Informationen zu aktuellen Themen aus dem Internet zu beziehen, ist zumindest für die deutschen Nachbarn zur Gewohnheit geworden: 71 Prozent gehen täglich online und verbringen dann dort durchschnittlich 87 Minuten. Zu diesem Schluss kommt die 2019er-Ausgabe der Online-Studie von ARD und ZDF

Filterblase und Echokammer: auch nur Fake?

Internet-Nutzer laufen Gefahr, in ihrer eigenen Filterblase zu sein und hauptsächlich Informationen zu konsumieren, die ihrem Weltbild entsprechen. Begünstigt wird dies durch individuell bevorzugte Quellen und Algorithmen von Facebook und Co., die solche Inhalte in den Vordergrund rücken, die dem jeweiligen Betrachter genehm sind. Doch hat die Filterblase, manchmal auch als Echokammer bezeichnet, weit größeren Einfluss auf die Meinungsbildung als bisweilen angenommen? 

Eine Studie von Forschern des GESIS Leibniz Instituts für Sozialwissenschaften, der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Universität Hohenheim zeigt: Facebook, Twitter, Google und Co. führen mit zu mehr Besuchen von Nachrichtenseiten und einer größeren Vielfalt besuchter Nachrichtenseiten. Die Ergebnisse können auf der Website der US-amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften nachgelesen werden. Mit diesen Daten zeigt sich: So einfach ist es leider nie.

“Hygiene-Demos” und Verschwörungstheorien zum Coronavirus

Unter dem Hashtag #Verschwörungsfilme sammelten Twitter-Nutzer vor einigen Wochen noch satirisch Filmtitel, umgedichtet auf die Corona-Krise:

Bayerischer Rundfunk

Darüber hinaus existieren allerlei Verschwörungstheorien, die Bill Gates, politische Eliten, Industrielle, finstere Schattengestalten, Chemikalien oder alles zusammen betreffen. Darüber hinaus profilieren sich verschiedene Staatslenker als Corona-Leugner, manche profitieren sogar davon, andere geraten langsam mit Faktenlagen in Konflikt.

Es liegt aber nicht nur an Corona, dass Verschwörungstheorien und krude Mutmaßungen salonfähiger wurden: Seit Juni 2019 ist es in Deutschland erlaubt, mit registrierten E-Scootern am Verkehr teilzunehmen. Und seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem Schreckensnachrichten zu den so harmlos anmutenden Fortbewegungsmitteln auftauchen. Von steigenden Unfallzahlen wird berichtet und davon, wie betrunkene Fahrer von E-Scootern ihren Autoführerschein gefährden oder verlieren. Dabei hatte die Bundesregierung bei ihrer Zulassung von E-Scootern mit ganz anderen Argumenten geworben. Sie hatte die umweltfreundlichen Aspekte der abgasfreien Elektro-Tretroller im Visier und das Ziel, mittels E-Scootern umweltfreundliche Mobilität zu fördern. Wer nun online recherchiert, erlebt wahrscheinlich den Filterblasen-Effekt.

Kritiker von E-Scootern treffen auf negatives Hintergrundmaterial, Befürworter lesen Lobeshymnen. Google und die anderen Internetriesen haben längst genug Daten gesammelt, um jedem Einzelnen die Info-Häppchen vorzusetzen, welche genehm sind. Die Strategie dahinter: In einem als positiv empfundenen Online-Umfeld bleibt der Nutzer länger aktiv und ist eher bereit, auf Werbung zu reagieren. Daraus wiederum generieren die mächtigen Webdienste Profit. Suchdiensten und sozialen Netzwerken ist zunächst einmal egal, welche Position in aktuellen Fragen individuell bevorzugt wird. Am Beispiel E-Scooter können Fachhändler wie Bikester zuverlässig Auskunft geben über Gefahrenherde beim Fahren von E-Scootern und wie diese zu minimieren sind. Seriöse Anbieter informieren ihre Kunden ausgewogen und nachvollziehbar vor einer Kaufentscheidung. Auch unabhängige Stellen wie etwa Stiftung Warentest sind gute Anlaufpunkte für neutrale und und sachliche Informationen.

Ähnlich wie bei E-Scootern verhält es sich auch bei der Diskussion um SUVs, die populären PKWs mit dem Charakter von Geländewagen. Das eine Lager kritisiert SUVs als überdimensionierte und umweltschädliche Privatfahrzeuge. Die amtliche deutsche Zulassungsstatistik hingegen weist SUVs mit gut 20 Prozent als beliebteste Wagenklasse bei den Neuzulassungen aus. Bei einer gewöhnlichen Internetsuche zum Thema SUVs wird die Filterblase jedem speziell das Material anzeigen, was dessen Meinung stützt. 

Ebenso beim dritten Beispiel Superfood: Ob Chiasamen, Gojibeeren und andere exotische Nahrungsmittel nun wirklich gut für die Gesundheit sind, spielt in der Echokammer keine Rolle mehr. Stattdessen bestärken sich die Pro- und Contra-Gruppen online separat voneinander in ihrer Haltung, ein Austausch von Argumenten wird zur Mangelware. Der Ausweg aus diesen oft unterschätzen Filterblasen findet sich darin, den automatisierten Empfehlungen im Internet nicht blind zu vertrauen. Die gezielte Suche nach unabhängigen Informationsquellen ist der Schlüssel dazu, nicht Mythen aufzusitzen, sondern tatsächlich Wissen zu sammeln und seine Entscheidungen darauf zu begründen.

Impfung gegen Corona? Verschwörungstheorien behaupten, dass damit Chips eingeplanzt werden.
Foto: NICOLAS ASFOURI / AFP

Fazit: Wie beeinflusst das Internet die Meinung?

Twitter will Fake News kennzeichnen - das nennt sich Fact Checking. Ende Mai eingeführt hat es dem Kurznachrichtendienst vor allem gebracht: die Wut von US-Präsident Donald Trump. Twitter hat verschiedene Tweets von Trump als gewaltverherrlichend, andere als Fake News markiert. Der US-Präsident fühlt sich in seiner Meinungsfreiheit beschränkt und will mit einem Gesetz gegen Twitter vorgehen. Die internationale Medienlandschaft ist geteilter Meinung über den Streit zwischen Twitter und Trump.

Doch nicht nur Streits mit Politikern könnten negative Konsequenzen solcher Markierungen sein: Das ganze Konzept kann nach hinten losgehen, denn Menschen können annehmen, alles was nicht als Fake markiert wurde, ist echt und richtig. 

Doch wie vorgehen gegen Verschwörung, Hass und gefährliches Halbwissen? Mehr Bildung, aber vor allem das wissenschaftliche Handwerkszeug, selbst Fakten checken zu können, kann helfen. (Christian Allner, 22.6.2020)