Die türkise Truppe stellt die Grundlagen der christlichen Soziallehre auf den Kopf, so der Neos-Abgeordnete Helmut Brandstätter im Gastkommentar.

Bilder, die im Gedächtnis haften bleiben und dadurch unser Denken, Handeln und Fühlen beeinflussen, gehörten schon immer zum Alltag des Homo sapiens, schon zuvor haben die Neandertaler mit Höhlenmalereien ihren Alltag beschrieben. Auch in der modernen Demokratie wollten Politiker die "Lufthoheit über den Stammtischen" mit eindrucksvollen Bildern erreichen. Dann kam noch das Framing dazu, also die Beeinflussung von Wählerinnen und Wählern über starke Begriffe, die Bilder prägen und dadurch die Aussagen von Politikerinnen und Politikern bestärken. In der digitalen Welt funktioniert das über die vielfache Verbreitung.

Die ÖVP des Sebastian Kurz hat das schneller begriffen als andere. Während Reinhold Mitterlehner mit Werner Faymann noch Platz für Flüchtlinge suchten, hatte Kurz schon "die Balkanroute geschlossen", und zwar täglich, in allen Medien. Das Schöne an diesem Bild: Er muss dessen Umsetzung nicht beweisen, es nutzt sich nicht ab, sondern passt immer wieder, auch auf der Mittelmeerroute. Jetzt bekämpft er gerade eine angeblich drohende "Schuldenunion", die zwar niemand will, aber für Kurz ist dieser negative Begriff die richtige Vorlage, um dann selbstzufrieden einen angeblichen Sieg über Angela Merkel zu feiern. Nicht allen fällt es so leicht, immer wieder dasselbe zu sagen, wie dem Bundeskanzler. Seine Ministerinnen und Minister wirken oft angestrengt bis zur Überforderung, wenn sie die von den Beratern vorgeformten Textbausteine zusammenfügen.

Öffentlich abgemahnt

Solange die Angst vor dem Virus den Diskurs bestimmte, lief auch diese Form von Kommunikation recht flüssig. Seit das persönliche Erleben der Wirtschaftskrise stärker ist als die diffuse Angst vor der Krankheit, funktioniert das System nicht mehr. Wenn Ministerin Christine Aschbacher und ein Baby an einem Hundert-Euro-Schein zerren, wirken die Bilder wie das Ergebnis eines missglückten Fotoshootings für einen billigen Katalog. Und dass Unternehmerinnen und Unternehmer entweder zu blöd sind, Formulare auszufüllen oder halt die Steuer betrogen haben, hören sie auch nicht gern, selbst wenn es der Bundeskanzler auf Ö3 so nebenbei formuliert. Für viele geht es nämlich gerade ums Überleben.

Christine Aschbacher, rechts im Bild bei einer Pressekonferenz mit Margarete Schramböck, ließ sich jüngst als mildtätige Ministerin inszenieren.
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Wenn ein System nicht mehr rundläuft, kann man es reparieren oder die Gangart verschärfen. Die kleine Beratertruppe rund um Kurz hat sich für Letzteres entschieden, mit allen Konsequenzen: Wer sich gegen die ÖVP stellt, der wird öffentlich abgemahnt und bei Widerstand bedroht. Das hat der Cafetier Berndt Querfeld erlebt, der im STANDARD einen Hilferuf absetzte und dabei die Stimmung vieler Unternehmen spiegelte. Die Reaktion der ÖVP war aber nicht nur brutal, sie kam auch der Verabschiedung von ihren Werten und ihrer Geschichte gleich.

Ausgleich der Interessen

Die Frage des sozialen Zusammenlebens beschäftigte alle Parteien seit der Industrialisierung. Die Antwort der Christlich-Sozialen war es, das Glück nicht in der Bevormundung von oben oder im Kollektiv zu finden. Hingegen wurde die Verantwortung des Einzelnen betont, mit Subsidiarität und Solidarität für die Schwächeren. Nicht der für alles zuständige Staat und gar die Abhängigkeit von diesem war Programm, sondern der Ausgleich der Interessen. Im aktuellen Grundsatzprogramm ist viel von Menschenwürde und Freiheit die Rede, die gelebte Politik der ÖVP kann mit diesen Begriffen aber nichts anfangen. Und Europapartei ist sie auch nur noch im Parteiprogramm, die Regierungslinie heißt neuer Nationalismus.

Die Truppe um Kurz stellt die Grundlagen der christlichen Soziallehre und damit auch die der ÖVP in vielen Punkten auf den Kopf. Sie will die Abhängigkeit der Menschen vom Staat beziehungsweise von der ÖVP und organisiert diese gerade, im Zweifel mit Drohungen. Denn die Abhängigen müssen ihre Dankbarkeit zeigen.

Klare Botschaft

Die Begegnung von Frau Aschbacher mit der vierköpfigen Familie, gestellt vom Fotografen des Kanzleramts für die Kronen Zeitung, soll uns sagen: Nur die Regierung sorgt dafür, dass die Familie überlebt und das Baby genug zum Essen bekommt. Ein Hunderter als Symbol für Abhängigkeit, die Dankbarkeit verdient. Wo bleibt die Menschenwürde? Der Landtmann-Eigentümer Querfeld erhielt nach seinen kritischen Worten auch eine klare Botschaft: Wir wissen alles über dich, wir haben alle deine Daten und wir haben Medien, die unsere Botschaft schon verbreiten werden, um dich fertigzumachen. Vergiss nicht, du brauchst uns. – Ist das gelebte Freiheit?

Und gerade die Medien werden täglich durch unzählige Anrufe daran erinnert: Ihr überlebt nur, wenn wir das wollen, ihr braucht unsere Förderungen. Also habt ihr die Fotos und die Interviews und die Insider-Informationen über Widerspenstige abzudrucken, und zwar so, wie wir wollen. Bei Querfeld ging es weniger darum, ihn zu maßregeln, als zehntausenden Unternehmerinnen und Unternehmern mitzuteilen, dass man auch sie jederzeit durch den Dreck ziehen kann, wenn sie unbotmäßig auftreten sollten. Die Wirtschaftskrise führt zwangsweise dazu, dass der Staat mehr Aufgaben zu übernehmen hat, aber das darf nicht zur Entmündigung des Einzelnen führen.

Pure Machtpolitik

Denn das ist nur noch pure Machtpolitik und hat gar nichts mehr mit dem christlichen Menschenbild des eigenverantwortlichen Individuums zu tun. Im Gegenteil: Der Staat ist alles, wir als seine Vertreter tun nur das Beste für euch, wird signalisiert, und wer das nicht verstehen will, hat die Konsequenzen zu tragen. In einer Zeit existenzieller Krisen kann man diese Methoden vielleicht durchziehen, aber nur, wenn sich alle das gefallen lassen. Die Überzeugung, dass wir durch eigenverantwortliche Individuen besser aus der Krise herauskommen, muss stärker sein als die Angst vor der Rezession, dann wird das Experiment des neuen Obrigkeitsstaates scheitern. Jetzt ist Mut gefragt, um den Staatsgläubigen in der neuen, der autoritären ÖVP die Dankbarkeit zu versagen. Wir brauchen selbstbewusste Citoyens und keine bibbernden Bittsteller. (Helmut Brandstätter, 5.6.2020)