Der kleine Ort Hallstatt war Zentrum und Sinnbild des Massentourismus. Corona zwingt zur Neuorientierung.

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Wo sich früher täglich bis zu 10.000 Touristen durch die Hauptstraße gewälzt haben, tummeln sich Schwäne, Enten und Katzen. Die Natur habe sich einen Teil Hallstatts zurückerobert, schildert Julia Kovarik: "Es ist ausgesprochen ruhig dort gewesen, und Hallstatt war ein putziges, verschlafenes Bergdorf in den österreichischen Alpen. Von der sonstigen Hektik der Tagestouristen war nichts zu bemerken."

Die ORF-Journalistin hat Hallstatt sowie Bad Aussee und Altaussee Ende April besucht, also mitten im Corona-Lockdown, um gemeinsam mit Beate Haselmayer zu zeigen, wie die Corona-Pandemie den Tourismus im Salzkammergut verändert. Zu sehen ist ihre Bestandsaufnahme in der Reportagereihe "Am Schauplatz" am Donnerstag um 21.05 Uhr in ORF 2.

Wenn die Corona-Pandemie den Tourismus in Österreich zum Erliegen gebracht hat, dann war Hallstatt quasi Patient 0 – und als solcher im Koma. Denn die malerische Marktgemeinde, die gerade einmal rund 750 Einwohner zählt, wird normalerweise von Touristen geradezu überrannt – vor allem von Chinesen. Zum Leidwesen vieler Einheimischer, die unter dem Massentourismus leiden.

So hat man Hallstatt gekannt: Touristenmassen statt Idylle.
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Lesen auf der Terrasse

"Eine rund 80-jährige Frau hat gemeint, es ist jetzt wie in ihrer Kindheit in den 50er-Jahren", sagt Kovarik zum STANDARD, wenn sie die Stimmung bei den Dreharbeiten Ende April beschreibt: "Frau Zimmermann, die direkt am sogenannten Fotopoint wohnt, erzählt, dass sie erstmals seit zehn Jahren wieder auf ihrer Terrasse lesen kann." Die Hallstätter haben den öffentlichen Raum wieder für sich. Zumindest für einige Wochen. Während die einen die plötzliche Ruhe genießen, stehen die anderen vor dem wirtschaftlichen Ruin.

Monika Wenger zum Beispiel. Sie leitet das Vier-Sterne-Hotel Grüner Baum und kritisiert, dass der Lockdown am 16. März so war, wie wenn man "mit einem Auto gegen eine Wand fährt". Der Unmut gegenüber den Maßnahmen der Regierung ist groß. Sehr groß. "Man hat uns die Möglichkeit genommen, für unseren Lebensunterhalt zu sorgen. Ich kann in Hallstatt nicht anders Geld verdienen als mit Tourismus", sagt Wenger. Sie musste von ihren 45 Mitarbeitern alle bis auf drei entlassen.

Qualität statt Masse

Etwas optimistischer fällt Markus Derbls Blick in die Zukunft aus, wenngleich auch er sagt: "Die fetten Jahre sind vorbei." Derbl führt mehrere Lokale am Marktplatz wie das Café Derbl und hofft, dass sich Hallstatt künftig vom Massentourismus in Richtung Qualitätstourismus entwickeln werde. Durch den großen Ansturm an Asiaten habe man sich die letzten Jahre kaum noch um die Gäste kümmern können: "Das war schon ein ziemliches Abfüttern. Denn Chinesen wollen in 35 Minuten fertig mit dem Essen sein. Die Österreicher sind da gemütlicher und sitzen gerne bei noch einem Kaffee oder einem Schnaps."

Historische Bilder

Dass die Österreicher zu Hallstatts neuen Chinesen mutieren und die Region im Salzkammergut in den nächsten Monaten überschwemmen, ist unwahrscheinlich, und dennoch kommen derzeit viele, um Hallstatt von einer völlig neuen Seite zu erleben: "Zum Beispiel haben wir eine Familie getroffen, die auf der leeren Seestraße am Boden sitzend Fotos geschossen hat. Es hat sich herausgestellt, dass sie aus dem Nachbarort sind und diese historischen Bilder machen wollten", erzählt Kovarik. Und am 15. Mai, dem Tag der Wiedereröffnung der Gastronomie, habe es eine große Überraschung gegeben: "Hallstatt war bummvoll mit Touristen, ähnlich wie in der Zeit vor Corona, allerdings nicht mit Asiaten, sondern mit Österreichern."

Hallstatt nach dem Corona-Lockdown.
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Dass es in der Tonart weitergeht, glaubt allerdings kaum jemand. Es regiert das Prinzip Umorientierung, schildert Kovarik: "Die meisten Gastronomen sind bereits dabei, die Speisekarten für den österreichischen Gast umzugestalten. Sie hoffen nun, dass in den nächsten Jahren vermehrt deutsche und österreichische Gäste kommen können. Im Moment ist komplett ungewiss, wann Tourismus aus Asien und den USA wieder möglich ist." Oder, um es mit den Worten des Gastronomen Markus Derbl zu sagen: "Vielleicht haben wir auf ein Pferd gesetzt, das längst tot ist." (Oliver Mark, 28.5.2020)