Schnelle Radioblitze in fernen Galaxien helfen dabei, die Lösung für ein jahrzehntealtes Rätsel zu finden.
Illustr.: Beijing Planetarium

Die Zusammensetzung der Materie im Kosmos ist den Astrophysikern in vieler Hinsicht immer noch rätselhaft. Betrachtet man etwa die Bewegung der sichtbaren Materie, so kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es dort draußen deutlich mehr Masse geben muss, als sich direkt beobachten lässt. Besonders die Geschwindigkeit von Sternen auf der Kreisbahn um das Zentrum ihrer Heimatgalaxie weist auf eine beträchtliche Lücke in der kosmischen Materiebilanz hin. Damit die Rechnung wieder stimmt, postulieren Wissenschafter die sogenannte Dunkle Materie, deren Zusammensetzung eine der großen offenen Fragen der Kosmologie darstellt.

Rechnet man all das zusammen (und lässt die Dunkle Energie außen vor), dann besteht das Universum nach dem Standardmodell der Kosmologie zu rund 85 Prozent aus Dunkler Materie und zu gerade einmal 15 Prozent aus sogenannter baryonischer, also herkömmlicher Materie. Das ergibt sich unter anderem aus theoretischen Untersuchungen zum Ablauf des Urknalls und Analysen der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung. Das Ergebnis ist eine in der Fachwelt weitgehend anerkannte Annahme darüber, wie viel baryonische Materie, also Sterne, Planeten, Staub und Gas, sich im Universum verteilen müsste.

Die Verteilung der "normalen", baryonischen Materie im Kosmos.
Grafik: ESA

Rätselhafte Lücke

Zählt man allerdings jegliche beobachtbare Materie zusammen, tut sich die nächste rätselhafte Lücke auf: Während sich die Dunkle Materie immerhin durch ihren gravitativen Einfluss bemerkbar macht, scheint von mehr als 30 Prozent der normalen Materie jede Spur zu fehlen. Etwa 20 Prozent sind demnach in Galaxien und ihren Halos gebunden, rund 40 Prozent dürften die Gaswolken zwischen den Galaxien ausmachen. Damit lassen sich unterm Strich allenfalls zehn der erwarteten 15 Prozent der Baryonen mit unterschiedlichen Inventarisierungsmethoden feststellen.

Wo steckt also das restliche Drittel jenes Materials, das aus Atomen besteht? Die Suche danach dauert mittlerweile schon fast dreißig Jahre. Zuletzt aber schien sich eine Lösung dieses Problem abzuzeichnen: Jüngste Studien deuteten darauf hin, dass sich die "verlorene" Materie in den gewaltigen leeren Räumen zwischen den Galaxien und Galaxienhaufen verbirgt, und zwar in Form von ausgedehnten Filamenten aus heißem Gas, die wie dünne Fäden die kosmischen Abgründe überspannen.

Traditionelle Methoden, etwa die Analyse von Licht ferner Quasare mit dem Röntgensatelliten XMM-Newton, halfen zuletzt, einen Teil der fehlenden Materie aufzuspüren.
Illustr.. ESA

Ein Atom in einem Großraumbüro

Schwierigkeiten beim Nachweis dieser Materie macht freilich ihre äußerst geringe Dichte, zumindest wenn man auf traditionelle Beobachtungsmethoden und Teleskope zurückgreift. Forscher verglichen den notwendigen Aufwand mit dem Versuch, ein einzelnes Atom in einem durchschnittlichen Großraumbüro zu finden. Nun aber haben Astronomen eine Möglichkeit gefunden, diese so großräumig verteilte Materie gleichsam zu beleuchten, und zwar mithilfe eines weiteren rätselhaften kosmischen Phänomens: der sogenannten Fast Radio Bursts (FRBs).

Diese Schnellen Radioblitze sind seltene energiereiche Ausbrüche im Radiobereich des elektromagnetischen Spektrums, die nur wenige Millisekunden dauern und dabei gewaltige Energiemengen freisetzen. Ihre Ursache ist bis heute weitgehend ungeklärt, obwohl die Mehrheit der Astrophysiker davon ausgeht, dass FRBs womöglich im Zusammenhang mit Neutronensternen stehen. Ein Team um Jean-Pierre Macquart von der Curtin University im australischen Perth hat sich dieser Energieblitze nun als Detektoren für die fehlende Materie bedient.

Sechs FRBs reichten

"Die Strahlung der FRBs wird durch die fein verteilte Materie zwischen den Galaxien in ähnlicher Weise gestreut wie Sonnenlicht, das von einem Prisma in seine Farbbestandteile aufgefächert wird", sagt Macquart. "Dieser Umstand half uns dabei, die Entfernungen einiger FRBs zu bestimmen, was uns wiederum Aufschlüsse über die Dichte der Materie zwischen den Galaxien gab. Um die fehlende Materie nachzuweisen, brauchten wir nur sechs Schnelle Radioblitze."

Der Australian Square Kilometre Array Pathfinder besteht aus 36 identischen Radioteleskopen, die gemeinsam einen großen Himmelsausschnitt in hoher Auflösung beobachten können.
Foto: CSIRO

Als Schlüssel zu den im Fachjournal "Nature" veröffentlichten Erkenntnissen diente das Askap-Radioteleskop (Australian Square Kilometre Array Pathfinder) der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (Csiro), wie Koautor Ryan Shannon von der Swinburne University of Technology erklärte. "Das Askap hat sowohl ein sehr großes Sichtfeld, das einen Himmelsausschnitt von der etwa 60-fachen Größe des Vollmondes einfangen kann, als auch eine hohe Auflösung", sagte Shannon. "Dies bedeutet, dass wir die FRBs relativ einfach erfassen und dann ihre Heimatgalaxien mit äußerster Präzision lokalisieren können."

Das und der Zusammenhang zwischen der Entfernung des Blitzes und der Art, wie er sich durch das Universum ausbreitet, ermöglichte es Macquart und seinem Team schließlich, die Dichte der Elektronen entlang der Sichtlinie zu den Ursprüngen der Radioblitze zu quantifizieren. Tatsächlich stimmen die so erhaltenen Ergebnisse mit jenen Werten überein, die sich aus dem kosmischen Mikrowellenhintergrund und den Annahmen über die Urknall-Nukleosynthese ergeben. (tberg, 3.6.2020)