Tajana Gudenus (verpixelt) war schon in Wien skeptisch, ob die Oligarchennichte echt ist

Foto: SZ/Spiegel

Ganz Österreich weiß, was Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus im Sommer 2017 getan haben: Sie verbrachten einen, so Strache, "nichtphilosophischen" Abend auf Ibiza. Andere, die nicht Strache heißen, würden wohl vom Versuch sprechen, die halbe Republik an eine vermeintliche Oligarchennichte zu verkaufen. Das heimlich gefilmte Treffen, das in Ausschnitten im Mai 2019 von Süddeutscher Zeitung und Spiegel gezeigt wurde, bedeutete für Strache das Aus als Vizekanzler und FPÖ-Chef – und für die Behörden vor allem viel Arbeit.

Rasch nahmen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), Staatsanwaltschaft Wien und die Polizei in Form der Soko Tape ihre Arbeit auf. Letztere feierte nun ihr einjähriges Bestehen – und präsentierte stolz die ersten Fotos der falschen Oligarchennichte, die zur Fahndung ausgeschrieben wurde. Sie wird von der Soko als "wichtiges Puzzlestück" in diesem Fall bezeichnet. Denn immer noch gibt es große Lücken in der Causa Ibiza-Video, vor allem was den Zeitraum zwischen Aufnahme des Videos und Veröffentlichung betrifft.

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Die reiche Russin taucht auf

Viele Puzzlesteine zusammengefügt hat die Soko, was die Anbahnung des Treffens anbelangt. Einvernahmen und Polizeiberichte, die dem STANDARD vorliegen, bieten ein spannendes Bild, wie Strache und Gudenus schlussendlich auf der Finca gelandet sind: Es begann mit einer angeblichen Russin, die der Familie Gudenus Immobilien abkaufen wollte und deshalb über die Immobilienmaklerin W. Kontakt zur Politikerfamilie aufnahm.

Wie es bei den Vorbereitungstreffen in Wien zwischen Gudenus und seiner Frau Tajana, der "Russin", Anwalt M. und der involvierten Immobilienmaklerin W. zuging, haben einige der Involvierten als Zeugen geschildert. Wie man es zusammenfassen könnte: Es floss viel Alkohol.

Geht es nach Tajana Gudenus’ Zeugenaussage, kam ihr die Reiche-Russinnen-Geschichte von Beginn an spanisch vor. Ihre Freundin Irena W., eine Immobilienmaklerin, habe ihr bei einem Treffen erzählt, dass ein befreundeter Anwalt, M., eine reiche Russin an der Hand habe, die am Gudenus-Jagdgrundstück im Waldviertel interessiert sei. Die Freundin habe auf einem Zettel Infos zur Interessentin, die eine Verwandte eines reichen Russen sei, notiert gehabt: Sie sei "ein Partygirl", trinke gern viel Alkohol und vertrete die Meinung, Menschen sprächen nur unter Alkoholeinfluss die Wahrheit. Ob das bei Geschäften mit Russen üblich sei, habe sie, Gudenus, von der Maklerin wissen wollen. Die habe das bejaht.

"Verwöhntes Partygirl"

Das erste Treffen mit "der Russin" fand dann Ende März 2017 statt, im Wiener Grand Hotel. Man solle sich auf eine lange Nacht mit dem "verwöhnten Partygirl" einstellen, habe Immobilienmaklerin W. gewarnt. Gekommen sei die dann mit zwei bis vier Sicherheitsleuten, neben dem Ehepaar Gudenus und einem Bruder von Gudenus war auch J. H. dabei und Anwalt M.

Man aß zu Abend und habe viel Wodka getrunken, "der Anwalt war sehr komisch", schilderte Zeugin Gudenus. Wie sie die Russin u. a. beschrieb: sehr arrogant, sehr schlank, volle künstliche Lippen, sehr russisch aussehend, exklusiv angezogen, teurer Schmuck "wie eine neureiche Russin" eben.

Damals schon kam Ibiza ins Spiel: J. H. habe erzählt, dass er mit der Russin seit 15 Jahren jeden Sommer nach Ibiza fliege und er die Frau aus einer Zeit kenne, als sie noch nicht so viel Geld gehabt hätte. Auch übers Grundstück habe man geredet, das Treffen sei aber eher "ein Abtasten und Kennenlernen" der Beteiligten gewesen. Intensiviert wurde das Kennenlernen dann in der Bar des Hotels Melia und danach in einem Lokal im Volksgarten, wo weitergetrunken wurde. Die Maklerin habe immer wieder betont, "wie wichtig es fürs Zustandekommen des Geschäfts wäre, dass die Russin uns mag", erinnerte sich Zeugin Gudenus – und das Ziel dürfte erreicht worden sein. Denn die "Oligarchennichte" gab kund, dass sie die Grundstücke tatsächlich besichtigen möchte.

Zweites Treffen, am 26. April 2017. Diesmal traf man einander im Hotel Sofitel, "im Apartment der Russin". Zimmer Nummer 1608, größte Suite des Hotels, 2500 Euro, so die Rechnung.

Ein geplatzter Busen

Dort gab es Abendessen, und die Russin gab zu erkennen, dass sie Strache kennenlernen wolle, "da sie sich in Österreich niederlassen bzw. vernetzen will". Ein paar Stunden saß man zusammen, am nächsten Tag fand die Fahrt ins Waldviertel statt – aber die war ein wenig getrübt. Zeugin Gudenus berichtet, dass sie "derartige Gedächtnislücken" hatte, dass sie nicht sicher sei, ob nicht "schon dort irgendwie mit unerlaubten Substanzen gegen uns gearbeitet wurde". Wirklich übel sei ihr bei der Fahrt gewesen. Als sie das Angebot der Russin, die aus ihrer Handtasche ein Wodkafläschchen hervorgezaubert hatte, ablehnte, habe sie die auf Russisch beschimpft.

Ein Wiedersehen gab es dann erst wieder auf Ibiza. Gudenus habe schon vorher wissen wollen, ob die Russin denn nun Kaufinteresse habe. Die habe weitere Treffen laut Maklerin W. aber immer wieder "aus banalen Gründen" abgesagt – wobei zumindest einer laut Zeugenaussage so banal nicht gewesen sein dürfte: Es sei ihr ein Busen geplatzt, habe die Russin erklärt.

Das Problem jedenfalls dürfte am 24. Juli bereinigt gewesen sein, an dem Tag traf man einander auf der Finca in Ibiza wieder. Von Anfang an sei dort viel Wodka geflossen, "so richtig auf Druck", die Russin habe das so gewollt. Sie, Tajana Gudenus, habe den Eindruck gehabt, dass dort "eine Falle" wäre, die Russin sei ernster, weniger betrunken als sonst, aggressiver und sehr launisch gewesen. Rückblickend, so die Zeugin, habe sie den Eindruck, "dass uns dort beim Trinken etwas in die Getränke gemischt wurde". Damals habe sie ihre Beschwerden aber auf die Sonne und Alkohol zurückgeführt. Was sie zum "Lockvogel" weiters anführen könne: stammt nicht aus dem Balkanraum, und eine akademische Ausbildung zweifle sie an.

Sie kam im Maybach

Weitere Puzzlesteinchen steuerte Maklerin W. als Zeugin bei, etwa dass sie Anwalt M. vor Jahren bei einer Vertragsunterzeichnung in seiner Kanzlei kennengelernt habe. Anfang 2017 habe er sie nach ihren Kontakten zu Gudenus gefragt, er kenne nämlich eine Oligarchin, die an dessen Eigenjagd Interesse habe. Der Kontakt war also hergestellt, J. H. habe sie dann informiert, dass die Frau von ihrem Onkel 300 Millionen Euro geschenkt bekommen habe und mit ihren beiden Kindern nach Wien übersiedeln wolle.

Drei Wochen später das erste Treffen im Grand Hotel mit der Millionärin, die über "extrem lange Wimpern, sehr, sehr schmale Nase, künstliche Lippen und Brüste" verfügt habe. Im Übrigen habe sie nur Russisch gesprochen, "es war ihr egal, dass diese Sprache nur das Paar Gudenus verstanden habe". Die Russin kam im Maybach, der Maklerin habe sie zu verstehen gegeben, "dass ich ihr nicht besonders sympathisch bin", und an den Grundstücksplänen habe sie eigenartigerweise wenig Interesse gezeigt. Immerhin zahlte H. das Essen. In bar. Im Melia sei dann nur Wodka geflossen, im Volksgarten sprachen Maklerin und "Russin" zwar ein wenig miteinander, aufs "Grundstückinteresse" habe sie die potenzielle Kundin aber nicht "umleiten" können, so die Maklerin in ihrer Aussage.

Ermüdendes Wodkatrinken

Beim zweiten Treffen im Sofitel wuchsen die Geschäftsaussichten: Die Russin wolle gar ihr komplettes Vermögen in Österreich anlegen, sei der Maklerin beschieden worden. Bis vier Uhr wurde in der Suite geredet, getrunken und gegessen – was die Oligarchennichte ermüdet haben dürfte. Beim Ausflug ins Waldviertel, nach Besichtigung der Gudenus-Grundstücke, machte sie ein Nickerchen im Auto, während die anderen zu Mittag aßen.

Die Maklerin und ihre Freundin Gudenus blieben skeptisch, was die Oligarchennichte und J. H. betraf, nach einem Treffen bei Anwalt M., der ihnen eine Kopie ihres Passes zeigte, "war dann aber letztlich alles entspannt", so Zeugin W., "und wir hatten keine Zweifel mehr an den beiden Protagonisten".

Zweifel hatte dagegen der Chauffeur, der den gemieteten Maybach samt "Oligarchennichte", H. und "Leibwächter" zu den Treffen brachte. "Ich weiß, wie reiche Russen aussehen", meinte er, "und habe sofort gesehen, dass sie eben keine reiche Russin ist. (…) Man sieht das an der Kleidung und an der Bewegung, wenn jemand reich ist (…), das hat nicht gepasst." Und: "Ich habe nicht einmal ein Trinkgeld bekommen." Der Zeuge wurde übrigens auch nach der Figur seines weiblichen Fahrgasts gefragt, konnte sich aber offenbar nur an ihren Popo erinnern. Nach den Zehennägeln wurde er von den Ermittlern nicht gefragt.

Seit Mittwoch fahnden die Ermittler nun mit Fotos nach der ominösen falschen Oligarchennichte, deren Identität nach wie vor ungeklärt ist. Ob das mehr Ergebnisse bringen wird als die Angaben der Beteiligten, bleibt abzuwarten. (Renate Graber, Fabian Schmid)