Die Berliner Künstlerin Lena Rosa Händle wohnt im vierten Bezirk und entdeckt die eigene Arbeit in Corona-Zeiten gerade neu. Für Wien wünscht sie sich Sperrmülltage, wie sie etwa in Barcelona üblich sind.

"Ich höre immer wieder, dass die Wohnung aus einem stilistischen Guss ist, aber das ist weniger Programm als vielmehr Zufall, verbunden mit Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Irgendwann gab es das erste Sechzigerjahre-Möbel, danach hat das eine zum anderen geführt, bis sich schließlich eine Art Ensemble ergeben hat. Dazu passt auch das Schwarz-Weiß-Porträtfoto der Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach, fotografiert von Marianne Breslauer. Das ist ein Ankündigungsplakat für eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie 2010. Porträtfotografie hat auf mich eine sehr starke Wirkung. Das war das erste Genre, in dem ich professionell gearbeitet habe.

Lena Rosa Händle auf einem vielgenutzten Sessel, den sie jetzt gern weitergeben würde.
Foto: Lisi Specht

Ich fühle mich in diesem schlichten Ambiente sehr wohl, denn ich bin eine Anhängerin des Bauhauses, der nüchternen Formen und ganz generell der Kultur und der Kunst der Neuen Sachlichkeit. Ich brauche die Ruhe in meinem Wohnzimmer. Ich brauche einen Raum, wo ich – nachdem man mich auf der Straße mit zu viel schriller, nerviger Werbung konfrontiert hat – ästhetisch nicht gestört werde. Wie das blaue Kissenchaos auf der Couch in dieses ruhige Bild passt? Keine Ahnung. Ihr habt gesagt, ihr wollt es authentisch, und ich solle nicht aufräumen. Das ist authentisch. So sieht es aus, wenn es eine Familie bequem hat. Für eine Installation würde ich es wohl etwas anders arrangieren.

Das ist ein Haus mit vielen Künstlerinnen und Musikern, vierter Bezirk, gleich ums Eck vom Theresianum. Ich habe die Wohnung vor rund drei Jahren über eine Freundin gefunden und wohne hier nun mit meiner Partnerin, der Wiener Schriftstellerin Ursula Knoll, unserem Kind sowie einer Mitbewohnerin. Die Wohnung hat 110 Quadratmeter. Ich mag sie, denn sie ist zwar saniert, trotzdem bekommt man mit den alten Türen, den alten Fenstern und den extrahohen Beletage-Wänden ziemlich viel vom Wiener Altbau-Charme mit. Das schätze ich sehr.

"Irgendwann gab es das erste Sechzigerjahre-Möbel, danach hat das eine zum anderen geführt", sagt Lena Rosa Händle.
Foto: Lisi Specht

Eigentlich wollte ich nur für drei Monate nach Wien kommen, damals 2012. Doch aus drei Monaten wurden acht Jahre. Manchmal kommt es eben anders, als man glaubt. Und eigentlich sollte ich genau jetzt in London sein, in einem kleinen Haus als Artist in Residence, aber dann kam Corona dazwischen, und es kam wieder anders. Erst habe ich mich geärgert, denn Corona hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht, jetzt aber empfinde ich diese Wochen und Monate als geschenkte Zeit. Für das Kunstfestival Soho in Ottakring hatte ich geplant, eine Fotoinstallation zu machen, doch nun ist Soho ins Internet gewandert, und aus der Fotografie wurde ein sechsminütiger Film mit dem Titel Das kommt von innen, mit Textauszügen von Rosa Luxemburg. Ich mag diese Herausforderungen, die uns Corona aufzwingt. Es bringt uns dazu, uns selbst und unsere Gewohnheiten zu überdenken, und zeigt uns, dass wir unser Leben ändern müssen.

Manche ihrer Möbel hat die Künstlerin einfach auf der Straße gefunden.
Foto: Lisi Specht

Ich möchte noch eine Idee teilen: Ich habe einige Jahre in Barcelona gelebt, und da gibt es das Phänomen, dass an bestimmten Wochentagen die Menschen ihren Sperrmüll auf die Straße hinausstellen, jeden Tag in einem anderen Quartier. Dadurch wird die Bevölkerung zum Tauschen und Recyceln bewogen. Auch ich habe auf diese Weise das eine oder andere Stück gefunden. In Berlin gehört es auch zum Alltag, alte, ungebrauchte Möbel vor das Haustor zu stellen. In Wien würde ich mir solche Sperrmülltage ebenfalls wünschen. Ich sehe das als soziales und antikapitalistisches Handeln. Dieser schon etwas kaputte Sessel, auf dem ich sitze, stand einst in der Rosa-Lila-Villa. Jetzt ist es an der Zeit, ihn weiterzugeben." (8.6.2020)