Es begann nicht mit Corona, doch Corona machte es sichtbar. Noch bevor die WHO den Pandemiefall ausgerufen hatten, häuften sich Berichte aus aller Welt über Anfeindungen gegen Asiatinnen und Asiaten als vermeintliche Virenherde und/oder Verantwortliche für virenbedingtes Ungemach. Befeuert wurde und wird diese Stimmung durch entsprechende Zeitungs-Headlines und einschlägige Aussagen von Staatsmännern.

Die dabei zum Ausdruck kommenden Ressentiments können als bloße Begleiterscheinung eines globalen Ausnahmezustands abgetan werden. Man kann sie jedoch auch als Teil eines gar nicht so neuen Trends begreifen, für den die Corona-Krise als Durchlauferhitzer wirkt und der über die Pandemie hinaus Bestand haben könnte: die zunehmende Stigmatisierung von Chinesinnen, Chinesen und allen, die dafür gehalten werden.

Feindbild-Prioritäten

Schon seit geraumer Zeit wächst in Europa und Nordamerika das Unbehagen gegenüber China, dem erwachenden Riesen im Osten mit seiner gigantischen Bevölkerung und seiner wachsenden ökonomischen, politischen und militärischen Macht. Dennoch rangiert China auf der Feindbilder-Liste europäischer Rechtsparteien, wie auch ihrer Klientel, bislang vergleichsweise niedrig. Im eigenen gesellschaftlichen Nahbereich dominieren der Rassismus gegen Musliminnen, Muslime und Roma (in unterschiedlicher Gewichtung zwischen Ost- und Westeuropa) sowie die Ablehnung von Asylwerberinnen und Asylwerber. Auf internationaler Ebene hasst man die USA, Brüssel und die vermeintlichen jüdischen Strippenzieher ("Soros", "Globalisten", "internationale Finanzelite"). Neujustierungen sind aber immer möglich: noch in den 1990er Jahren war in der hiesigen extremen Rechten ein spezifisch antimuslimischer Rassismus ebensowenig verbreitet wie die heute omnipräsente Russlandbegeisterung.

Im Kalten Krieg positionierte sie sich zwischen den Blöcken, in ungefährer Äquidistanz zu den kapitalistischen USA und dem kommunistischen Osten (einschließlich Chinas), deren gemeinsamen Nenner man im "Materialismus" erblickte. Erst in den 2000ern avancierte das Russland Putins zur Identifikationsfläche. Plötzlich sah man im Kreml nicht mehr den Anführer des kommunistischen Weltbösen amtieren, sondern einen starken Führer, der traditionelle Werte hochhält, nationale Interessen in den Mittelpunkt seiner Politik stellt und, nicht zuletzt, Washington und Brüssel die Stirn bietet.

Kolonialer Blick

Stefan Petzner lieferte eine Hassrede im Boulevard-TV.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Was China betrifft, dürfte zumindest außer Frage stehen, dass das Land angesichts seiner stetig wachsenden Bedeutung nicht länger ignoriert werden kann. Positionierungen stehen an, und einiges deutet darauf hin, dass diese im Fall der extremen Rechten weniger günstig ausfallen als gegenüber Putins Russland. So hob etwa Andreas Mölzers Wochenzeitung Anfang April den Trumpismus "China-Virus" auf die Titelseite. Die Folgenummer porträtierte China im Gestus des Kolonialherren: als Land mit einer "barbarischen Esskultur“ und himmelschreienden hygienischen Zuständen, in dem "hemmungslos ... auf den Boden gespuckt" wird und "niemand ... sich die Hände" wasche"; kurz: als eine einzige "Brutstätte für Seuchen aller Art".

Stefan Petzner, ehemaliger Chefpropagandist Jörg Haiders, bezeichnete vergangene Woche im Boulevard-TV "die Chinesen generell" als "dreckige, schmutzige Leut'", die nicht nur "keine Manieren" hätten, sondern auch "keine Kultur". Petzners Hassrede gipfelte in der wiederholten Bezeichnung von Sars-CoV-2 als "Schl…augen-Virus" und einem abschließenden Aufruf zur "Gegenwehr gegen die gelbe Gefahr" – einem direkten Griff ins rhetorische Arsenal des deutschen Imperialismus.

Gutes China, böses China

Nun mag es sich dabei um Momentaufnahmen handeln und ist festzuhalten, dass China aus rechter Perspektive auch Identifikationsflächen zu bieten hat: die starke Hand des Regimes nötigt dem Autoritären Respekt ab, der Kollektivismus gefällt den Volksgemeinschaftsgläubigen. Man beklatscht, dem Primat des antimuslimischen Rassismus folgend, die Unterdrückung der Uigurinnen und Uiguren und lobt, dass China in seiner Afrikapolitik, anders als Europa, "keine Schuldkomplexe" zeige. Nicht zuletzt kann, wer sich den USA entgegenstellt, im allgemeinen auf einen Sympathievorschuss von rechts zählen.

Demgegenüber steht der Umstand, dass in China eine Staatspartei am Werk ist, die das kommunistisch zumindest im Namen trägt. Während im Fall Russlands die einigende Klammer des Christentums, der relativen geographischen Nähe und der reichen gemeinsamen Geschichte (sowie im Neonazismus: der "rassischen Verwandtheit") beschworen wird, wird China als wesenhaft fremd wahrgenommen. Die tief sitzenden kolonialistischen und exotistischen Ressentiments gegen das Reich der Mitte gewinnen durch dessen Größe noch an Gewicht. Anders als die Antisemiten sieht der Rassist sich, nicht durch vermeintliche intellektuelle, sondern durch die schiere zahlenmäßige Überlegenheit des Gegenübers, bedroht. Angesichts der Bevölkerungszahl Chinas, die jene ganz Afrikas übersteigt, liefert die österreichische Diskussion um eine chinesische "Überflutung" Hallstatts möglicherweise nur einen üblen Vorgeschmack.

Resonanzboden vorhanden

Für einen anstehenden Bedeutungsgewinn des Feindbilds China in rechtsextremen Diskursen hierzulande sprechen nicht zuletzt auch taktische Erwägungen. Ebenso wie die antimuslimische verspricht auch die antichinesische Feindbildpflege, einen beträchtlichen gesellschaftlichen Resonanzboden vorzufinden. Eine Eurobaromter-Umfrage von 2017 weist für Österreich eine vorherrschend negative Einstellung zu China aus. Das Pew Research Center ermittelte 2019 gleichfalls überwiegend negative Einschätzungen Chinas in Westeuropa (und Nordamerika) insgesamt – mit sich weiter verschlechternder Tendenz.

So steht zu erwarten, dass rechte Akteurinnen und Akteure versuchen werden, was auch Stefan Petzner im erwähnten TV-Auftritt versuchte: das bereits vorhandene Unbehagen in Europa unter anderem über chinesische Direktinvestitionen in "heimische Betriebe", die Übernahme kritischer Infrastruktur, Billigprodukt-Konkurrenz oder Menschenrechtsverletzungen anzuzapfen und es mit vulgär-rassistischen Traditionsbestände anzureichern. Wie zuvor im Fall des Islam wird man liberale Anliegen als Einfallstor in die gesellschaftliche Mitte nutzen. Tibet, Hongkong und Falun Gong könnten als Fahnenfragen dieselbe Funktion erfüllen wie die Frage der Frauenrechte in der Islamdebatte. Und wie schon dort wird man sich bemüht zeigen, legitime politische Kritik und rassistische Pauschalisierungen zu einer feindseligen Melange zu vermischen.

Kritik ja, Rassismus nein

Zusammenfassend steht zu befürchten, dass antichinesischer Rassismus (oder Antisinitismus, oder Sinophobie – eine akademische Begriffsdebatte, die gleichfalls an Fahrt aufnehmen wird) nach außen den antimuslimischen Rassismus nach innen als Erfolgsrezept der extremen Rechten ergänzen wird. Er mag in der Corona-Krise ein aktuelles Betätigungsfeld finden, wird diese aber aller Voraussicht nach überdauern und sich, im Kontext zunehmender Spannungen zwischen China und dem "Westen", weiter verschärfen: in der Klientel der extremen Rechten, wie auch gesamtgesellschaftlich. Um dem entgegenzuwirken, muss praktiziert werden, was in der Islamdebatte vernachlässigt wurde: eine peinliche Differenzierung zwischen Kritik an Politiken und Werten auf der einen Seite, und pauschaler Verunglimpfung von Menschengruppen auf der anderen. (Bernhard Weidinger, 5.6.2020)

Bernhard Weidinger ist Rechtsextremismusforscher am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU).

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