Wegen eines Pressefotos sorgt der Präsident erneut für Irritation, Empörung und Kritik.

Foto: imago images/UPI Photo

Die amerikanische Polizei ist großteils außer Kontrolle. Sie geht gegen gewalttätige wie gegen friedliche Demonstranten mit der gleichen willkürlichen, rassistischen und rechtsstaatswidrigen Gewalt vor. Dokumentiert wird das in dutzenden millionenfach geteilten Handyvideos. Die "rogue cops" (Schurkenpolizisten) glauben, dass sie das können, weil Präsident Donald Trump nicht nur hinter ihnen steht, sondern sie auch noch anfeuert.

Allerdings hat diese Polizeigewalt die Proteste, die durch die willkürliche, qualvolle Erstickung eines unschuldigen afroamerikanischen Bürgers ausgelöst wurden, sieben Tage lang nicht ersticken können. Deshalb droht der Präsident jetzt damit, nicht nur die Nationalgarde (Miliz), sondern auch die reguläre Armee einzusetzen.

Das wäre ein dramatischer Schritt in Richtung einer autoritären Herrschaft. Anzeichen für den Weg der USA zu einem sogenannten "failed state" oder eher "failing state" gibt es bereits – zu einem gescheiterten oder scheiternden Staat.

Die Unruhen finden vor dem Hintergrund einer vom Präsidenten zunächst geleugneten, dann völlig inkompetent bekämpften Pandemie und vor allem von Rekordarbeitslosigkeit (40 Millionen) und der Befürchtung einer neuen Great Depression wie in den 1930ern statt. In der Folge droht die Gefahr, dass aus den USA statt einer Demokratie ein autoritärer Staat wird.

Als "failed states" bezeichnet man Staaten, in denen die staatlichen Institutionen nicht mehr funktionieren und die ihren Bürgern nicht mehr die notwendigsten Grundsicherheiten bieten können: physische und soziale Sicherheit, inneren Frieden, gesellschaftlichen Ausgleich, Rechtssicherheit. Ein "failed state" existiert durchaus weiter, er wird nur von unkontrollierten Machtgruppen beherrscht, von Oligarchen etwa oder von schwerbewaffneten weißen Nationalisten, die, wie im Bundesstaat Georgia, ungestraft die Legislative besetzen.

Die Bedingungen eines "failing state" bestehen schon länger. Trump hat sie durch seine gestörte Persönlichkeit, seine absolute Inkompetenz, die aber von einer instinktiven Schläue begleitet wird, extrem verschärft. Die soziale Ungleichheit, die mangelnde soziale Absicherung, die immer tiefere Kluft zwischen dem reaktionären, rassistischen und dem halbwegs moderaten Amerika hat er bewusst verstärkt. Gleichzeitig beförderte er mit Absicht den Abstieg der USA als weltpolitische Ordnungsmacht. Corona hat das alles verschärft. Und in dieser tiefen gesellschaftlichen Verunsicherung durch Corona hat dann die Tötung eines Schwarzen durch die Polizei das Fass zum Überlaufen gebracht.

Donald Trump ist kein starker Mann wie der von ihm bewunderte Wladimir Putin oder Tayyip Erdoğan. Er ist nur ein Scharlatan, und die US-Institutionen sind immer noch stark. Auch könnte ihm bei aller Law-and-Order-Mentalität der Amerikaner die Wirtschaftskrise schaden. Man muss allerdings damit rechnen, dass er mit allen – allen – Mitteln versuchen wird, seine Wiederwahl zu garantieren. Es wird ihm zugetraut, das Wahlergebnis durch Betrug zu fälschen – oder eine Niederlage mit der Behauptung von Betrug einfach nicht anzuerkennen.

Undenkbar? Mit Trump ist nichts undenkbar. Das eigentliche Indiz für den Abstieg der Supermacht USA in Richtung "failing state" ist das Faktum, dass so einer überhaupt Präsident werden konnte. (Hans Rauscher, 3.6.2020)