Das EU-Parlament betrat Kommissionschefin Ursula von der Leyen ganz vorschriftsmäßig mit Mund-Nasen-Maske. In ihrer Rede nahm sie sich kein Blatt vor den Mund.

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Die EU-Kommission hat im Auftrag der 27 Staats- und Regierungschefs einen "Wiederaufbauplan" zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise erarbeitet. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte das auf "Next Generation" getaufte Programm am Mittwoch im EU-Parlament vor. Kernpunkt: Brüssel will 750 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen.

Frage: Wozu braucht man diese EU-Mittel, die Staaten pumpen doch bereits viele Milliarden in ihre Wirtschaften?

Antwort: Die Corona-Krise führt heuer laut Prognosen EU-weit zu einer Rezession von 7,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das Coronavirus betrifft zwar alle Staaten, wirtschaftlich werden die EU-Mitglieder jedoch unterschiedlich hart getroffen – Südeuropa etwa wegen des Tourismus viel härter als Nord- oder Osteuropa. Drohen einzelne Staaten abzustürzen, ist auch der europäische Binnenmarkt in Gefahr. Sinn des Planes ist es, in der Union und der Eurozone wieder Stabilität zu erlangen. Dazu gehört, mit bereits hochveschuldeten Staaten, die sich aus eigener Kraft nicht günstig finanzieren können, solidarisch zu sein.

Frage: Wie will man das erreichen, welche Ziele verfolgt die Kommission?

Antwort: Next Generation kann als großes gesamteuropäisches Wirtschaftsprogramm gesehen werden. Es werden weder "alte Schulden" der Staaten bedient, noch soll es großteils in den Konsum gehen. Sondern es soll den nachhaltigen Strukturwandel in Europa unterstützen. Die Kommission hat dabei drei Prioritäten: Projekte, die dem Klimawandel entgegenwirken, die Digitalisierung der Wirtschaft befördern und die Gesundheitssysteme stärken.

Frage: Wer bekommt wie viel?

Antwort: Spanien und Italien kriegen den Löwenanteil. Wobei der größte Profiteur Italien wäre – mit fast 173 Milliarden Euro, davon wären 82 Milliarden Zuschüsse und der Rest Kredite. Für Spanien sind rund 140 Milliarden vorgesehen.

Frage: Wie geht das Geld an die Staaten?

Antwort: Teils als Zuschüsse, teils als Kredite. Wobei zwei Drittel, oder 500 Milliarden, die als nichtrückzahlbare Subventionen vorgesehen sind. 250 Milliarden sollen als Kredite zu niedrigen Zinsen an die Mitgliedsländer weitergegeben werden.

Frage: Erhält man diese Zuschüsse einfach so ohne Bedingungen?

Antwort: Im Gegenteil. Zuschüsse gibt es nur unter Auflagen, sie sollen mit dem "Europäischen Semester" verknüpft werden – wie es auch bei anderen EU-Förderungen der Fall ist. Damit müssen die EU-Mitglieder auch weiterhin sauber haushalten und notwendige Reformen in Angriff nehmen. Die sogenannte Konditionalität ist bei Zuschüssen größer als bei Krediten.

Frage: Was ist das "Europäische Semester"?

Antwort: Die EU-Kommission sieht sich Anfang jedes Jahres die nationalen Budgets der Mitgliedsstaaten an. Sie empfiehlt dabei länderspezifische Maßnahmen, um die Wirtschaftspolitik der EU-Länder zu koordinieren. Das soll ausgeglichene Haushalte garantieren, Beschäftigung schaffen und Ungleichgewichte reduzieren.

Frage: Warum dann nicht nur Zuschüsse, sondern auch Kredite?

Antwort: Das Geld steht allen EU-Mitgliedern zur Verfügung – auch jenen, die nicht bereits zu hoch verschuldet sind. Die EU-Nettozahler bestanden darauf, dass EU-Gelder nicht "verschenkt", sie wollen keine Schulden-Union. Ihnen geht es darum, dass die eigenen Steuerzahler nicht für die Ausgaben anderer Staaten zahlen müssen.

Frage: Warum müssen auch die Kredite von der EU als Schulden vorfinanziert werden?

Antwort: Brüssel will Next Generation in das EU-Budget 2021 bis 2027 integrieren. Dieses speist sich aus Beiträgen und soll rund 1,1 Billionen Euro umfassen. Die zusätzlichen 750 Milliarden muss sich die Kommission leihen. Wegen des guten Ratings geht das zu sehr niedrigen Zinsen– also günstiger als für manchen EU-Staat.

Frage: Es gibt schon ein Corona-Hilfspaket.

Antwort: Ja, über Rettungsschirm (ESM), Kreditgarantien und Kurzarbeitgeld (Sure) stehen bereits 540 Milliarden bereit.

Frage: Es soll nochmals zusätzliche Garantien für Kredite an Unternehmen geben. Erhöht das die EU-Schulden?

Antwort: Garantien werden schlagend, wenn ein Kredit ausfällt. Im Normalfall bedienen Firmen ihre Schulden selbst. Brüssel hat hier einen Hebel: Das Volumen der Garantien übertrifft die Summe der dafür notwendigen EU-Mittel um ein Vielfaches. Firmen können so viele Milliarden Euro an privatem Kapital lukrieren.

Frage: Wie will Brüssel die Schulden später zurückzahlen?

Antwort: Möglichst nicht über die Erhöhung nationaler Beiträge. Die Kommission will eine drastische Erhöhung der eigenen Einnahmen. Zehn Milliarden Euro pro Jahr sollen durch den Handel mit Emissionszertifikaten ins Budget gespült werden, weitere zehn über eine Solidarabgabe von Konzernen. Fünf bis zu 14 Milliarden Euro pro Jahr könnten aus einer CO2-Abgabe bei Einfuhren in die EU erlöst werden. Digitalsteuern würden 1,3 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Auch eine Abgabe auf Plastikmüll ist geplant.

Frage: Darf die EU jetzt unbegrenzt Schulden aufnehmen?

Antwort: Nein, Next Generation soll bis 2024 begrenzt werden. Die EU-Anleihen sollen eine Laufzeit von 30 Jahren haben.

Frage: Wie geht es jetzt weiter?

Antwort: Die Obergrenze für "Eigenmittel" der Europäischen Kommission muss erhöht werden. Dafür braucht es nicht nur den einstimmigen Beschluss der Regierungschefs und des EU-Parlaments. Die nationalen Parlamente müssen das Budget ratifizieren. Und zwar binnen 1. Jänner 2021, sonst kann es nicht anlaufen. Im Juni steht ein EU-Gipfel an, die Kommission rechnet aber erst im Juli mit einer Einigung zwischen den Staatschefs. (Thomas Mayer aus Brüssel, Aloysius Widmann, 27.5.2020)