Vom "Nerdhobby" sind Videospiele in den vergangenen Jahrzehnten zu einer der umsatzträchtigsten Unterhaltungsformen geworden. Die Branche hat massiv zugelegt, und ihr wird trotz Corona-Krise auch weiter eine rosige Zukunft prophezeit. E-Sport findet immer mehr Anklang, zudem erscheinen heuer auch die neuen Konsolengenerationen von Microsoft und Sony.

Doch hinter den Kulissen geht es oft ruppig zu. "Geld regiert die Welt" gilt auch in diesem Geschäftszweig, in dem einige wenige große Publisher sich einen großen Teil des Kuchens aufteilen. Marktmacht, die immer wieder auch zulasten kleinerer Firmen eingesetzt wird. Einen besonders drastischen Fall berichtet nun Bloomberg. Take Two, unter dessen Flagge beispielsweise Grand Theft Auto und Red Dead Redemption erscheinen, soll eine Firma in seiner Abhängigkeit binnen drei Monaten in den Ruin getrieben haben, berichtet Bloomberg.

Studio arbeitete an Nachfolger zu Kultspiel

Konkret geht es um Star Theory, die damit beauftragt waren, einen Nachfolger für das beliebte Kerbal Space Program für den Publisher zu entwickeln. In dem 2011 erschienenen Game, das ursprünglich vom mexikanischen Studio Squad umgesetzt worden war, übernimmt der Spieler die Kontrolle über die Raumfahrtagenden einer Alienzivilisation. Dabei beschäftigt man sich unter anderem mit dem Entwurf von Raketen und Raumfahrzeugen, die es zum Mond und zu entfernten Planeten zu befördern gilt.

Der Trailer zu Kerbal Space Program 2.
Kerbal Space Program

Ein wichtiges Merkmal des Spiels ist die Anlehnung an tatsächliche Herausforderungen der Raumfahrt und die Implementation relativ realistischer Physik. Der Umsetzung folgten Kooperationen mit der US-Raumfahrtagentur Nasa und ihrem europäischen Pendant Esa. Das Game verkaufte sich mehr als zwei Millionen Mal.

Projektabzug und Abwerbeangebot

Seit zwei Jahren war Kerbal Space Program 2 nun im Auftrag von Take Two bei Star Theory in Arbeit, heißt es in dem Bericht. Im vergangenen Dezember erhielten viele Mitarbeiter des Studios plötzlich gleichlautende Nachrichten über das Businessnetzwerk Linkedin, wie Betroffene gegenüber Bloomberg anonym berichten. Darin erklärte ein führender Manager von Take Two, dass das Projekt von Star Theory abgezogen wurde, und ermunterte sie gleichzeitig, sich bei Private Division, einem zu Take Two gehörenden Publishing-Label, zu bewerben, um daran weiterarbeiten zu können.

Geworben wurde mit einer großzügigen Einmalzahlung zum Einstieg, gutem Gehalt und einer Reihe von Mitarbeiterboni. Zudem arbeitete man an der Gründung eines neuen Studios namens Intercept Games. Das kam überraschend. Im September hatte Star Theory die Fans noch mit einer Vorschauversion des Spiels auf der Penny Arcade Expo beeindruckt. Und kurz vor dem Versand der Nachrichten hatte Take Two die Deadline für das Projekt um ein halbes Jahr verlängert. Die Vertragsverhandlungen für diese Periode waren am Laufen.

Zuvor soll es Gespräche über einen Verkauf von Star Theory an Take Two gegeben haben. Allerdings habe man das Angebot des Publishers letztlich als unzureichend angesehen und abgelehnt.

Studio ging binnen drei Monaten bankrott

Den Abwerbeversuchen durch Take Two sei bald darauf eine Teamsitzung bei Star Theory gefolgt. Die beiden Gründer, Bob Berry und Jonathan Mavor, ersuchten ihre Angestellten, der Abwerbung nicht zu folgen. Obwohl Kerbal Space Program 2 zu dem Zeitpunkt die einzige Einnahmequelle der Firma war, habe man noch genügend finanzielle Ressourcen, um die Zeit bis zum Einholen anderer Aufträge zu überbrücken.

Die nächsten Wochen seien dann chaotisch verlaufen. Rund ein Drittel der Mitarbeiter, darunter der Produktionsleiter und der Creative Director, wanderten zu Private Division ab. Man rief zum Brainstorming und zur Entwicklung von Spielprototypen auf, um auf der Game Developers Conference Mitte März neue Auftraggeber zu finden.

Der Release von Kerbal Space Program 2 wurde zuletzt auf 2021 verschoben.
Foto: Take Two

Es folgte jedoch die globale Coronavirus-Pandemie. Die Messe wurde letztlich in den August verschoben, und die Ausbreitung des Virus sorgte auch in der Games-Branche für Zurückhaltung bei neuen Projekten. Star Theory gelang es nicht, den Einnahmenentfall zu kompensieren, und so musste der Indie-Entwickler letztlich mangels Geld und Perspektive den Betrieb einstellen.

Großteil des ehemaligen Teams nun bei Take Two

Ein Sprecher des Take-Two-Labels Private Division erklärte, dass man alle Star-Theory-Entwickler mit einem Jobangebot kontaktiert habe und nun mehr als die Hälfte der Crew bei Intercept Games gelandet sei. "Damit ermöglichen wir unserem talentierten und leidenschaftlichen Team, sich auf Qualität zu fokussieren", hieß es in der Stellungnahme. Man sei sehr zufrieden mit dem Fortschritt des Spiels. Die Gründer von Star Theory wollten sich zu den Vorgängen nicht äußern.

Patrick Meade, einst führender Entwickler bei Star Theory, hat das Angebot allerdings ausgeschlagen. Seine Arbeit habe bei seinem alten Arbeitgeber noch "massiven Einfluss" auf den Erfolg des Projekts gehabt. Bei einem großen Konzern sei das seiner Ansicht nach grundlegend anders.

"Extremer" Fall

Problematische Machtgefüge sind in der Spieleindustrie nicht neu. Dies sei aber selbst unter Berücksichtigung der "halsabschneiderischen" Standards ein "extremer" Fall, schreibt Bloomberg. Der Konzern Take Two wird mit 15 Milliarden Dollar bewertet. Was den Umsatz mit Videospielen betrifft, ist man laut einer Aufstellung von Newzoo mit Jahreseinnahmen von 1,25 Milliarden Dollar aktuell die Nummer zwölf der Welt.

Kerbal Space Program 2 hätte ursprünglich noch in diesem Jahr erscheinen sollen. Vor kurzem wurde der Releasetermin allerdings auf 2021 verschoben. (gpi, 4.6.2020)