Noch gibt es kein grünes Licht aus Brüssel für die Milliardenflüsse an Lufthansa aus Berlin.

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Wien/Brüssel/Frankfurt –Mit der vorläufigen Nichtinanspruchnahme des staatlichen Rettungspakets hat der Poker um die Zukunft nach Corona so richtig begonnen. Die Europäische Kommission scheint nicht gewillt, den zwischen deutscher Regierung und Unternehmen ausgehandelten Deal über neun Milliarden Euro einfach passieren zu lassen.

Brüssel pocht auf die erstmals anzuwendenden Regeln für umfangreiche Coronahilfen an Unternehmen und verlangt mehr Wettbewerb auf dem Lufthansa-Heimatmarkt. Die Marktmacht des längst auf Belgien, Österreich und die Schweiz gewachsenen Kranich-Konzerns gründet sich auf seiner starken Stellung an den wichtigen Flughäfen der Region. Hier besitzt der Lufthansa-Konzern historisch gewachsen zahlreiche Start- und Landegenehmigungen (Slots) zu attraktiven Zeiten. An den Hauptflughäfen München und Frankfurt sind es grob jeweils zwei Drittel aller zur Verfügung stehenden Slots. Und genau die will Brüssel im Gegenzug zur angepeilten Staatshilfe reduzieren.

Erholung gefährdet

Nach Lufthansa-Verständnis gefährden die Forderungen unnötigerweise die schnelle wirtschaftliche Erholung des Rettungsobjekts. Die Zinslast zur Rückzahlung der staatlichen Kredite und stillen Einlagen seien ohne den Verkauf von attraktiven Unternehmensteilen wie der Lufthansa Technik ohnehin kaum zu schultern, heißt es in Unternehmenskreisen. Weitere Gewinneinschnitte könne man nicht verkraften.

Warten auf Start- und Landeerlaubnis: Am 15. Juni will Lufthansa den Flugbetrieb wieder hochfahren.
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Das Geschäftsmodell der großen Netz-Carrier basiert auf hohen Zubringer-Frequenzen an den Heimat-Drehkreuzen. Lufthansa sammelt in ganz Europa Passagiere ein, um in Frankfurt oder München ihre Langstreckenflüge nach Asien und Amerika zu füllen. Ähnlich agieren die Konkurrenten Air France/KLM und British Airways, die wie Lufthansa an ihren jeweiligen Heimatflughäfen dominieren.

Geschacher hat begonnen

Im Hintergrund hat bereits ein Geschacher begonnen: Anfänglich war von 20 Flugzeugen mit bis zu 80 Slots die Rede, inzwischen soll die EU auf knapp 50 Slots runtergegangen sein, die Lufthansa in München und Frankfurt abgeben soll. Das Unternehmen habe sich bereit gezeigt, temporär auf drei Start- und Landepaare zu verzichten, und das auch nur für Gesellschaften, die keine Coronahilfen kassiert haben.

Wegen der schwer abzuschätzenden Folgen hält Airline-Berater Gerd Pontius den Entzug von Slots nicht für die beste Lösung. "Nach meiner Einschätzung muss sich die EU-Kommission derzeit neu sortieren, um die vor Corona undenkbaren Entwicklungen auf dem europäischen Luftverkehrsmarkt einheitlich zu bewerten. Die Drohung mit dem Slotentzug scheint mir eher ein warnender Fingerzeig zu sein." Pontius spielt damit auf die Quasi-Verstaatlichung der Alitalia und die von der EU-Kommission unbeanstandeten Milliarden-Staatskredite für Air France-KLM an.

Doch weniger Staatsbeteiligung?

Für Lufthansa scheinen auch andere Konsequenzen möglich zu sein. An der Börse rechnen manche Beobachter damit, dass das Rettungspaket noch einmal aufgeschnürt und die direkte Beteiligung des Staates abgeschwächt werden könnte. Es hatte allerdings im innerdeutschen Diskussionsprozess bereits deutliche Kritik gegeben, dass sich die öffentliche Hand angesichts der horrenden Einlagen mit zu geringen Kontrollbefugnissen begnüge, statt Umwelt und Jobs mit ihrem Einfluss zu schützen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) werden von Gegnern des Lufthansa-Hilfspakets verspottet.
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Nutznießer einer Slot-Abgabe könnten die ungarische Wizz Air, Easyjet oder der irische Billigflieger Ryanair werden. Dessen Chef Michael O'Leary schimpft am lautesten über die "subventionssüchtige" Lufthansa und erhöht mit Klagedrohungen den Druck auf die EU-Wettbewerbshüter. Die deutschen Gewerkschaften zeigten sich empört, dass gut tarifierte Lufthansa-Jobs gestrichen werden könnten, um Platz für weniger gesicherte Jobs bei den sprunghaften Billigfliegern zu machen.

Drohkulisse Insolvenz

Frühzeitig hat Lufthansa als Drohkulisse die Möglichkeit eines Schutzschirmverfahrens in die Diskussion gebracht. Das ist eine milde Form der Insolvenz und hätte weitreichende finanzielle Folgen für Eigentümer, Lieferanten, Beschäftigte und Kunden der Airline. Niemand könne ein Interesse daran haben, dass die Lufthansa in die Insolvenz geht, meint Berater Pontius. "Dafür will auch die Europäische Kommission auf keinen Fall verantwortlich sein." Er rechne daher am Ende von intensiven Verhandlungen mit einem tragfähigen Kompromiss, der Lufthansa die Zukunft sichert und mit dem alle Seiten leben können.

Monopolkommission kritisch

Der Vorsitzende der Monopolkommission der deutschen Regierung, Achim Wambach, rief das Lufthansa-Management zum Einlenken auf. "Es ist gut nachzuvollziehen, dass die EU-Kommission darüber nachdenkt, dass die Lufthansa Start- und Landerechte im Zuge des Rettungspaktes in Deutschland abgeben soll, damit der Markt wettbewerblicher wird", sagte Wambach dem Magazin "Focus".

Mutter konkurriert nur mit Töchtern

Die Wettbewerbsdynamik im deutschen Flugmarkt ist laut Wambach seit dem Ausscheiden von Air Berlin ohnehin "mangelhaft". Auf vielen Strecken konkurriere die Lufthansa "lediglich mit ihrer Hauptmarke und ihrer eigenen Tochter Eurowings". Jede staatliche Stützungsmaßnahme sei "ein Eingriff in den Markt" und wirke sich auf den Wettbewerb aus.

Die deutsche Regierung dürfe nur helfen, wenn keine andere geeignete Lösung zur Verfügung stehe, warnt Wambach, "also die Lufthansa zuvor ernsthaft alle anderen möglichen Maßnahmen von der Erhöhung des Eigenkapitals bis hin zur Refinanzierung am freien Kapitalmarkt geprüft hat". Das werde sich die EU-Kommission genau anschauen. Wambach betonte zugleich, es wäre sinnvoll, "wenn mehr Slots auf europäischer Ebene frei würden, um über deutsche Grenzen hinaus für mehr Wettbewerb zu sorgen".

Unionsparteien gegen Brüssel

In der Union stieß das Vorgehen der EU-Kommission erwartungsgemäß auf heftige Kritik. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) forderte die Gleichbehandlung der Lufthansa mit anderen strauchelnden Fluggesellschaften. "Durch die EU-Kommission darf der deutschen und somit europäischen Lufthansa kein zusätzlicher Ballast durch behindernde Auflagen in den Flieger gelegt werden. Das macht die EU-Kommission bei anderen Airlines auch nicht", sagte Scheuer der "Bild"-Zeitung – in Anspielung auf die seit Jahren staatlich gestützte Alitalia, die nun Corona-Hilfen erhält, aber keine Slots abgeben muss.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) rief die EU-Kommission dazu auf, sich jetzt darauf zu konzentrieren, "was wirklich wichtig ist". "Dass auf vernünftige deutsche Staatshilfe für die Lufthansa aus Brüssel mit der Forderung reagiert wird, die Start- und Landerechte der Lufthansa zugunsten von Billigfliegern einzuschränken, ist dabei nicht sehr glücklich", sagte Söder der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" . "Deutschland will anderen helfen, aber man muss auch akzeptieren, dass wir uns selbst helfen wollen." (dpa, Reuters, ung, red, 28.5.2020)