Die Grünen erwecken in der Regierung mitunter den Eindruck, als sei nicht nur die Maske, sondern auch das Wertekorsett verrutscht. Doch sie profitieren vom persönlichen Image ihrer Frontmänner wie Werner Kogler.

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Die Fehlersuche fällt bei den Grünen leicht. Seit Regierungseintritt können kritische Geister genügend Sündenfälle finden, in denen die Partei Grundsätze aus der Zeit vor der Macht verletzt hat. Weitgehend widerstandslos folgt der kleine Koalitionspartner der harten Flüchtlingspolitik der ÖVP, erstaunlich offensiv beteiligt er sich am Abwürgen der Opposition im Parlament. Auch handwerklich bleiben Wünsche offen. Das erste Regierungsmitglied, das wegen grober Schnitzer abtreten musste, war mit Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek eine Grüne.

Doch es gibt ein schlagkräftiges Argument gegen den Befund, dass die Grünen neben den übermächtigen Türkisen untergehen: die Umfragen. Da mögen in den links-liberalen Zirkeln Wiens noch so viele über die knieweichen Neo-Regenten schimpfen – am Stimmungsbarometer der Demoskopen lässt sich das nicht ablesen. Fünf Monate nach dem Einstieg in die Koalition liegen Werner Kogler und Co laut diversen Erhebungen mit 16 bis 17 Prozent deutlich über dem Wahlergebnis von 13,9 Prozent von Ende September.

Zum Verlieren verdammt

Die Grünen fallen damit doppelt aus der Norm. Erstens sind Juniorpartner in Regierungen, wie eine europaweite Untersuchung zeigt, besonders häufig zum Verlieren verdammt – unter anderem aus jenen Gründen, die sich nun auch hierzulande zu zeigen schienen. Die Nummer zwei einer Koalition hat geringere Verhandlungsmacht, um Anliegen durchzusetzen. Gelingt doch einmal ein Erfolg, wird dieser oft dem Regierungschef gutgeschrieben.

Zweitens ist der stabile Höhenflug im Österreich-Vergleich der letzten 20 Jahre fast beispiellos. Die FPÖ landete bei ihren drei Regierungsbeteiligungen in Umfragen nach fünf Monaten nie so deutlich über ihrem jeweiligen Wahlergebnis – oft lag sie darunter. Nur die ÖVP verbuchte zeitweise ein ähnlich solides Plus.

Das schwarze Hoch im Jahr 2009 unter dem neuen, noch unverbrauchten Obmann Josef Pröll legt eine Erklärungen für das aktuelle grüne Standing nahe. Auch damals hatte die Regierung schwere Zeiten zu bewältigen, auf den Bankencrash vom Herbst 2008 war eine tiefe Wirtschaftskrise gefolgt. Dass sich viele Bürger in solchen Situationen erst einmal den Machthabern zuwenden, sei ein auffälliges, wenn auch in den Ursachen wenig erforschtes Phänomen, sagt der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik. Dies gelte besonders im Fall einer Art Naturkatastrophe wie der Corona-Krise, für die eine Regierung schwerlich beschuldigt werden könne.

Reflexartiger Run zu den Mächtigen

Eine aktuelle, länderübergreifende Studie zeigt eine geradezu reflexartige Reaktion. Als Italien am 9. März den ersten landesweiten Lockdown in Europa verhängte, schnellte bei laufenden Umfragen in Frankreich, Deutschland, Polen und Spanien die Zustimmung zu den jeweiligen Amtsinhabern plötzlich empor – obwohl die dortigen Regierungen selbst noch keine Maßnahmen beschlossen hatten.

Die Krise stütze die Grünen noch aus einem anderen Grund, glaubt Ennser-Jedenastik. Ideologische Differenzen in einer Regierung büßten an Bedeutung ein, die für die Partei heiklen Fragen – Flüchtlinge! – spielten keine große Rolle mehr. Statt inhaltlicher Positionen seien den Wähler momentan Eigenschaften wie Kompetenz oder Vertrauenswürdigkeit wichtig, sagt der Experte, und da stünden die Grünen nicht schlecht da. Besonders Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober erfreuen sich hoher Vertrauenswerte.

Und selbst wenn grüne Sympathisanten unzufrieden sind: Wohin sollen sie denn flüchten? Die SPÖ, traditionelle Hauptkonkurrentin im Match um das links-liberale Milieu, war die längste Zeit mit einer Führungsdebatte beschäftigt und übte schon einmal stärkere Anziehungskraft aus. Von dort laufen die Wechselwähler eher davon.

Der Groll in der Blase

Wie viele Anhänger noch Ja zu den Grünen sagen, obwohl ihnen Widersprüche zwischen Sein und Schein sauer aufstoßen, weisen die Umfragen nicht aus. Womöglich sickert Unmut dann in breite Schichten durch, wenn ideologisch aufgeladene Politdebatten allmählich den Ausnahmezustand der Krise verdrängen – oder aber der Groll ist ein nur auf eine kleine Blase beschränktes Phänomen.

Zu den Innenpolitikredakteuren des STANDARD dringen zwar viele Klagen enttäuschter Menschen aus dem grünen Sympathisantenkreis, doch das muss nicht repräsentativ sein. Der letzte Wahlkampf habe gezeigt, dass sich mediale Debatten nicht immer im Wahlergebnis abbilden, sagt Ennser-Jedenastik. Damals waren die Berichte voll von dubiosen Wahlkampfspenden, geschredderten Festplatten und anderen Affären rund um die ÖVP. Geschadet hat das nicht: Die Türkisen fuhren noch einmal um sechs Prozentpunkte mehr ein als nach ihrer reibungslosen Kampagne von 2017. (Gerald John, 9.6.2020)