Der Bundeskanzler plauderte im Februar Details zu den ersten Corona-Fällen in Tirol aus. Heute kann er sich nicht mehr erinnern, wie er davon erfahren hat.

Foto: APA/EXPA/Johann Groder

Innsbruck/Wien – Wann hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erstmals persönlich von den beiden ersten Corona-Fällen in Tirol erfahren? Das wollte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher im Zuge einer parlamentarischen Anfrage vom Regierungschef wissen. Kurz antwortete darauf: "Davon habe ich zeitnah erfahren. Ob dies über interne Informationswege oder über die breite mediale Berichterstattung geschah, kann ich nicht sagen." Das ist insofern bemerkenswert, als der Bundeskanzler gemäß STANDARD-Recherchen am 25. Februar, als die beiden Fälle publik wurden, schon lange vor der Öffentlichkeit informiert war.

Denn Kurz hat die Details zu den beiden Fällen selbst während eines London-Besuchs ungefragt vor Journalisten erzählt – DER STANDARD berichtete –, während in Tirol im Rahmen einer Pressekonferenz mit Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) noch behauptet wurde, man müsse erst die Informationen zu den infizierten Personen erheben. In Wahrheit, wie Kurz ausplauderte, war ihm längst bekannt, dass es sich bei einer Person um die Rezeptionistin des Innsbrucker Hotels Europa handelte und dass man das Hotel deshalb sperren werde. Er versah diese Information noch mit einer mündlichen Sperrfrist, "bis der APA-Bericht dazu erscheint".

Kurz hielt sich laut Tilg nicht an Kommunikationsstrategie

Die Infos sickerten dennoch durch. Und als Tilg vom STANDARD nach der Pressekonferenz damit konfrontiert wurde, ärgerte er sich sichtlich über die Redseligkeit des Kanzlers. Wozu man eine Kommunikationsstrategie vereinbare, wenn er sich nicht daran halte, entfuhr es dem Landesrat. Diese Indiskretion war letztlich der Grund dafür, dass die Unter-Quarantäne-Stellung des Hotels Europa von Medien live mitgefilmt werden konnte.

SPÖ-Mandatar Kucher zweifelt daher an der Darstellung des Kanzlers: "Völlig unglaubwürdig, dass sich Kurz jetzt plötzlich nicht mehr erinnert, wie er von den allerersten Corona-Fällen in Österreich erfahren hat. Denn offenbar war es er selbst, der Journalisten informierte, noch bevor die breite Öffentlichkeit Bescheid wusste."

SPÖ-Mandatar ist skeptisch, ob Kurz die Wahrheit sagt

Aus dem Bundeskanzleramt heißt es dazu auf Anfrage, dass der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage nichts hinzuzufügen sei und dass diese "auch in keinster Weise" der Darstellung im STANDARD-Artikel widerspreche. Für den roten Gesundheitssprecher bleiben allerdings Zweifel, und er hält fest: "Wenn sich herausstellt, dass Kurz bei der Beantwortung der Anfrage nicht die Wahrheit gesagt hat, muss das jedenfalls Konsequenzen haben."

Neben den ersten beiden Corona-Fällen befragte Kucher den Kanzler auch zu seinem Treffen mit der Tiroler Adlerrunde, das in ebendiesem Hotel Europa nur wenige Tage zuvor, am 18. Februar, stattgefunden hatte. Bei diesem Treffen, an dem auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) teilnahm, wurde laut Kurz "eine Vielzahl von Themen, welche sich neben den wirtschaftspolitischen Zielen der Bundesregierung auch mit aktuellen Entwicklungen auseinandersetzten", besprochen. Ob auch das Coronavirus zur Sprache kam, könne er nicht mehr sagen. Es sei jedenfalls "kein Schwerpunkt gewesen". Auch nicht beim Treffen mit Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP).

Zweifel an Themensetzung

Genauer erinnern kann sich der Bundeskanzler daran, dass "Spenden kein Thema der Diskussion" waren. Auch Unterstützungsleistungen im Zusammenhang mit der Wirtschaftskammerwahl seien nicht besprochen worden. SPÖ-Gesundheitssprecher Kucher kann sich nicht erklären, wieso das Virus damals laut Kurz' Anfragebeantwortung nicht zur Sprache kam: "Zu einer Zeit, wo das angrenzende Italien schon unzählige Erkrankte verzeichnet hat, soll er angeblich bei seinem Tirol-Besuch weder mit Landeshauptmann Platter noch mit Gesundheitslandesrat Tilg über Corona gesprochen haben. Entweder sagt Kurz nicht die Wahrheit, oder er hat die Situation in Tirol und Italien völlig unterschätzt." (Steffen Arora, 5.6.2020)