Franz Grillparzer (1791–1872) gilt als der österreichische Nationaldichter schlechthin. Seine Stücke, die wichtige Beiträge zu Identitätsbildung des Landes leisteten, werden nach wie vor gerne auf den heimischen Bühnen gezeigt. Und Sentenzen wie "Es ist ein gutes Land" (aus "König Ottokars Glück und Ende") sind längst zu Stammbuchsprüchen der austriakischen Selbstbelobigung geworden.

Nicht nur Grillparzers umfangreiches Werk, auch sein Leben steht für einige charakteristische Grundwidersprüche des Österreichertums: für Konservativismus und Widerständigkeit, für Narzissmus und Selbstbezichtigung oder für kleinliches Raunzertum und Größenwahn. "In mir nämlich leben zwei völlig abgesonderte Wesen", heißt es zudem in Grillparzers Autobiografie: "Ein Dichter von der übergreifendsten, ja sich überstürzenden Phantasie und ein Verstandesmensch der kältesten und zähesten Art."

Bildliche Dokumente

Von diesem Mann widersprüchlicher Eigenschaften gibt es auch etliche visuelle Zeugnisse, die belegen, dass der Dichter und Dramatiker eher nicht die ganz große Frohnatur war. Und obwohl bereits 1872 gestorben, beschränken sich diese Porträts nicht auf Gemälde und Lithografien. Es existieren auch ganz wenige Fotografien, die den hauptberuflichen Beamten als notorischen Griesgram zeigen. (Bereits in den 1840er-Jahren waren die ersten Fotoateliers eröffnet worden.)

Vor kurzem kam nun eine weitere Aufnahme Grillparzers dazu, die der Musikwissenschafter Michael Lorenz im Nachlass des österreichischen Komponisten Guido Peters in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek entdeckte. Die Aufnahme, die Lorenz in seinem Blog fachkundig vorstellt und vorbildlich kontexualisiert, wurde vom Fotografen Samuel Volkmann entweder in Graz oder Marburg (dem heutigen Maribor) angefertigt und ist ein Brustbild Grillparzers, der auf den anderen Aufnahmen aus etwas größerer Distanz abgelichtet wurde.

Personifikation des österreichischen Grantscherbns: Franz Grillparzer auf der neu entdeckten Porträtaufnahme.
Foto: ÖNB

Die Fotografie, die auch beim Betrachter nicht unbedingt für gute Laune sorgt, war laut den Recherchen von Lorenz vermutlich ein Geschenk für Grillparzers Freund,Carl Ferdinand Peters, der ab 1864 Professor für Mineralogie und Geologie an der Universität Graz war. Unklar ist das genaue Aufnahmedatum. Ganz sicher stammt das Foto aus den 1860er-Jahren (Lorenz vermutet Frühling 1864), und es wurde vermutlich vor oder nach einem der regelmäßigen Kuraufenthalte Grillparzers in der Provinz gemacht.

Verhasste Kuraufenthalte

Solche Kuren dürften Grillparzers Laune noch zusätzlich eingetrübt haben. Das belegt nicht nur der Gesichtsausdruck am Foto, sondern ist auch durch Grillparzers Briefe von seinen sommerlichen Erholungsreisen dokumentiert. Zitate daraus, die Lorenz zusammengetragen hat, zeigen Grillparzer einmal mehr als notorischen Grantler und Übertreibungskünstler: Er werde sich die nächsten 29 Jahre mit Schaudern an diese Kurreise erinnern, schrieb der damals 73-Jährige beispielsweise 1864 anlässlich einer 29-tägigen Kur in Teplitz.

Er sollte sich dann freilich doch nur mehr acht Jahre lang erinnern müssen. (Klaus Taschwer, 8.6.2020)