Für viele Kinder und Jugendliche stellen Jugendzentren eine wichtige Ressource dar. Während des Lockdowns fiel diese weg – und steht jetzt auch nur unter Einschränkungen wieder zur Verfügung.

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Sie mache sich da keine Illusionen, sagt Ilkim Erdost, Geschäftsführerin des Vereins Wiener Jugendzentren: Viele Kinder und Jugendliche, die eigentlich Betreuung bräuchten, habe man in den vergangenen Wochen nicht mehr erreicht. Konkret schätzt der Verein, der 40 Einrichtungen betreibt, dass während des Lockdowns etwa die Hälfte der Zielgruppenkontakte verloren ging. Etwa 26.000 Kontakte verzeichnete man heuer im April, ca. 54.000 waren es im Vorjahr. Diese Kontakte wieder aufzubauen sei jetzt die Aufgabe für die nächsten Wochen.

Viele Angebote wurden ins Internet verlagert. In den letzten Wochen waren auch wieder verstärkt Streetworker im öffentlichen Raum unterwegs. Trotzdem bleibt die Situation prekär: "Wir laufen Gefahr, dass eine Generation ins Hintertreffen gerät", sagt Erdost zum STANDARD. Das betreffe besonders jene, die ohnehin schon mit schwierigen Voraussetzungen ins Leben starten. So mache sich etwa die Situation am Lehrstellenmarkt bemerkbar: "Viele Jugendliche berichten uns, dass sie ihre schon fix zugesagte Ausbildungsstelle doch nicht antreten konnten."

Ebenfalls beschäftigt hat die Jugendarbeiter in den letzten Wochen das Aufeinandertreffen mancher Jugendlicher mit der Exekutive. Sowohl Erdost als auch Thomas Dietrich, Vorsitzender des bundesweiten Netzwerks für offene Jugendarbeit (Boja), berichten von Polizeistrafen in der Höhe von mehreren hundert Euro, die Jugendliche zumeist wegen fehlenden Abstandhaltens kassierten. Man habe einige Jugendliche dann dabei unterstützt, Einsprüche zu erheben, sagt Dietrich. Eine Reduzierung der Strafe habe "zumeist" erreicht werden können.

Meldungen von Lehrern

Auch in vielen Familien ist es aufgrund der angespannten Lage zu schwierigen Situationen gekommen. Die Beratungshotline Rat auf Draht berichtet etwa von einem "drastischen" Anstieg der psychischen Gewalt und einem starken Anstieg von physischer Gewalt in Familien. Gleichzeitig verzeichnete die Wiener Kinder- und Jugendhilfe einen Rückgang der Gefährdungsmeldungen um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ein großer Teil der Meldungen kommt normalerweise von Lehrern.

Das dürfte sich jetzt nach dem schrittweisen Hochfahren des Schulbetriebs wieder ändern. Mit zeitlicher Verzögerung werden dann wohl auch die Auswirkungen der Corona-Krise auf Kinder und Jugendliche in ihrer vollen Dimension sichtbar werden. Schon jetzt verzeichne man wieder mehr Fälle von Gewalt, sagt Hedwig Wölfl, Leiterin des Kinderschutzzentrums Möwe, zum STANDARD. "Viele seelische und körperliche Verletzungen, die Kinder in der Zeit der sozialen Isolation erlebt haben, treten erst jetzt zutage", sagt Wölfl.

Materialien für Pädagogen

Ihr Appell an Pädagogen, denen jetzt eine Schlüsselfunktion zukomme: aktiv bei Kindern nachfragen. Sie könnten nun als Vetrauenspersonen dienen und gegebenenfalls Hilfe organisieren. Die Möwe stellt deshalb auch Tipps und Materialien für Einzelgespräche mit Kindern sowie Leitfäden zur Prävention in der Klasse kostenlos online zur Verfügung.

Auch zu Freizeitpädagogen wird der Kontakt nun wieder steigen: Seit Mitte Mai war es Jugendzentren wieder erlaubt zu öffnen. Einzelne Zentren hatten deshalb auch in den letzten Wochen schon geöffnet, heißt es seitens des Boja. Doch mit Freitag starten nun die allermeisten auch wieder mit ihrer Indoor-Betreuung, unter anderem in Wien.

Regeln für Jugendzentren

Die am Mittwoch veröffentlichte Novellierung der Corona-Verordnung hat auch Auswirkungen auf die Jugendarbeit. Doch es gelten weiterhin zum Teil "rigide Bestimmungen", wie Erdost es ausdrückt: Laut Gesundheitsministerium muss pro Person drinnen eine Fläche von zehn Quadratmetern vorhanden sein. Das bedeutet also vor allem Arbeit in Kleingruppen. Es gebe zwar durchaus auch Zentren mit Freiflächen, aber nicht im innerstädtischen Bereich, sagt Erdost.

Zudem gilt laut Ministerium Maskenpflicht. Durch die fehlende Mimik sei die Kommunikation stark eingeschränkt, sagt Erdost. Das sei besonders schwierig, wenn Jugendliche von ihren Problemen erzählen. Eine "große Erleichterung" sei hingegen, dass nun bis zu 100 statt zehn Personen bei Veranstaltungen im Freien erlaubt sind. (Vanessa Gaigg, 27.5.2020)