Es herrscht eine lange Verbundenheit, jedoch nicht in aller Freundschaft. Immer wieder kocht Unmut unter Beziehern einer Betriebspension auf, wenn Pensionskassen die Leistungen kürzen – was nach schwachen Anlagejahren öfters der Fall ist. Die Anbieter führen dies auf Schwächen des Pensionssystems in seinen frühen Jahren zurück, die längst ausgebügelt seien. Davon betroffen sind etwa 400.000 Personen mit sogenannten Altverträgen mit hohen Rechnungszinssätzen, die vor 2004 abgeschlossen wurden. Unter Pensionsbeziehern des Kassensystems dürften sie derzeit noch die Mehrheit stellen.

Wer auf sogenannten Altverträgen mit hohem Rechnungszins sitzt, dem drohen immer wieder Pensionskürzungen.
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Dazu zählt auch jene Frau, die anonym bleiben will, aber mit Schreiben der Pensionskasse VBV belegt: Seit dem Antritt im Mai 2017 wurde ihre Pension um mehr als drei Prozent gekürzt, obwohl ihr die Kasse von einem insgesamt fast sechsprozentigen Veranlagungsplus bis Ende 2019 berichtete. Wie konnte es dazu kommen?

Das Grundproblem liegt generell an den heute utopisch anmutenden Zinsannahmen aus den den frühen Tagen des Systems. In den 1990er-Jahren boomten die Börsen, die Zinsen waren hoch. Im konkreten Fall wurde der 1996 abgeschlossene Vertrag mit einem stattlichen Rechnungszins von 5,5 Prozent versehen. Für diesen Zinssatz gilt die Faustregel: je höher, desto üppiger fällt die Pension bei Antritt aus und desto stärker wird sie danach gekürzt, falls der Rechnungszins nicht erreicht wird. Was bei einer jährlichen Vorgabe von 5,5 Prozent durchaus öfters eintreten kann.

"Nie wieder aufholbar"

Was das auf Dauer bedeuten kann, darauf weist der Schutzverband der Pensionskassenberechtigten Pekabe hin. "Die negative Performance der Pensionskassen in den Jahren 2008, 2011 und zuletzt 2018 hat zu einer Kapitallücke in Milliardenhöhe und wiederholten Pensionskürzungen geführt", sagt Vorsitzender Peter Weller und bemüht folgendes Beispiel: Von einer Anfangspension von 376 Euro im Jahr 2000 sollen derzeit, nach zwölfmaliger Kürzung, gerade noch 154 Euro übrig sein. "Die so erlittenen Verluste sind für die Berechtigten nie wieder aufholbar", erklärt Weller.

Solche Zahlen wie das Beispiel der zuvor erwähnten Pensionistin stammen für Andreas Zakostelsky, Obmann des Fachverbandes der Pensionskassen und Chef der VBV-Gruppe, aus dem "historischen Pensionskassensystem", wie er es nennt. Er verweist darauf, dass die Finanzmarktaufsicht (FMA) seit Anfang 2004 einen maximal zulässigen Rechenzins festlegt – der seither von 3,5 auf nunmehr zwei Prozent gesunken ist. Dabei handelt es sich um einen Höchstwert, betont FMA-Sprecher Klaus Grubelnik. Zusätzlich würden die Parameter aller Neuverträge zwischen Kassen und Unternehmen individuell geprüft.

"Bei diesem System gibt es die aufgezeigte Problemstellung mit hohen Rechnungszinsen nicht mehr", betont Zakostelsky. Das ist allerdings ein schwacher Trost für jene Berechtigten mit Altverträgen, die derzeit laut Pekabe die Mehrheit der Pensionsbezieher stellen: Sie müssen nach schwachen Börsenjahren, wonach es wegen der Corona-Krise auch heuer aussieht, weiterhin mit Kürzungen rechen.

Reserven auffüllen

Zumal auch die Schwankungsrückstellung, die eigentlich dämpfend auf die Entwicklung wirken soll, an den Bezügen nagen kann. Nach schwachen Jahren muss sie wieder aufgefüllt werden – und zwar aus den Erträgen nachfolgender, guter Anlagejahre. "Die Rückstellung reicht nicht", lautet ein Kritikpunkt von Josef Wöss, Leiter der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer. "Das System ist viel zu schwankend", sagt er, "Man kann nicht Pensionszahlungen eins zu eins an den Kapitalmarkt hängen." Wöss spricht sich daher für eine Stärkung der staatlichen Pension aus.

In der Frühphase des Pensionskassensystems wurden die Verträge zwischen Anbietern, Unternehmen und Betriebsräten unter Aufsicht des Finanzministeriums vereinbart. Hohe Renditen erschienen in den 1990er-Jahren realistisch – zumal damit die Vorsorge für üppige Pensionszusagen der oft staatsnahen Betriebe per Einmalzahlungen ausgelagert werden konnte. Dabei galt: je höher der Rechnungszins, desto schlanker die Zahlung des Unternehmens.

Die gute Nachricht: Unter den insgesamt etwa 985.000 Berechtigten des Pensionskassensystems sind die meisten Verträge derjenigen, die noch in der Ansparphase sind, mit deutlich tieferen Zinsannahmen ausgestattet – was in Zukunft zu stabileren Pensionen führen sollte. Zumindest aus heutiger Sicht, denn ein Grundproblem bleibt: Sehr langfristige Entwicklungen lassen sich nur schwer vorhersehen. Ein Beispiel: Bis zur Finanzkrise waren Negativzinsen beinahe denkunmöglich, nun sind sie gelebte ökonomische Realität. (Alexander Hahn, 28.5.2020)