Hetzen war gestern progressiv. Heute ist’s die Philosophie von Qualität und Verlangsamung wie bei Maria Hassabi.

Thomas Poravas

Bei den Festwochen 2020 hätte die zypriotisch-amerikanische Choreografin Maria Hassabi mit und in der Wiener Secession eine Performance-Installation mit dem Titel Times zeigen sollen.

"Gemeint war ,Times 2020‘", sagt sie. "Wenn die Arbeit nächstes Jahr gezeigt wird, dann schreiben wir 2021." Bis dahin werden sich die Zeiten geändert haben. Für Hassabi ist es schwierig, über ein Werk zu sprechen, das nicht wie geplant stattfinden kann: "Wer weiß, was in dem Jahr bis zur Aufführung passieren wird?"

Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeitet die Künstlerin unter der Prämisse der Entschleunigung – eher als schöpferische Reflexion denn als Lebensprinzip. Denn sie selbst, sagt Hassabi, sei und arbeite eigentlich schnell.

Zeit haben, um zu verstehen

Ihre Konzentration auf Entschleunigung "begann 2009 als meine Reaktion vor allem auf die Performance und natürlich auf das Alltagsleben. Wenn ich Performance sage, meine ich Tanz. Ich wollte, dass die Leute innehalten. Ich wollte sie genauer anschauen und Zeit haben, um zu verstehen. – Es ist darauf hinausgelaufen, dass ich das für mich selbst gemacht habe."

Dafür ließ Maria Hassabi Bilder in ihre Arbeiten einfließen. Bilder, begründet sie, geben den Betrachtern "Zeit und Raum" für ihre eigenen Projektionen. Übersetzt man Bilder in Performances, kommen immer Tableaux vivants heraus. Und das erschien ihr nur wenig relevant. Sie bevorzugte die "Bewegung von einem Ort der Stille zum nächsten" und die Möglichkeit, durch langsame Bewegung Brüche im Ablauf zu vermeiden.

Weil sie den Eindruck narzisstischer Auftritte vermeiden wollte, brachte sie die "Körperlichkeit" ihrer Tänzer "in eine Situation, die sich für sie unangenehm anfühlt". Erreicht wird das nicht nur durch Langsamkeit, sondern auch über die Anstrengung, bestimmte Körperpositionen zu halten.

So positioniert sich Hassabi im Spektrum der Theoriedebatte um die politische Bedeutung der Entschleunigung eindeutig auf der Seite etwa von Hartmut Rosa.

Ohne rasenden Stillstand

Der deutsche Soziologe publiziert seit Jahren über die Zusammenhänge zwischen "Beschleunigung und Entfremdung" – in Opposition zur Bewegung der "Akzelerationisten" mit Vertretern wie Nick Land und Nick Srnicek oder in Berlin Armen Avanessian. Sie entwickelten um 2013 die Idee, die Herrschaft der Beschleuniger durch Vorgriffe auf die Zukunft ad absurdum zu führen.

Die Auseinandersetzung zwischen Be- und Entschleunigern im Tanz gelangte vor rund 15 Jahren an einen Wendepunkt, der sich in Hassabis Werk exemplarisch niederschlug. Damals legte die Wirtschaft, bedingt durch die Hyperakzeleration der digitalen Technologie, noch einen Zahn zu: Immer schneller rasen seither Bilder über die Displays und Screens, aus dem Schauen wird permanente Stimulanz.

Das genaue Gegenteil ist bei Maria Hassabi zu erleben. Ihre Figuren reizen – etwa in Werken wie "SlowMeDown", "Plastic" oder "Chandeliers" – zum genauen Schauen. Eine Herausforderung für das Publikum, das etwa Plastic 2015 im New Yorker MoMA erleben konnte.

Darüber hinaus brachte Has sabi das Innehalten bisher unter anderem zur Documenta14 in Kassel, aber auch ins Pariser Centre Pompidou oder ans Amsterdamer Stedelijk Museum.