Italiens Giuseppe Conte muss die Krise managen.

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85 Tage hat der Lockdown in Italien gedauert – länger als bisher in jedem anderen Land. Doch seit Mittwoch können sich die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Land wieder frei bewegen: Die Grenzen zwischen den insgesamt 20 Regionen Italiens wurden geöffnet und die Pflicht, einen Passierschein mit sich zu tragen, ist abgeschafft. "Heute beginnt Italien wieder zu leben", erklärte Regionenminister Francesco Boccia. Die Geschäfte, Bars und Restaurants waren schon vor zwei Wochen wieder geöffnet worden. Die meisten der zuvor geschlossenen Fabriken und Betriebe konnten ihre Produktion ebenfalls schon am 18. Mai wiederaufnehmen.

Seit Mittwoch sind nicht nur die inneritalienischen Grenzen wieder offen, sondern auch jene zur EU sowie zur Schweiz und Großbritannien. "Italien ist bereit, wieder Touristen zu empfangen", betonte Außenminister Luigi Di Maio. Allerdings: Deutschland, die Schweiz, Österreich und die anderen EU-Staaten wollen ihre Grenzen zu Italien noch bis mindestens zum 15. Juni geschlossen halten. Zumindest auf ausländische Gäste wird die von der Epidemie besonders stark getroffene Tourismusbranche also noch etwas warten müssen. Di Maio hat für die Zurückhaltung der Nachbarn wenig Verständnis: "Wir sind kein Lazarett", betonte der Außenminister und verwies auf die drastisch gesunkenen Fallzahlen.

Harter Lockdown

Italien ist als erstes EU-Land von der Corona-Pandemie getroffen worden – und zählt mit bisher 33.600 Toten weltweit zu den Ländern, wo das Virus am schlimmsten gewütet hat. Durch den von der Regierung von Giuseppe Conte verordneten langen und harten Lockdown konnte die Epidemie – von der Lombardei einmal abgesehen – inzwischen unter Kontrolle gebracht werden. Doch die Furcht vor einer zweiten Welle ist groß: Die Vorschriften zum Distanzhalten und zum Maskentragen in geschlossenen Räumen und öffentlichen Verkehrsmitteln bleiben deshalb bestehen. Auch die Schulen werden erst im September wieder geöffnet.

Dennoch: Die Bilder der Militär-Lkws, die in Bergamo die Särge in andere Regionen abtransportierten, werden im In- und Ausland noch lange in Erinnerung bleiben. Und so werden die von der Regierung beschlossenen Grenzöffnungen zum Ausland der Tourismusbranche voraussichtlich erst mittelfristig Linderung verschaffen. Der unmittelbare Effekt ist praktisch gleich null: Die Passagierzahlen an Italiens Flughäfen sind um 98 Prozent eingebrochen, viele Hotels bleiben vorläufig geschlossen – Buchungen verzeichnen die meisten Betriebe, wenn überhaupt, erst ab Juli.

Die Wirtschaft stagniert seit Jahren – und droht nun in die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg zu stürzen. Laut Notenbank-Präsident Ignazio Visco wird die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um mindestens neun, eventuell sogar um 13 Prozent einbrechen. Armut und Arbeitslosigkeit werden laut Experten im Herbst, wenn die staatlichen Hilfsprogramme auslaufen, massiv zunehmen. Ohne die Zuschüsse und Kredite aus dem geplanten EU-Wiederaufbaufonds wird Italien die Krise auch finanziell kaum überstehen.

Aufstieg der Postfaschisten

Aber auch politisch geht das Land unruhigen Zeiten entgegen: Die beiden großen Regierungsparteien – die Fünf-Sterne-Protestbewegung und den sozialdemokratischen PD – trennen nach wie vor große ideologische und politische Unterschiede. Für den Wiederaufbau nach dem Lockdown ist zumindest bis heute keine überzeugende gemeinsame Strategie zu erkennen.

Die Opposition steht in den Startlöchern: Der Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, hat zwar während der Pandemie stark an Popularität eingebüßt – "geerbt" hat die rechten Proteststimmen allerdings die Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni. Im Herbst, wenn die soziale Not größer wird, könnte die Stunde der Rechtspopulisten und der Post- und Neofaschisten schlagen. (Dominik Straub aus Rom, 3.6.2020)