Bundesrettungskommandant Foitik hält Schlüsselanhänger als App-Alternative weiter für sinnvoll.

Foto: APA/ Georg Hochmuth

In der Corona-Krise geriet das Rote Kreuz unter Beschuss. Hilfsorganisationen kritisierten die Überpräsenz ihrer Kollegen in der Krisenarbeit der Regierung. Dadurch und etwa durch die "Schau auf dich, schau auf mich"-Kampagne, die mit türkis-grünen Werbern konzipiert wurde, galt das Rote Kreuz fortan als regierungsnah. Bei der "Stopp Corona"-App des Roten Kreuzes dachte die ÖVP wiederum laut an eine Verpflichtung, ehe es still darum wurde. Die kriselnde App will Bundesrettungskommandant Gerry Foitik nun retten.

STANDARD: Haben Sie unterschätzt, dass Ihre Krisenarbeit politisch vereinnahmt werden kann?

Foitik: Wir waren von der Heftigkeit der Debatte überrascht. Uns wurde Regierungsnähe unterstellt, obwohl wir überparteilich sind. Das politische Geplänkel der Regierung über eine Verpflichtung der App sowie die Kampfrhetorik der Opposition, dass es sich um Überwachung handeln soll, waren unnötig. Wir wollten nie eine Abkehr von der Freiwilligkeit, und die App hat nichts mit Überwachung zu tun. Das sagen auch Datenschützer. Aber die Menschen sind derart verunsichert worden, dass selbst die, die sie neutral sehen, die App nicht nutzen wollen. Vor drei Monaten hätten nur sehr wenige eine App abgelehnt, die alle Kontakte eines Infizierten innerhalb von 48 Stunden anonym benachrichtigt.

STANDARD: Haben Sie die Kritik auch bei der Politik deponiert?

Foitik: Wir können niemandem den Mund verbieten. Aber wir haben die Politik gebeten, die Diskussion über die App nicht derart weiterzuführen, wenn sie noch eine Chance haben soll und wir die 1,5 Millionen Euro, die da reingeflossen sind, nicht wegschmeißen wollen. Wir haben uns auch ruhig verhalten. Derzeit nutzen eine halbe Million Menschen die App. Es müssen deutlich mehr werden, damit es einen sinnvollen Effekt hat. Vor allem für jene, die viele Kontakte haben. Durch die niedrigen Infektionszahlen sind die neue Kampagne und die Entwicklung der App nicht mehr so zeitkritisch. Das war am Anfang der Krise anders. Deshalb wollten wir die App rasch verfügbar machen.

STANDARD: Anfangs wurde die App als wenig effektiv kritisiert, man musste nachbessern. Die App in Deutschland wird beispielsweise gerade erst fertig. Hätte Sie sich retrospektiv mehr Zeit lassen können oder gar müssen?

Foitik: Heute wissen wir, dass der Zeitdruck, den wir hatten, nicht notwendig gewesen ist, weil die Erkrankungszahlen reduziert werden konnten. Mit dem Wissen von heute könnten wir von Anfang an open source entwickeln und auf die technische Lösung in den Betriebssystemen warten. Aber die Lottozahlen am Montag zu kennen ist keine Kunst – wenn Sie sie am Samstag kennen, sind Sie Millionär.

STANDARD: Sie betonen die derzeit niedrigen Infektionszahlen. Warum braucht es die App überhaupt jetzt noch?

Foitik: Weil wir es uns als Gesellschaft nicht leisten können, wieder eine exponentielle Entwicklung der Erkrankungszahlen zu riskieren. Wir wissen, wenn wir nur einen "Superspreader" übersehen, kann das Folgen haben, die wesentlich höhere Kosten – sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich und sozial – haben, als wenn viele Menschen eine App installieren und verwenden.

STANDARD: Wie viele Infektionsketten konnte die App aufklären?

Foitik: Das wissen wir nicht. Aufgrund der anonymen Nutzung der App können wir diese Information nicht generieren.

STANDARD: In Österreich soll es wieder Tourismus geben. Inwieweit lässt sich die App mit internationalen Varianten verbinden?

Foitik: Es gibt leider noch keine Standards für diese Apps. Mit der Nutzung der Schnittstelle in die Smartphone-Betriebssysteme wissen wir, dass Apps verschiedener Länder von Smartphone zu Smartphone werden kommunizieren können. An der Verständigung der Nutzer über Landesgrenzen hinweg müssen wir allerdings noch arbeiten.

STANDARD: In der Debatte über eine App-Verpflichtung kündigte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine Schlüsselanhängerlösung für jene ohne Smartphone an. Was wurde daraus?

Foitik: Das wurde noch nicht finalisiert. Das ist für uns aber noch immer eine Alternative. Diese "Bluetooth-Beacons" kosten um die zehn Euro und lassen sich so programmieren, dass sie wie die App Kontakte sammeln und man eine Warn-SMS erhält. Auch das wäre freiwillig.

STANDARD: Wäre es zur Deeskalation nicht sinnvoll gewesen, Aufgaben in der Krise auch anderen Organisationen zu überlassen? Der Samariterbund unterstellte Ihnen wegen Ihrer Überpräsenz in der Krise ÖVP-Nähe.

Foitik: Erstens, so überrepräsentiert waren wir nicht. Wir haben nicht verlangt, dass wir auf der Kampagne mittransportiert werden. Wir haben sie vorausdenkend konzipiert, weil nur Pressekonferenzen und Verordnungen das Verhalten der Menschen nicht nachhaltig ändern. Zweitens, wir sind x-mal größer als alle anderen Rettungsorganisationen und daher x-mal leistungsfähiger. Wir sind auch österreichweit aktiv, und wir beschäftigen uns permanent mit Krisenmanagement. Wir haben nicht darum gebeten, das alles zu machen. Die Regierung meinte, die Zivildienstserviceagentur schafft das allein nicht, und hat uns gefragt. Es ist nicht, wie Ihre Frage suggeriert, unsere Entscheidung, wer gefragt wird, eine Aufgabe zu übernehmen. Es ist auch für uns wichtig, dass wir die Zivildiener dann bekommen, wenn wir sie brauchen. Daher haben wir hier geholfen. Der Samariterbund ist auch im Krisenmanagement der Regierung, nur haben sie außer 'Grüß Gott' dort nie etwas gesagt. Es kann nicht unser Problem sein, dass wir uns einbringen. Nur weil der Samariterbund eine rote Organisation ist, müssen wir keine schwarze sein.

STANDARD: Dass Präsident Gerald Schöpfer ein ehemaliger ÖVP-Politiker ist, lässt sich nicht leugnen.

Foitik: Es lässt sich aber auch nicht leugnen, dass mit Peter Ambrozy ein ehemaliger SPÖ-Landeshauptmann von Kärnten einer unserer Vizepräsidenten ist. (Jan Michael Marchart, 1.6.2020)