Die Zeit der Corona-bedingten Ausgangssperre hat die Gesellschaft und die Wirtschaft verändert. Hat sie auch die Menschen verändert? Manches spricht dafür, dass die erzwungene Häuslichkeit neue Gewohnheiten und neue Lebensweisen hervorgebracht hat. Etliche Beobachter meinen, den Anbruch eines neuen Biedermeier entdeckt zu haben.

Was habt ihr in den Wochen gemacht, als man kaum aus dem Haus gehen durfte?", wird jetzt, da die sogenannte neue Normalität zurückgekehrt ist, oft gefragt. Eine häufige Antwort: "Gekocht." Leute, die vorher viel ins Restaurant essen gingen oder sich Mahlzeiten nach Hause liefern ließen, haben plötzlich ihre Leidenschaft fürs Selberkochen entdeckt und berichten nun stolz von ihren kulinarischen Erfolgen. Auch selber Brotbacken ist populär geworden. Eine andere oft gehörte Antwort auf einschlägige Fragen lautet: "Wir haben geräumt." Geräumt? "Ja, wir haben alles ausgemustert, was wir nicht brauchen."

Viele, für die ein Einkaufsbummel früher eine sehr beliebte Freizeitbeschäftigung war, haben plötzlich die Lust daran verloren.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Offenbar hat sich in vielen Haushalten im Laufe der Jahre allerhand angesammelt, das eigentlich keinen erkennbaren Zweck mehr erfüllte. Kleidung, die einmal getragen wurde und dann nie wieder. Teller und Tassen, die, nie verwendet, im Küchenschrank Platz wegnahmen. Bücher, die niemand lesen wollte. Und jede Menge Zeug, von dem die Besitzer selbst nicht mehr wussten, wozu sie es je angeschafft hatten. Säckeweise muss derlei in den letzten Wochen entsorgt worden sein.

Momentaufnahmen

Inzwischen sind Läden und Restaurants wieder offen, aber die Inhaber klagen über schlechte Geschäfte. Manche haben schon wieder zugemacht. Gewiss, die Touristen fehlen. Und von den Einheimischen sind viele in Kurzarbeit oder arbeitslos. Das Geld sitzt nicht mehr locker. Aber ist das wirklich der einzige Grund, warum der Konsum nachgelassen hat?

Als die ersten Restriktionsmaßnahmen verkündet wurden, dachte mancher, am Ende der Ausgangssperren würden sich die Menschen geradezu heißhungrig ins Shopping stürzen. Kaufen, Ausgehen, Geldausgeben – diese langentbehrten Genüsse würden nun mit doppelter Leidenschaft befriedigt werden. Freilich, es kam anders. Viele, für die ein Einkaufsbummel früher eine sehr beliebte Freizeitbeschäftigung war, haben plötzlich die Lust daran verloren. "Es macht einfach keinen Spaß mehr", hört man jetzt öfter. Oder auch: "Wenn ich’s recht bedenke, brauche ich eigentlich keine neuen Sachen."

Möglich, dass all das nur vorübergehende Momentaufnahmen sind und Zustände wie vor der Krise bald wiederkehren werden. Möglich aber auch, dass manche Krisengewohnheiten nicht so schnell verschwinden werden. Videokonferenz statt Dienstreise. Freunde gemütlich zu Hause treffen statt aufwendig ausgehen. Noch ein Jahr mit dem alten Auto fahren statt ein teures neues kaufen. Alles ein bisschen bescheidener angehen.

Nicht gut für die Wirtschaft. Aber vielleicht ganz gut für die Nerven. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 4.6.2020)