In den letzten Monaten wurde zu Hause nicht nur gewohnt, sondern auch gearbeitet und unterrichtet.

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Die eigene Wohnung war zuletzt für viele Menschen mehr als nur Wohnraum. Sie wurde auch zum Büro, zum Kindergarten, zur Schule und zum Fitnessstudio. Und sie war plötzlich auch in vielen Fällen Kulisse für Videokonferenzen.

Eine virtuelle Diskussion organisierte jüngst auch der steirische Landesverband der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs (ZV Steiermark). Dabei ging es darum, wie sich Corona auf den Wohnbau auswirken wird – und ob die Zeit der in den letzten Jahren modern gewordenen winzig kleinen Wohnungen nun vielleicht zu Ende ist.

"Für die Forschung ist die Tragik, dass diese Krise zu schnell kam", sagte die Grazer Wohnbauforscherin Andrea Jany. Studien über die mutmaßlich geänderten Wohnbedürfnisse der Menschen gibt es daher noch keine. Jany glaubt aber, dass viele Menschen nun Zeit gehabt hätten, über ihre Bedürfnisse nachzudenken. Dem pflichtete Florian Stadtschreiber vom Immobilienentwickler ARE, der gewerblichen Tochter der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), bei. Themen, die schon vor der Pandemie bekannt waren – etwa die Wichtigkeit von leistbarem Wohnraum –, "haben jetzt noch einmal an Brisanz gewonnen".

Akute Folgen

Die Architektin Gabu Heindl warnte vor akuten Folgen der Krise: Viele Mieter, die vorübergehend ihre Mieten stunden konnten, würden in gröbere Zahlungsprobleme geraten. Für Menschen, die schon vor Corona in prekären Verhältnissen gelebt haben, würde es noch prekärer werden. Heindl kritisierte auch, dass man in der Krise die Mieter zu Bittstellern machte – und nicht die Vermieter.

Die in den letzten Jahren gestiegenen Wohnungspreise in Ballungsräumen setzen sich laut Stadtschreiber aus hohen Bodenpreisen und Baukosten zusammen. Er sieht nun die Chance, periphere und strukturschwache Gebiete mit leistbaren Bodenpreisen näher an die Stadt zu holen, weil Menschen im Homeoffice nicht mehr direkt in der Stadt leben müssen.

Ambivalent steht dem Homeoffice wiederum Grünen-Politikerin Barbara Ruhsmann vom Forum Wohn-Bau-Politik gegenüber. Einerseits würden dadurch Kosten vom Arbeitgeber an die Arbeitnehmer verlagert. Andererseits sieht sie das Homeoffice auch als Chance, Stadtquartiere, die bisher nur zum Schlafen genutzt wurden und untertags ausgestorben waren, zu beleben und neu zu durchmischen.

Keine kleinen Zimmer

Man müsse künftig verstärkt nicht nur Wohnhäuser, sondern ganze Quartiere entwickeln, so Stadtschreiber, "sodass wir am Ende lebendigere und lebenswertere Quartiere in Städten haben". Stadtschreiber sieht es nun auch als Herausforderung für die Branche an, Wohnungen so zu bauen, dass sie mehr Flexibilität zulassen.

Heindl will "ziemlich radikal" über das Wohnen nach Corona nachdenken: "Ich möchte als Architektin nie wieder über acht bis zehn Quadratmeter große Zimmer diskutieren müssen." Man müsse sich überlegen, was es für ein Kind bedeute, in einem kleinen Zimmer so viel Zeit verbringen zu müssen. Ökologisch müsse man natürlich überlegen, wie viel Wohnraum gebaut werden soll, "aber auch, wie er verteilt ist".

Viele Ideen für eine Zeit nach Corona. Ob es sich bei der Krise rückblickend um einen wichtigen Wendepunkt im Wohnbau handeln wird, oder ob die Diskussionen mit der Rückkehr zur Normalität versiegen, wird spannend. (Franziska Zoidl, 5.6.2020)