Im Gastkommentar antwortet die Bildungssprecherin der Grünen, Sibylle Hamann, Eytan Reif. Der Mitinitiator und Sprecher des Volksbegehrens "Ethik für alle" kritisiert, dass ausgerechnet unter einer Regierungsbeteiligung der Grünen der Ethikunterricht als "Ersatzpflichtgegenstand für den Religionsunterricht" kommen wird. Der Gesetzesentwurf des Bildungsministeriums für ein alternatives Pflichtfach ab Herbst 2021 ist derzeit in Begutachtung.

Als "grünen Sündenfall" bezeichnet Eytan Reif in einem Gastkommentar im STANDARD die geplante Einführung eines Ethikunterrichts an österreichischen Schulen. Auch sonst ist die Empörung des Autors groß, warum, weiß man nicht so recht: Es handle sich um einen "Zwangsethikunterricht", der "diskriminierend" und "verfassungsrechtlich bedenklich" sei und überdies eine "grobe Verletzung der Religionsfreiheit". Das ist polemisch, in sich widersprüchlich und schwerst übertrieben. Deswegen hier ein paar Worte zur Klarstellung.

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Ethikunterricht soll, wo immer möglich, gleichzeitig – in derselben Schulstunde – stattfinden wie der konfessionelle Religionsunterricht.
Foto: dpa / Karl-Josef Hildenbrand

Ethik als Unterrichtsfach an die Schulen zu bringen ist eine alte Forderung der Grünen. Könnte ich als grüne Bildungssprecherin unsere Lehrpläne auf dem Reißbrett neu entwerfen, ich würde es mir idealerweise so vorstellen: als Unterrichtsfach für Kinder aller Altersstufen, egal ob und welchem Religionsbekenntnis sie angehören, in dem gemeinsam sowohl über die Grundlagen von Ethik als auch über verschiedene religiöse Denksysteme diskutiert wird. Auf dass wir alle mehr darüber erfahren, wie anders sozialisierte Menschen jeweils ticken, und womöglich sogar Gemeinsamkeiten entdecken, wo wir sie vielleicht gar nicht vermutet hätten. Der gesellschaftlichen Integration könnte das nur guttun.

Ob neben diesem Fach "Ethik" der konfessionelle Religionsunterricht an den Schulen weiterbestehen sollte? Da gab es bei den Grünen stets unterschiedliche Ansichten – schließlich ist bei uns das gesamte Spektrum von überzeugten Laizisten bis hin zu engagierten Gläubigen vertreten, und das finde ich gut so. (Grundsätzlich vermute ich, dass die meisten Grünen – egal ob gläubig oder nicht – es besser finden, wenn Religion von geprüften Lehrkräften an öffentlichen Schulen gelehrt wird, statt womöglich von radikalen Predigern in privaten Hinterhöfen.) Die Frage nach der Abschaffung stellt sich in absehbarer Zeit jedoch ohnehin nicht – was nicht nur an der ÖVP und der angeblichen Macht der Bischofskonferenz liegt, sondern auch am Konkordat, das den konfessionellen Religionsunterricht völker- und verfassungsrechtlich bombenfest einbetoniert hat.

Ein Schritt nach dem anderen

Nun also zum Gesetzesentwurf des Bildungsministeriums, der vergangene Woche in Begutachtung geschickt wurde. Er entspricht dem, was die beiden Koalitionsparteien im Regierungsprogramm vereinbart haben. Er sieht für das kommende Schuljahr die Einführung des Schulfachs "Ethik" im Umfang von zwei Wochenstunden vor, allerdings noch längst nicht flächendeckend, sondern nur für Schülerinnen und Schüler der Oberstufe und nur für jene, die nicht den konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Für Reif, den Sprecher eines Volksbegehrens, das "Ethik für alle" fordert, muss das klarerweise viel zu wenig sein. Man kann aber auch sagen: Es ist ein Anfang, eine offene Tür.

Mehr würden die Schulen im Moment noch gar nicht schaffen. Erst müssen ja noch die Lehrpläne für das neue Fach erstellt werden, die Ausbildung der Lehrkräfte läuft ebenfalls erst an. Hier wird ein Schritt dem anderen folgen, die Ausweitung auf die Unterstufe wird sicher der nächste sein, sobald die organisatorischen Grundlagen dafür geschaffen sind.

Wichtiges Signal

Der wichtigste von Reifs Kritikpunkten ist, dass der Ethikunterricht derzeit ausschließlich die "Religionsverweigerer" (wie er sie nennt) umfasst. Doch hier gibt es ein wichtiges Signal, in dem ich viel positives Potenzial sehe: Der Unterricht soll, wo immer möglich, gleichzeitig – in derselben Schulstunde – stattfinden wie der konfessionelle Religionsunterricht. Das eröffnet, ganz pragmatisch, die Möglichkeit, dass Religions- und Ethiklehrerinnen und -lehrer sich miteinander absprechen und zu gemeinsamen Aktivitäten zusammentun können, mit allen Jugendlichen gemeinsam. Initiativen und Bereitschaft dazu gibt es vonseiten vieler engagierter Pädagoginnen und Pädagogen schon lange. Im Ergebnis käme das der grünen Idee des "gemeinsamen, konfessionsübergreifenden Ethik- und Religionenunterrichts für alle" dann schon recht nahe – ohne große ideologische Grundsatzdebatten und ohne Abschaffung des Konkordats.

Bleibt Reifs spannende Frage, wie sich die Einführung des Ethikunterrichts auf die Zahl der Abmeldungen vom Religionsunterricht auswirken wird. Die einfache Antwort: Speziell in der Oberstufe, von der wir derzeit reden, wird das weniger von der religiösen Inbrunst der Jugendlichen abhängen, sondern schlicht von der Attraktivität der Alternativen.
Wenn die direkte Konkurrenz dazu führt, dass sich sowohl Religions- als auch Ethikpädagoginnen und -pädagogen darum bemühen, ihren Unterricht so interessant wie möglich zu gestalten – wer sollte etwas dagegen einzuwenden haben? Die Grünen jedenfalls nicht. (Sibylle Hamann, 28.5.2020)