Dominic Cummings, Regierungsberater

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Nichts falsch gemacht, nichts zu bedauern – der Chefberater des britischen Premierministers Boris Johnson, Dominic Cummings, hat am späten Montagnachmittag seine persönliche Vorgehensweise im Corona-Lockdown verteidigt. Er betonte, dass es ein angemessener und legaler Weg gewesen sei, um die Gesundheit seines Kindes zu schützen. Er bereue sein Verhalten nicht – etwa auch nicht, dass er einen rund 50 Kilometer langen Trip nach Barnard Castle unternommen habe, um sein Augenlicht für die lange Fahrt nach London zurück zu testen, wie er sagt. Über einen Rücktritt habe er zu keinem Punkt nachgedacht, auch wenn er die Öffentlichkeit und Johnson vielleicht früher hätte informieren sollen. Schließlich sei es aber nicht seine Aufgabe, Johnson mit jeder Kleinigkeit zu nerven, gab Cummings zu verstehen.

Zurückgetreten aus Protest gegen das Verhalten von Cummings ist indes aber Staatssekretär Douglas Ross. Cummings' Interpretation der Ausgangsbeschränkungen "können die meisten Menschen, die die Regeln der Regierung befolgen, nicht nachvollziehen", schrieb Ross am Dienstag an Premierminister Boris Johnson.

Johnson verteidigt

Der Regierungschef verteidigte am späten Montagabend seinen Stabschef abermals und betonte, dass keiner innerhalb der Regierung die geltenden Bestimmungen gebrochen habe. Er bedauere dennoch, dass die Menschen über seinen Chief of Staff verärgert seien, deshalb habe er auch die Klarstellungen eingefordert, so Johnson, der überdies weitere Lockerungen der bisherigen Beschränkungen ankündigte.

Seinem Zeitplan zufolge dürfen ab dem 1. Juni wieder Märkte im Freien abgehalten werden, sofern sie die Hygieneregeln befolgen. Auch Autohäuser dürfen ihre Tore dann wieder öffnen. Kleidungs- und Schuhgeschäfte, Elektronik-, Spielwaren- und Buchläden sind zwei Wochen später dran. Markthallen, Schneider und Auktionshäuser dürfen ab dem 15. Juni ebenfalls wieder Kunden empfangen.

Cummings Statement, kurz zusammengefasst: Ja, ich habe Ausgangsbeschränkungen möglicherweise nicht eingehalten. Aber ich bedaure das nicht.
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Zorn der Insel

Dominic Cummings' außergewöhnliche Pressekonferenz im Garten der Downing Street Number 10 kam am Ende eines Tages, an dem über der konservativen Regierung Wellen der Empörung zusammenschlugen. Der mit Sars-CoV-2 infizierte Stabschef (48) war mitten im strengen Corona-Lockdown Ende März aus London zum Anwesen seiner Eltern ins mehr als 400 Kilometer entfernte Durham gereist; mit im Auto saßen seine ebenfalls erkrankte Frau und der gemeinsame vierjährige Sohn.

Zu dieser Zeit lautete die Anweisung der Regierung an die gesamte Bevölkerung, bis auf wenige Ausnahmen zu Hause zu bleiben und jede unnötige Reise zu unterlassen. Menschen mit Covid-19-Symptomen sollten sich 14 Tage lang isoliert in den eigenen vier Wänden aufhalten. Johnson erklärte in einer Pressekonferenz am Sonntagabend das Verhalten seines Chefberaters mit der Sorge um die Betreuung des Vierjährigen: Cummings und seine Frau Mary Wakefield, eine prominente Redakteurin des konservativen Magazins "Spectator", hätten "keine Alternative" gehabt. Das bestens vernetzte Paar lebt im wohlhabenden Nordlondoner Stadtteil Islington.

Väterlicher Instinkt

In Durham sollte Cummings‘ Schwester die Notfallbetreuung übernehmen, was durch Wakefields rasche Genesung letztlich nicht erforderlich wurde. Die offenkundigen Lockdown-Verstöße seines Chefberaters tat der Premierminister als "Instinkt jeden Vaters" ab: "Er handelte verantwortlich, legal und mit Integrität." Mit dieser Einlassung stellten sich der einstige Anführer der populistischen "Vote Leave"-Kampagne sowie sein damaliger Chefstratege gegen die überwältigende Volksmeinung. Cummings wurde vor seinem Haus beschimpft und ausgebuht; einer Umfrage der Firma YouGov zufolge halten 68 Prozent der Briten sein Vorgehen für falsch, eine Mehrheit fordert seinen Rücktritt.

Moralische Unterstützung erhielten die Zornigen durch mehrere Oberhirten der anglikanischen Staatskirche. Der Premierminister habe "keinen Respekt für das Volk", glaubt Vivienne Faull, die Bischöfin von Bristol; Johnson habe "gelogen und uns wie Deppen behandelt", assistiert Nick Baines, Bischof im nordenglischen Leeds. Wie tausende anderer Eltern sei er "nicht einem Instinkt, sondern den Regeln gefolgt", teilte der Leiter der Diözese Worcester, John Inge, mit.

Unverhohlen forderte sein Kollege aus Manchester, David Walker, Cummings' Rücktritt: "Sonst besteht kein Vertrauen mehr in das Wort von Ministern." Baines, Faull und Inge gehören qua Amt dem Oberhaus an. Auch hochrangige Wissenschafter wiesen auf die Gefahr hin, die Öffentlichkeit könne die weiterhin geltenden Ausgangsbeschränkungen zukünftig nicht mehr ernstnehmen.

Vertrauen verspielt

"Der Premierminister hat binnen weniger Minuten das Vertrauen der Bevölkerung zerstört", glaubt der Psychologe Stephen Reicher, der einem Beratergremium der Regierung angehört. Johnsons Persilschein für den wichtigsten Mann seiner Regierung hat die Unruhe auf den Hinterbänken seiner eigenen Fraktion verstärkt. Mehrere Vorsitzende einflussreicher Unterhaus-Ausschüsse sowie frühere Staatssekretäre forderten den sofortigen Rücktritt des als eine Art Rasputin in der Downing Street ohnehin hochumstrittenen Chefberaters; andere sprachen sich für eine detaillierte Untersuchung aus.

Die Polizeibehörde der Grafschaft Durham hat am Montag ein formelles Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dabei soll geklärt werden, ob sich Cummings gesetzeskonform verhielt. Infrage steht nicht nur die Reise Ende März; auch zwei angebliche Ausflüge in die Umgebung der Universitätsstadt, bei denen der Stabschef laut britischen Medien gesichtet wurde, hätten Verstöße gegen das geltende Regularium dargestellt. (Sebastian Borger, faso, 25.5.2020)