Man solle sich für eine vorgeschlagene Verfassungsreform aussprechen, denn andernfalls könnten homosexuelle Paaren das Recht zur Adoption von Kindern zugestanden werden. Mit dieser Botschaft ging ein Werbeclip hausieren, der auf Youtube hochgeladen worden war und tausende Abrufe erzielt hatte. In dem Clip war ein Junge zu sehen, der sich zuerst auf seine neuen Eltern freute, doch schließlich schwer enttäuscht reagierte, als sich herausstellte, dass es sich um ein Paar aus zwei Männern handelt.

Das Video sorgte für Aufregung und eine Flut an Beschwerden., berichtet Reuters Experten sehen darin einen Schachzug, der Russlands Präsident Wladimir Putin zur Stimmungsmache für das anstehende Referendum dient. Die Verfassungsänderung könnten es ihm unter anderem ermöglichen, bis 2036 im Amt zu bleiben, da seine bisherigen Amtszeiten aufgrund der Änderungen an der Rolle des Präsidenten nicht mehr gezählt würden. Ohne Verfassungsreform würde seine aktuelle und letzte Amtszeit im Jahr 2024 enden. Vorangegangen war dem bereits 2010 die Verlängerung der Amtsperiode des Staatsoberhauptes von vier auf sechs Jahre.

Am Ende des Clips schenken die neuen Eltern dem adoptierten Buben ein Kleid.
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Immer mehr Erschwernisse für LGBT-Personen

Homosexuelle haben in Russland ein zunehmend schweres Leben. Die Adoption von Kindern ist seit je her nur heterosexuellen Paaren gestattet. Seit 2013 verbietet zudem ein Gesetz die "Verbreitung homosexueller Propaganda" gegenüber Minderjährigen.

Die legale Abhaltung von Kundgebungen für LGBT-Anliegen ist kaum möglich. Zudem sehen sich die Teilnehmer immer wieder der Aggression seitens Rechtsextremer ausgesetzt. Auch Untätigkeit und Gewalt seitens der Polizeikräfte wurde immer wieder dokumentiert.

Ehe nur für Mann und Frau

"Hier ist deine neue Mama, sei nicht traurig", sagt einer der beiden Männer des Paares dem frisch adoptierten Buben. Dessen Partner bietet dem Kind daraufhin gleich ein Kleid zum Anziehen an, während eine Angestellte des Waisenhauses die Szene beobachtet und auf den Boden spuckt. "Bist du für ein solches Russland?", richtet sich die Einschaltung daraufhin an die Zuseher.

Auch andere Teile des vorgesehenen Verfassungspakets richten sich gegen Homosexuelle. So ist auch vorgesehen, die Ehe strikt als Bund zwischen Mann und Frau zu definieren. Dies würde eine Öffnung dieses Bundes für Homosexuelle auch in der Zukunft massiv erschweren.

Youtube schreitet ein

Putins Regierung sei "komplett verrückt" geworden, wenn es um Homosexualität gehe, kritisierte der Oppositionspolitiker Alexey Nawalny den Werbespot. Der LGBT+-Verband Stimul hat eine Beschwerde bei den Behörden eingebracht und die Löschung des Videos gefordert. Es schüre Hass und Feindseligkeit gegenüber der LGBT-Gemeinde und verletze die Menschenwürde, erklärte man.

Youtube hat den Clip am Mittwoch gelöscht.
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Youtube hat auf die Aufregung bereits reagiert und das Video am Mittwoch von seiner Plattform gelöscht. Unter dem ehemaligen Link findet sich nur noch ein Hinweis auf die Entfernung wegen eines Verstoßes gegen die Richtlinien bezüglich Hassrede. Am "russischen Facebook", Vkontakte, ist der Clip weiterhin abrufbar.

Patriot Media, die verantwortliche Produktionsfirma, weist die Anschuldigungen zurück. Man würde nicht "gegen Homosexuelle kampagnisieren", sondern wolle nur die Familie "als Institution aus Frau und Mann" verteidigen. Man erklärte zudem, dass für die Entstehung des Clips keine Staatsgelder geflossen seien. Den Verwaltungsrat der Firma führt derzeit Jevgeny Prigozhin, ein Geschäftsmann, der aufgrund seiner engen Kontakte zum Präsidenten auch "Putins Koch" genannt wird.

Paralysiertes System

Ben Noble, Experte für russische Politik am University College London, verurteilt das Video als "massiv homophobisch." Es sei ein Zeichen dafür, dass dem Kreml eine hohe Wahlbeteiligung für das Verfassungsreferendum enorm wichtig sei und man deswegen mit einer Kontroverse die Aufmerksamkeit darauf lenken wolle.

Der Urnengang ist für Juli geplant. Kritiker betrachten die geplanten Änderungen als "Coup" und befürchten Wahlmanipulationen. Diese seien in Russland allerdings gar nicht das schwerwiegendste Problem, erklärte Michael Link 2018 gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Der Europasprecher der FDP hatte die OSZE-Beobachtermission zur Präsidentenwahl im gleichen Jahr geleitet. Die großen Einschränkungen der Grundrechte, Hürden bei der Registrierung und die Erschwerungen für politisches Engagement hätten das politische System paralysiert. (gpi, Reuters, 04.06.2020)