Die nun erfolgte Strukturreform war überfällig, finden die beiden Rechtsanwälte Richard Soyer und Philip Marsch im Gastkommentar.

Justizministerin Alma Zadić entmachtet ihren höchsten Beamten und will eine "innere Gewaltenteilung" etablieren.
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Die Neuorganisation der Agenden der für Strafrecht zuständigen Sektion IV im Justizministerium wird in personeller und politischer Hinsicht heiß diskutiert. Und ja, der aktuelle Sektionschef ist eine schillernde Persönlichkeit, die zu solchen Diskussionen durchaus einlädt. Wagt man jedoch den Schritt zu einer Analyse unabhängig von der Person, offenbart sich die sachgerechte Lösung gleichsam von selbst.

Eine Doppelrolle

Die Aufgaben der Strafrechtssektion in ihrer aktuellen Ausgestaltung reichen von der Vorbereitung strafrechtlicher Gesetzesvorschläge (Legistik) bis zur Aufsicht über einzelne Strafsachen, welche das Weisungsrecht gegenüber Staatsanwaltschaften beinhaltet. Das war nicht immer so. Bis 2009 waren diese Agenden stets in getrennten Sektionen verortet, womit die damalige Justizministerin Claudia Bandion-Ortner Schluss machte. Ob die Zusammenlegung der beiden Sektionen der Effizienz dienen sollte oder ob man sich damals bloß eines unliebsamen Sektionschefs entledigen wollte, kann dahingestellt bleiben. Die Kritik an der Zusammenlegung fiel jedoch einhellig aus und gilt noch heute: hochproblematische Vermischung von Rechtspolitik und individuellen Strafverfahren. Warum? Sehr einfach:

Der Legist bereitet die Gesetzesentwürfe zur Einbringung als Regierungsvorlagen im Nationalrat vor. Er hat sich in dieser Funktion mit Vertretern der Politik, der Verwaltung, der Kammern und anderer Interessenvertretungen auszutauschen sowie sich an öffentlichen Debatten und solchen in Fachkreisen zu beteiligen. Er ist ein gut vernetzter Tausendsassa, der das große Ganze im Blick hat und unterschiedliche Interessenlagen, losgelöst vom Einzelfall, jongliert. Im Sinne der Gewaltenteilung wird diese Funktion der Legislative zugerechnet.

Daneben gibt es die fachliche Aufsicht über die Staatsanwaltschaften. In dieser Funktion können in Einzelstrafsachen Weisungen erteilt werden, zum Beispiel von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ganz abzusehen, dieses einzustellen, weitere Ermittlungen durchzuführen oder Anklage zu erheben. Dies soll insbesondere die Gesetzmäßigkeit staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren, ja von Strafverfahren überhaupt, sicherstellen. Diese Funktion ist damit der vollziehenden Staatsgewalt zuzuordnen. Auf dem Tisch des hier zuständigen Beamten landen insbesondere die clamorosen Fälle, also "Strafsachen, an denen wegen [...] der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht" (Paragraf 8 Absatz 1 Staatsanwaltschaftsgesetz). Das sind die Strafsachen ausgerechnet jenes Personenkreises, mit welchem sich der Legist ständig austauschen und abstimmen muss.

Nestroy’sches Dilemma

Man muss kein Montesquieu sein, um zu erkennen, dass die 2009 erfolgte Vereinigung dieser beiden Funktionen in einem Amt mit Blick auf unser Verständnis von Gewaltenteilung und Machtbalance ein kardinaler Fehler war.

Darüber hinaus generiert eine solche Doppelrolle unabhängig von der jeweiligen Person den äußeren Anschein der Befangenheit. Die beamtete Weisungsspitze der Strafjustiz wird damit einem Nestroy’schen Dilemma ausgesetzt, indem sie täglich der Frage ausgesetzt wird: Wer ist stärker, ich oder ich?

Eine Überforderung

Auf der praktischen Ebene bedeutet die mit der Doppelrolle verbundene kumulierte Arbeitslast eine Überforderung. Dies hat sich in den letzten Jahren in beiden Bereichen materialisiert. Notwendige Reformen des strafprozessualen Haupt- und Rechtsmittelverfahrens wurden auf die lange Bank geschoben. In clamorosen Strafsachen kam es zu menschenrechtswidrigen Verzögerungen, weil Akten monate-, teilweise jahrelang im Ministerium lagen.

Die von Justizministerin Alma Zadić mutig und selbstbewusst in Angriff genommene Trennung der Bereiche ist nicht nur eine sachgerechte Lösung, sondern die überfällige Korrektur einer Fehlentscheidung. (Richard Soyer, Philip Marsch, 28.5.2020)