Ständig klagen wir über nichtssagende Politiker-Interviews. Aber wenn dann einmal einer wirklich Neues und Unerhörtes erzählt, wird das kaum gewürdigt. So geschehen letzten Sonntag, als Sebastian Kurz in der "Kronen-Zeitung" enthüllte, er sei "in einer Zeit politisch sozialisiert worden, in der es undenkbar war, dass die Volkspartei stärkste Kraft in Österreich ist". Angesichts der Tatsache, dass Kurz 2003 ÖVP-Mitglied wurde – zu einer Zeit, wo die Volkspartei nicht nur mit 42,3 Prozent klar stimmstärkste Partei des Landes war, sondern auch den Bundeskanzler stellte –, lässt diese Aussage nur einen Schluss zu: Kurz hat die ÖVP mit einer anderen Partei verwechselt und ist ihr nur irrtümlich beigetreten. Ein Fehler, den er aber nicht eingestehen wollte und stattdessen später darauf bestand, die Partei in "Liste Kurz" umzubenennen.

Die mangelnde Bekenntnisbereitschaft zu eigenen Missgeschicken zeigte sich auch in der Folge seines Besuchs im Kleinwalsertal. Schon im Vorfeld hatte es Kritik gegeben, weil die besuchte Gemeinde Mittelberg ihren Einwohnern mitteilte: "Die Verantwortlichen freuen sich über eine Beflaggung der Häuserfassaden und auch Bekundungen entlang der Walserstraße."

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Eine Anweisung, die als "Führerkult" interpretiert wurde, was mir ungerecht er-scheint, zumal die Art der Beflaggung nicht vorgeschrieben war. Piraten-Flaggen, Rapid-Wimpel oder Regenbogen-Fahnen wären genauso möglich gewesen. Falls Berater des Kanzlers mit Letzterer ein Problem gehabt hätten, wäre auch eine Vatikan-Flagge mit Opus-Dei-Wappen eine Option gewesen. Abgesehen davon sind zu Ehren des Kanzlers mittlerweile Tourismusbetriebe in ganz Österreich beflaggt. Nämlich mit rot-weiß-roten Fähnchen mit der Aufschrift "Zimmer frei".

Probleme der Hochbegabten

Auch die Aufforderung zu Bekundungen entlang der Straße war durchaus ergebnisoffen. Das kann auch ablaufen wie in dem Märchen "Des Kaisers neue Kleider", wo beim Festumzug des Kaisers ein Kind aus der Menge am Straßenrand ruft: "Der Kaiser ist nackt!" Genauso hätte im Kleinwalsertal jemand rufen können: "Der Kanzler ist nur ein überschätzter Schnösel!" Was zum Glück nicht passierte, denn das wäre wohl nicht konsequenzlos geblieben.

Hubert Patterer, der Chefredakteur der "Kleinen Zeitung", berichtet gleich von mehreren persönlichen Anrufen des Kanzlers an einem Tag, in denen sich dieser über die Berichterstattung zu seinem Kleinwalsertal-Trip beklagte. Das lässt nur einen Schluss zu: Unser Bundeskanzler hat zu viel Tagesfreizeit.

Das ist ja oft das Problem bei Hochbegabten. Sie langweilen sich rasch. Im Nationalrat hatte sich das bei Kurz schon durch Candy-Crush-Spielen geäußert, nun versucht er am Handy es bei heimischen Medien auf das Höchstlevel zu schaffen.

Deshalb mein Tipp an seine Berater: Erzählt ihm doch einmal von den vielen Arbeitslosen, der Tourismus-Krise, der kaputtgesparten Justiz oder der existenzgefährdeten Kultur-Branche. Vielleicht gelingt es ja, sein Interesse zu wecken, und er sieht eine neue Herausforderung darin, gegen all das etwas zu unternehmen. Das wäre eine Win-win-Situation für alle, und Redakteure müssten nicht mehr länger als Telefonseelsorger pfuschen. (Florian Scheuba, 27.5.2020)