs, dessen Egalitarismus keine Abweichung erlaubt und die Assimilierung der Zugewanderten verlangt – zudem den strikt laizistischen Staat. Laut Diallo diene dies nur dazu, "weiße Privilegien" zu erhalten und Muslimen Kleidervorschriften zu machen.

Andere sehen nicht nur die Widersprüche des französischen Modells entlarvt, sondern können der Corona-Krise auch sonst Positives abgewinnen. Idriss Sihamedi, Leiter des umstrittenen Hilfswerks Barakacity und bekennender Salafist, freute sich, er könne in Paris "erstmals einer Frau, die mir die Hand schütteln will, mit Freude Nein sagen". (Stefan Brändle aus Paris, 25.5.2020)