Sie führen aus Gefangenschaft und Sklaverei, befreien sich und andere aus höchster Not. Sie lehnen sich gegen Unterdrückung auf, kämpfen für ein besseres Leben oder bestehen ganz einfach auf die absolute Freiheit im eigenen Kopf. Heldinnen und Helden der Freiheit waren und sind fixer Bestandteil im Serienkosmos.
Lange Zeit waren diese Figuren hauptsächlich weiß und männlich, sahen hervorragend aus und blieben in jeder noch so misslichen Situation Herren der Lage. Spätestens seit Serien episch erzählt werden, hat sich die Vielfalt gesteigert – nicht nur der Geschlechter und Ethnien, sondern auch der Farbwelten. Die Freiheitsfanatiker in Serien schalten und walten nicht mehr allein im Gut-Böse-Schema, sondern mehr in Grautönen. Dort ist das Leben meist härter und sehr oft um vieles kürzer.
DER STANDARD nimmt die Schwerpunktausgabe zum Thema Freiheit als Anlass, um denkwürdigen Revoluzzerinnen und Revoluzzern zu huldigen. Urteilen Sie selbst, ob Sie in diesen Nonkonformisten Vorbilder sehen.
Dolores Abernathy
Der freie Wille existiert. Er ist nur verdammt hart. Die Maschinenfrau Dolores aus der grandiosen Serie "Westworld" ist der beste Beweis dafür. Die Menschen haben ihr übel mitgespielt, weil sie dachten, mit ihrer Spezies könne man alles machen. Für diese Grobheiten rächt sich Dolores. Unbarmherzig und systematisch. Gefangene werden eher keine gemacht. Es gibt Hässliches in der Welt. Dolores will lieber die Schönheit sehen. Der Versuch war es wert.
Kunta Kinte
Anno 1977 fieberte das österreichische Fernsehpublikum in "Roots" mit dem jungen Afrikaner, der 1765 von Captain Davies und seinem Maat Slater (Ralph Waite) auf Sklaven-Plantagen in den Südstaaten verschleppt wurde. Kunta Kinte suchte die Freiheit, scheiterte tragisch. In den USA sahen unglaubliche 140 Millionen Menschen die acht Folgen – ein bis dahin noch nie dagewesener Quotenrekord. Als der US-Kabelsender BET 2013 im Gedenken an 35 Jahre "Roots" die Serie wieder zeigte, waren immer noch rund 11 Millionen dabei. 2016 produzierte History Channel ein Remake. Es war nicht mehr dasselbe.
Michael Scofield
Brotlos kann man den Architektenberuf dieses Freiheitshelden aus der Serie "Prison Break" nicht nennen. Um seinen unschuldigen Bruder zu befreien, hat sich Michael Scofield den gesamten Plan des Hochsicherheitsgefängnisses auf seinen Körper tätowieren lassen. Guter Plan? Zumindest theoretisch.
Diane Lockhardt
Entweder Sie haben Probleme, oder Sie haben Diane Lockhardt – beides zusammen geht nicht. Sollten Sie einmal mit dem Gesetz in Konflikt kommen, wären Sie gut beraten, sich von der Spitzenanwältin aus "The Good Wife" und danach "The Good Fight" vertreten zu lassen. Sie ist eine von den ganz Guten und bietet selbst dem Mann mit dem gelben Haar die Stirn.
Loriots Hermann
Er macht nichts und nichts Besonderes. Herrmann sitzt, und er tut es, weil er will. Er will nicht spazieren gehen, er will keine Illustrierte lesen, er will einfach nur sitzen und sich ausruhen. Herrmanns Frau ist anderer Meinung, und gegen diese kann leider auch Herrmann nichts ausrichten. Entspannung kann er sich abschminken und in dem gut dreiminütigen Sketch ist damit auch schon alles gesagt, was die Ehe im Kern ist: Eine Geschichte voller Missverständnisse. Humor entsteht im Spannungsfeld von Vorstellung und Realität. In diesem entladen sich Blitze.
Martin Luther King
Die Reden des Freiheitskämpfers sind nicht zuletzt aufgrund der Polizeigewalt in Minnesotta aktueller denn je. In "Selma" sind einige von ihnen zu sehen, und es läuft einem kalt über den Rücken. "Wir müssen marschieren. Wir müssen uns erheben", sagte Martin Luther King und ging 1965 mit Tausenden Menschen für Bürgerrechte von Selma nach Montgomery. Schon klar, "Selma" war ein Film fürs Kino und keine Serie, aber Ava DuVernay gehört zu den wichtigsten Regisseurinnen der Serienwelt. Verzeihen Sie die Unschärfe, aber das ist gerade wichtig.
Rudi Blaha
"Seit der Sozialismus hin ist, gibt’s keine Mittagspause mehr. Ich kann alle für ein Trinkgeld kriegen", sprach der Hotelier in der "Arbeitersaga" und beschrieb den Untergang von Solidarität und den Aufstieg des Kapitals im Lande. Dass Felix Mitterer aus gegebenem Anlass eine Fortsetzung der "Piefke-Saga" schreibt, ist schon okay, und wir freuen uns sehr. Für eine Fortsetzung von Peter Turrinis bahnbrechender "Arbeitersaga" wäre ebenso höchste Zeit.
Madita
Einsperren lässt sich dieses Mädchen nicht. Das kleine Mädchen mit den langen Zöpfen hat ihre eigenen Ansichten. In der Früh aufstehen, aus dem Fenster schauen und sagen: "Heute spüre ich das Leben in mir." Astrid Lindgrens Madita ist ganz schön verdreht, aber was für ein Vorbild in allem!
Dr. Quinn
Die Medizinerin mit dem Cowboyhut schreckte vor nichts zurück, nicht vor chauvinistischen Maulhelden im Saloon und nicht vor rassistischen Kuhbuben in der Krachledernen – nicht selten waren das ein und dieselben. Dass sie nebenbei auch noch Kranken half und drei Kinder großzog, macht aus ihr eine besondere Wildwestheldin und die wahrhaftigiste Ärztin ohne Grenzen ihrer Zeit.
Herr Rossi
Er steht morgens auf, wenn Leute ihm sagen, dass er aufstehen soll. Er isst, wenn Leute ihm sagen, dass er essen soll und er denkt, wenn Leute ihm sagen, dass er denken soll. Was kann man mehr wollen? Viel mehr, findet Herr Rossi eines schönen Tages. Unser Held einer philosophisch-inspirerenden Serie sucht das Glück. Wie macht er das? Mit Reisen in echte und Fantasiewelten. Die Erkenntnis dahinter: Wahre Freiheit beginnt im Kopf.
Onion
Zum Schluss der gute Tipp: Die Freiheit hat eine Zukunft, und sie heißt "The Good Lord Bird". Der US-Sender Showtime schickt am 9. August den nächsten Freiheitskämpfer ins Rennen, den es zu beachten gilt: Erzählt wird die Geschichte des jungen Sklaven Onion, der sich Abolitionisten anschließt, die 1859 an dem berühmten Überfall auf das Armeedepot in Harpers Ferry, West Virginia, beteiligt waren. Der Überfall führte zwar nicht zum beabsichtigten Sklavenaufstand, war aber Auslöser für den amerikanischen Bürgerkrieg. Ethan Hawke hat die Serie entworfen. Bleiben Sie dran! (Doris Priesching, 6.6.2020)