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Wegen Problemen bei der Gasförderung könnte es für Gazprom schwierig werden, die Pipeline für den Export nach China vertragsgemäß auszulasten.
Foto: REUTERS/Maxim Shemetov

In der sibirischen Teilrepublik Jakutien – dort, wo mit der Ortschaft Oimjakon der Kältepol der bewohnten Erde liegt – ist Frühling eingekehrt: Die Temperaturen an der Öl- und Gaslagerstätte Tschajanda klettern am Tag auf über 20 Grad. Doch Aufbruchstimmung herrscht hier nicht.

Eigentlich soll hier eifrig Gas für die nach China führende Pipeline Sila Sibiri ("Kraft Sibiriens") gefördert werden. Kremlchef Wladimir Putin und Pekings KP-Chef Xi Jinping hatten die über 2.000 Kilometer lange Leitung Anfang Dezember als Symbol des neuen Bündnisses zwischen Drache und Bär eingeweiht. Russlands Wende gen Osten schien geglückt, China eine übersprudelnde Quelle für seinen Energiedurst gefunden zu haben. Doch bisher tröpfelt es allenfalls.

Milliarden Kubikmeter

Heuer soll Gazprom fünf Milliarden Kubikmeter Gas über die Kraft Sibiriens liefern. Kurz vor Jahresmitte vermeldete die chinesische Zollbehörde, dass seit der Einweihung der Pipeline im Dezember nun die erste Milliarde Kubikmeter Gas eingegangen sei. Kein Wunder: Im März wurde die frisch eröffnete Pipeline für mehrere Wochen dichtgemacht – offiziell aus Wartungsgründen.

Inoffiziell dürfte die Corona-Krise eine Rolle gespielt haben. Der Shutdown der chinesischen Wirtschaft hat den Gasbedarf in China drastisch gesenkt. Kaum waren die Probleme auf der einen Seite der Grenze einigermaßen im Griff, brach die Krise auf der anderen Seite los.

So musste Gazprom zuletzt in Tschajanda eilig ein mobiles Krankenhaus aufbauen. Unter den Arbeitern ist die Covid-19-Seuche ausgebrochen. 3.500 der insgesamt gut 10.000 Mann starken Belegschaft haben sich Ende April mit dem Coronavirus infiziert. Inzwischen sind über 7.000 Personen aus den Montagesiedlungen ausgeflogen worden. Erst am Montag wurde die Quarantäne aufgehoben.

Lage "unter Kontrolle"

Die Lage befinde sich "unter Kontrolle", versichert der stellvertretende Chef des Gazprom-Pressediensts, Andrej Tschernych. "Erdgasförderung und -konditionierung in der Lagerstätte Tschajanda werden routinemäßig durchgeführt", sagte er. Die Gaslieferungen nach China würden wie vertraglich vereinbart ausgeführt, fügte er hinzu.

Dabei ist Covid-19 nicht das einzige Problem in Tschajanda: Laut Medienberichten gibt es massive Schwierigkeiten mit der Erschließung der Lagerstätte. Die Internetzeitung lenta.ru berichtete, dass bei geologischer Erkundung und den Bohrungen gravierende Fehler gemacht wurden.

"Das Hauptproblem Tschajandas besteht darin, dass die Lagerstätte nicht fertig für die Erschließung ist. Sie war in der Phase der Erkundung. Die geologischen Erkundungsarbeiten sind fast überall weder begonnen noch beendet", zitiert das Medium den Leiter der Gazprom-Förderabteilung, Andrej Filippow, mit einem Eingeständnis gegenüber Gazprom-Ingenieuren aus dem Oktober 2019. Diese hatten gravierende Mängel festgestellt.

Gravierende Mängel

Durch eine falsche Bohrlösung sei bei 41 der bis dahin insgesamt 148 angezapften Gasquellen der Ertrag stark gefallen, 20 Bohrlöcher erwiesen sich gar als völlig "trocken", schreibt Lenta.ru unter Verweis auf einen internen Gazprom-Bericht. Allein die Verluste aus diesen 20 Bohrlöchern beziffert lenta.ru auf 334 Milliarden Rubel (4,3 Milliarden Euro). "Dass es solche internen Berichte bei Gazprom gibt, die ungeschminkt die Realität aufzeigen, ist mir seit meiner Arbeit im Energieministerium vor 20 Jahren gut bekannt", bestätigt der Energieexperte Alexej Turbin dem STANDARD.

Die Ausschreibung für die Bohrungen hat Gazprom Burenje gewonnen. Was wie der Name einer Gazprom-Tochter klingt (und auch einst eine war), gehört seit neun Jahren zum Imperium des Milliardärs und Judo-Partners von Wladimir Putin, Arkadi Rotenberg. Der wiederum hat die Firma auf seinen Sohn Igor überschrieben.

Die Anzahl der trockenen Bohrlöcher wollte Gazprom auf Nachfrage nicht kommentieren. Der Konzern betonte stattdessen, dass der Ertrag pro Bohrloch bisher "höher als projektiert" sei. Auch die Gesamtproduktion von 25 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr sei in den Planungen nicht nach unten korrigiert worden. Bislang ist das Unternehmen noch weit von diesen Planzielen entfernt.

Probleme durchgesickert

Zudem ist lenta.ru nicht das einzige Medium, das von den Schwierigkeiten bei den Bohrungen berichtet. Das Branchenjournal neftegaz.ru bestätigt, dass die Probleme vor Monaten bereits durchgesickert seien, und spekuliert, dass die jetzigen Berichte darauf abzielten, ein Abzwacken von Vorräten in Westsibirien zu erklären, die eigentlich für andere Projekte gedacht waren, beispielsweise die Pipeline Nord Stream 2, deren Realisierung sich durch die Sanktionen immer weiter verzögert.

Zumindest sind die Pläne für die Befüllung der China-Pipeline durchaus auf Kante genäht: Die Vorkommen in Tschajanda werden inzwischen nur noch auf 1,2 Billionen Kubikmeter taxiert, auch wenn früher noch Schätzungen über zwei und später 1,4 Billionen Kubikmeter Gas kursierten. Der Liefervertrag mit China gilt für 30 Jahre und pro Jahr 38 Milliarden Kubikmeter Gas.

Pipeline wird erweitert

Zudem hat Putin jüngst eine Erweiterung der Pipeline um sechs Milliarden Kubikmeter zugesagt. Unterzeichnet ist dieser Vertrag noch nicht, aber annonciert wurde er bereits. Zwar soll mit der Lagerstätte Kowykta noch ein weiteres großes Gasfeld später die Kraft Sibiriens füllen. Noch ist Kowykta aber nicht erschlossen – und auch hier sind Probleme nicht ausgeschlossen.

"Wenn es bei Tschajanda wirklich Schwierigkeiten gibt, dann wird es Gazprom aufgrund der geografischen Lage relativ schwerfallen, die Lücke zu füllen", sagt Turbin. Wlad Karassewitsch, Dozent an der Moskauer Gubkin-Universität für Öl und Gas, sieht zumindest kein geopolitisches Problem: Die Gasvorräte in Sibirien reichten aus, um die Pipeline zu befüllen. Gazprom müsste notfalls dann aber auch Rosneft und unabhängige Gasförderer in der Region an der Befüllung der Export-Pipeline beteiligen, meint er.

Das will Gazprom sicher vermeiden. Denn sonst dürften die Verluste exponentiell steigen. (André Ballin, 2.6.2020)