Die Darstellung des Stephansdoms ist zwar nicht originalgetreu auf diesem in Pressburg gedruckten Plakat der Roten Armee – die Botschaft der Freiheit aber klar.
Foto: ÖNB

Auf Plakaten, die die Rote Armee am 15. April 1945 in Wien affichieren ließ, waren die rot-weiß-rote Flagge und die Worte "Wieder frei!" zu sehen. Die Botschaft, dass Österreich frei sei, die man im Ohr zu haben vermeint, wenn man das zehn Jahre später aufgenommene Bild von Außenminister Leopold Figl auf dem Balkon des Belvedere betrachtet, wurde also von den Besatzern ins Land gebracht, die die Sowjetarmee umgehend als "Befreierin Wiens" feiern ließen.

Damit war der Freiheitsbegriff in der neu entstehenden Zweiten Republik angekommen – und es ist spannend, zu sehen, wie er genutzt wurde. Der von der UdSSR unterstützten KPÖ hat er jedenfalls nichts genützt – weder die Kommunisten noch die von ihnen unterschätzte SPÖ glaubten, das Thema Freiheit im Wahlkampf 1945 einsetzen zu müssen. Denn ihre Vorstellung von Freiheit entsprach – durchaus im Einklang mit dem Geist der Zeit – einem kollektiven Begriff: Freiheit hatte man jahrzehntelang für Gruppen, Organisationen, Klassen, Staaten und Völker gefordert und (wie die Rote Armee in Ostösterreich) auch blutig erkämpft.

Von Ungleichheit gekennzeichnet

Einzelne Menschen – auch einzelne Wahlberechtigte – hatten da aber nie eine große Rolle gespielt. Es schien seit den Tagen der Französischen Revolution quasi ausgemacht, dass im Schlagwort "Liberté, Égalité, Fraternité" ja ohnehin das Beste für alle stecke. Dass hier ein kaum aufzulösendes Spannungsfeld herrscht, wurde spätestens klar, als die ersten Köpfe unter der Guillotine rollten: Wer nicht ins Schema der Égalité, also der Gleichheit, passte, dem gebührte eben auch nicht Brüderlichkeit und schon gar nicht die Freiheit.

In den von großer Ungleichheit gekennzeichneten Gesellschaften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurden dennoch Freiheit und Gleichheit zusammen erhoben – etwa in der Forderung nach einem freien, gleichen Wahlrecht: Stillschweigend wurde angenommen, dass der von Unterdrückung befreite Arbeiter seine Wahlfreiheit selbstverständlich entsprechend seinem Klassenbewusstsein einsetzen würde. Und die beste aller Parteien würde ja ohnehin wissen, was für die Arbeiterklasse das Beste sei. Weshalb die freie Wahl dann auch wieder nicht so wichtig wäre, wenn diese beste Partei einmal an der Macht wäre.

So jedenfalls lautete die große Erzählung sowohl sozialistischer als auch nationaler Parteien – was in den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts endete. Auch diese versprachen Freiheit – für das eigene (als bis dahin unfrei verstandene) Volk, für die Arbeiterklasse, gelegentlich auch einmal für die Elite der Tüchtigen und Kapitalkräftigen.

Demokratiefenster 1945

1945 eröffnete für Österreich (früher als für Westdeutschland) ein Fenster der Chancen: Unter dem Eindruck des Weltkriegs und dem Druck der sich (allen Widersprüchen zum Trotz) selbst als ziemlich egalitär verstehenden US-Gesellschaft entwickelten sich Demokratien in Freiheit.

Für die SPÖ und ihre Anhänger war der Freiheitsbegriff so sehr eine Selbstverständlichkeit geworden, dass sie ihn 1945 propagandistisch nicht zu brauchen glaubte. Sie hatte im Oktober 1933 – das Parlament war bereits ausgeschaltet, die Sozialdemokratie aber noch nicht verboten – "das Bekenntnis zu einem unabhängigen, freien, allen Großmächten gegenüber politisch zu neutralisierenden, mit unseren Nachbarstaaten wirtschaftlich eng zu verbindenden Oesterreich" in ihre Programmatik aufgenommen.

Die ÖVP erkannte die Chance und plakatierte 1945 "Freiheit, Arbeit, Recht, Sicherheit" und 1949: "Wirtschafttreibender wähle: Freiheit oder Zwang". Dahinter stand nicht nur die Ablehnung der damals präsenten kommunistischen Gefahr, sondern auch ein christlich-sozial geprägtes Menschenbild, das Bürgern Freiheit in ihren Entscheidungen zur persönlichen und wirtschaftlichen Entwicklung zugestehen will.

Die FPÖ, die sich erst 1955/56 aus dem Verband der Unabhängigen heraus entwickelte, knüpfte ideologisch sowohl beim völkischen Freiheitsbegriff des 19. Jahrhunderts als auch beim bürgerlichen Wirtschaftsliberalismus an. In der Praxis bedeutete "freiheitlich" aber zunächst: frei vom damals etablierten ÖVP-SPÖ-Proporz. (Conrad Seidl, 12.6.2020)