Urwald statt Bahnhofshalle: Wo wegen Corona neun Tische wegmussten, wurde im Artner auf der Wieden Exotik installiert.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Natürlich gilt es in dieser dramatischen Zeit unsere Hoteliers und Wirte nach Kräften zu unterstützen. Natürlich spricht heuer fast alles für prachtvolle Sommerferien daheim. Aber die verschwitzte Bauernschläue, mit der sich die Regierung um die Grenzöffnung zu unseren liebsten Urlaubsdestinationen zu winden versucht– damit auch ja alle bei der Hotellobby daheim buchen müssen –, war ein minder elegantes Abputzen an den Grundpfeilern Europas.

Man darf sich nicht wundern, wenn uns die europäische Idee nach Ungarn und Polen demnächst auch in Italien, Griechenland oder Kroatien um die Ohren fliegt: Wir tun seit Wochen alles dafür.

Was laut Kanzleramt jedenfalls erwünscht ist, sind Besuche bei "unseren österreichischen Gastwirten". Dass darunter ganz zweifellos alle Gastronomen gemeint sind, die in den gemeinsamen patriotischen Steuertopf einzahlen, ist ja wohl klar. Und zwar ganz egal, welches Reisedokument sie besitzen, ganz egal ob sie Pletschutschnigg, Nowak, Cheng oder Hussein heißen. Sonst hätte es der bedacht formulierende Kanzler sicher nicht so unmissverständlich verlautbart.

Aber gut, im aktuellen Fall geht es zum Glück eh um eine Adresse mit der raren Kombination aus zwei Protagonisten mit uraustriakischen Namen, da kann wirklich keiner schief schauen. Markus Artner und Küchenchef Markus Höller haben eine charmante Lösung gefunden, um die Wahrung der Abstandsregeln mit Atmosphäre aufzuwiegen.

Die neun (!) Tische, die aus dem Ur-Artner in der Floragasse entfernt werden mussten, haben sie durch einen ganzen Haufen mächtiger Bananenstauden, Palmen und sonstiger Gummibäume ersetzt. Es ist eine sehr zivilisiert-exotische Urwaldveranda-Atmosphäre, die irgendwie an Sri Lanka, aber auch an Lateinamerika erinnert. Also ziemlich genau das, was man sich in Zeiten erzwungener Immobilität wünschen möchte.

Weltklasse-Burger

Nennt sich "Jungle-Pop-up", auf der Karte aber zeigt Höller schon recht deutlich, in welche Richtung er das wegen des Shutdowns verschobene Redesign des Lokals schicken will: einerseits kreative Tapas in mannigfaltiger Variation, neoiberisch inspiriert, mit vielen heimischen Grundprodukten, aber ohne Scheu, sich in anderen Regionen des gemeinsamen Kontinents umzuschauen.

Und anderseits ein knappes Hauptspeisenangebot zwischen Steak und Spargel, bei dem ausgerechnet der Burger ("Jungle XO Beef", unglaublich geschmackstiefer, knuspriger, saftiger Patty, tolle Kombi aus Wildkräutern und Chilimayo!) besonders hervorsticht. Ein Weltklasse-Burger – und das in Wien!

Foto: Gerhard Wasserbauer

Flammenwerfer

Die eigentliche Musik spielt bei den Tapas, die Höller mit Witz, Geschmackssicherheit und der ihm eigenen Virtuosität als Reigen köstlicher Happen an die Tische bringt. Tunfisch-Tartare zum Beispiel, in einen kugelförmigen Tapioca-Mais-Chip gefüllt (der lässt sich gerade noch in einem Bissen genießen!), ganz wunderbar frisch, knusprig, von kühl schmelzender Geilheit.

Oder eine Carpaccio-Scheibe vom Rind, mit drei Jahre altem Gouda, Miso, Röstzwiebel und einem Nugget Räucheraal getoppt, das bei Tisch mittels Flammenwerfer angekokelt wird: wuchtige Aromen zum Selbst-Zusammenrollen. Eine klassische Paradeiser-Bruschetta bekommt Räuchermatjes und einen Tupfer Aioli obendrauf – Himmel, ist das gesamteuropäisch gut.

Foto: Gerhard Wasserbauer

In dieser hoch elaborierten Tonlage geht es dahin, das Angebot wechselt ständig. Ach ja: Wer zwischen 16 und 18 Uhr auf eine Flasche Wein vorbeikommt, bekommt drei verschiedene Tapas aufs Haus. Wenn das kein Grund ist, diesen Corona-Sommer ein bissl südeuropäisch anzugehen. (Severin Corti, RONDO exklusiv, 5.6.2020)

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