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Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Der dänische Dokumentarfilm "Blood in the Mobile" zeigte vor rund zehn Jahren am Beispiel des damaligen Handy-Weltmarktführers Nokia, wie undurchsichtig die Beschaffungskette von seltenen Rohstoffen für die Elektronik- und Batterieindustrie oft ist. Konfliktmaterialien sind seither ein Thema. Die von Unternehmen gerne bemühte Erklärung, man habe das umstrittene Mineral in einem "sauberen" Land gekauft, dürfte in Zukunft aber so leicht nicht mehr durchgehen. Das finnische Forschungsprojekt Battrace hat es sich zum Ziel gesetzt, mithilfe atomarer Fingerabdrücke die genaue Herkunft von Rohstoffkomponenten transparent zu machen.

"Blood in the Mobile" sorgte nicht nur in Finnland für Aufsehen.
Tidus Coop.

Auslöser für die in Finnland beheimatete Forschungsstudie war laut den Projektverantwortlichen vom Technischen Forschungszentrum VTT und dem Geologischen Forschungszentrum GTK der weltweite Boom bei Elektroautos. Fahrzeughersteller wollten durch nachhaltige, "grüne" Produktionsvorgänge Wettbewerbsvorteile erzielen.

Das ist laut Projektleiterin Päivi Kinnunen auch der Grund, warum sich die Forscher in Espoo vorerst auf die für Batterien und Akkus zentralen Materialien Kobalt, Nickel, Lithium und Grafit konzentrieren. "Wir hoffen, dass eines Tages auch die Herkunft aller anderen Metalle genau identifizierbar sein wird", so Kinnunen.

"Fingerabdruck"

Nach dreijähriger Forschungsarbeit will man eine praktisch umsetzbare Methode entwickelt haben. Durch Analyse mineralogischer Charakteristika, der Spurenelemente und unterschiedlicher Isotope will man die individuelle Struktur des jeweiligen Materials geochemisch identifizieren. Durch den erhaltenen "Fingerabdruck" hoffen die Forscher nicht nur die genaue Herkunft ermitteln zu können, sondern auch den Anteil recycelter Materialien.

Bisherige Ideen zur Rückverfolgung von Mineralien basierten – ähnlich wie bei Kryptowährungen – auf Blockchain-Technologie. Dieser Ansatz hat laut Quentin Dehaine, einem der wissenschaftlichen Köpfe des Projekts, jedoch mehrere Nachteile: Erstens gebe es keine Sicherheit, dass auch tatsächlich die korrekten Daten in das System eingegeben werden. Zweitens könne man nur Produkte, die unter Verwendung der Blockchains entstanden sind, überprüfen. Zudem benötige die Blockchain-Technologie bekanntlich extrem viel Rechenleistung und somit Strom, was wiederum nicht im Sinne des "grünen" Anspruchs ist, den sich die Forscher gestellt haben.

Millionenprojekt

Dehaine und seine Kollegen wollen dagegen mithilfe der mineralogischen und isotopischen Zusammensetzung von Rohstoffen eindeutige geochemische "Fingerabdrücke" erstellen, die – so die Hypothese – entlang der gesamten Verarbeitungskette vom Abbau bis zum fertigen Produkt identifizierbar bleiben sollten. Aus der metallurgischen Analyse von archäologischen Fundstücken weiß man, dass sich die isotopische Zusammensetzung eines Metalls trotz Rosten, Einschmelzen oder Legieren nicht verändert.

Dehaine ist deshalb optimistisch, dass die "Fingerabdrücke" aus verschiedensten Charakteristika in Zukunft eine Art Zertifizierung für Batterien, Akkus und elektronische Geräte ermöglichen. Die Arbeit sei "essenziell für das Gelingen der Batterie-Revolution, weg vom Erdöl", sagt Dehaine.

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Der Umweltgedanke ist vielfach ein Kaufargument für elektrisch betriebene Fahrzeuge. Immer mehr Kunden fordern, dass sich dieser grüne Gedanke auch in den Batterien widerspiegelt.
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Battrace ist mit insgesamt 5,8 Millionen Euro budgetiert. 2,7 Millionen entfallen dabei auf die reine Forschung. Die Finanzierung ist zum Teil staatlich, denn Finnland hat großes wirtschaftliches Interesse am Projekt: Das Land ist bei der Verarbeitung von Kobalt und Nickel in Europa führend. In den kommenden Jahren will man in Finnland auch mit der Produktion von Lithium und Grafit beginnen. Mineral verarbeitende Unternehmen finden sich daher ebenso unter den geldgebenden Projektpartnern wie Firmen aus der Fahrzeugindustrie.

Erste Erkenntnisse aus der Forschungsarbeit hofft Teamleiterin Kinnunen bereits kommendes Jahr präsentieren zu können. Das Ergebnis soll nach Abschluss des Projekts dann 2023 vorliegen und der wissenschaftliche Teil veröffentlicht werden. Die bis dahin entwickelten Anwendungsmethoden werden die jeweiligen Partnerunternehmen vermutlich allerdings für sich behalten.

Vorreiter Finnland

Aber warum gerade der Vorstoß Finnlands? Das Land hat einen speziellen Grund, sich bei der Sicherstellung "sauberer" Industrieprodukte noch mehr ins Zeug zu legen: Rund 70 Prozent des in Finnland verarbeiteten Kobalts kommen aus der ehemals belgischen Kolonie Demokratische Republik Kongo.

Die finnische Journalistin Hanna Nikkanen hat in ihrem 2010 erschienenen Buch "Viaton Imperiumi" (Das makellose Imperium) die Geschichte eines skrupellosen finnischen Abenteuers nachrecherchiert. Sie legte dar, wie sich die ethisch fragwürdigen Lieferwege von Kupfer und Kobalt aus dem Kongo nach Finnland bis in die heutige Zeit erhalten haben. Im Buch rückt sie dem Saubermann-Image Finnlands kräftig zu Leibe.

Seither ist das ökologische und soziale Verantwortungsbewusstsein in der Industrie gewachsen. Eine derart plumpe und intransparente Medienpolitik, wie sie Nokia seinerzeit in Blood in the Mobile an den Tag legte, ist heute in Finnland kaum noch denkbar. (Andreas Stangl, 7.6.2020)