Auch knapp zwei Wochen nach der Tötung von George Floyd kommt es landesweit zu Protesten gegen rassistische Polizeigewalt.

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"Es gibt Schutzbarrieren, die keine Berechtigung haben", sagt Corrine Irish über ein System, das seine "schützende Hand über die schwarzen Schafe" bei den Einsatzkräften halte.

Foto: Civilian Complaint Review Board of New York

Die Rechtsanwältin Corrine Irish arbeitet bei der New Yorker Kanzlei Squire Patton Boggs. Zudem gehört sie dem Civilian Complaint Review Board an, einer unabhängigen Kommission, bei der die Bürger New Yorks Beschwerde einreichen können, wenn sie das Gefühl haben, von Polizisten aggressiv oder diskriminierend behandelt worden zu sein. Nachdem der Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown 2014 in Ferguson heftige Proteste ausgelöst hatte, vertrat Irish pro bono vier Journalisten, die von der Polizei festgenommen wurden, als sie über die Unruhen berichteten. STANDARD-Korrespondent Frank Herrmann war einer von ihnen. Er hat Irish am Telefon interviewt.

STANDARD: Nach den Erfahrungen von Ferguson hatten Optimisten geglaubt, dass die Polizei daraus lernen würde. Tatsächlich scheint das Gegenteil der Fall zu sein …

Irish: Die Polizeikräfte werden vielerorts sehr durch das Gesetz geschützt. In New York zum Beispiel muss schon viel zusammenkommen, bevor ein Polizist nicht länger Polizist sein darf. Was in Minneapolis geschah, wo die vier Beteiligten nach dem Tod George Floyds umgehend entlassen wurden, wäre in New York so schnell wohl gar nicht möglich gewesen.

STANDARD: Warum nicht?

Irish: Denken Sie an Eric Garner, den Afroamerikaner, der auf Staten Island im Würgegriff des Polizisten Daniel Pantaleo starb. Es dauerte fünf Jahre, bis das Arbeitsverhältnis mit Pantaleo beendet wurde. Die Kommission, der ich angehöre, hat dafür gekämpft. Die Gewerkschaft der Polizei schützt nun mal jeden in ihren Reihen, egal ob es sich um gute oder schlechte Polizisten handelt. Und das macht es so schwer, die schlechten in die Schranken zu weisen. Es dauert meist ziemlich lange, bis man etwas erreicht.

STANDARD: Geht es also um ein paar schwarze Schafe, die die gesamte Truppe in Verruf bringen?

Irish: Das Problem ist ein systemisches. Wir müssen etwas ändern an einem System, das seine schützende Hand über die schwarzen Schafe hält, das letztlich duldet, was sie tun, nach dem Motto, dass es schon irgendwie okay ist. Es gibt Schutzbarrieren, die keine Berechtigung haben. Außerdem müssen wir uns Police Department für Police Department anschauen, gegen wen Beamte Gewalt anwenden. Wenn es überproportional Schwarze und Latinos sind, dann muss sich etwas ändern. Wäre nicht struktureller Rassismus im Spiel, würden Schwarze und Latinos nicht so oft ins Visier genommen. Eine andere Erklärung gibt es für mich nicht.

STANDARD: Sehen Sie bei alledem auch Hoffnungszeichen?

Irish: Positiv hat sich immerhin ausgewirkt, dass mittlerweile in großem Stil Bodycams im Einsatz sind (Kameras, die an der Uniform befestigt sind und alles aufzeichnen, Anm.). Vorher konnte ein Officer leicht alles abstreiten und behaupten, er habe hart vorgehen müssen, weil sich der Delinquent gewehrt habe. Die vier Polizisten im Falle Floyds würden das womöglich heute noch sagen, wenn es nicht diese eindeutigen Aufnahmen von Handykameras gäbe. Bodycams schützen im Übrigen auch die Beamten, die im Falle falscher Anschuldigungen den Gegenbeweis erbringen können. Auch das hat unsere Kommission schon häufig erlebt.

STANDARD: Als Problem wird immer wieder beschrieben, dass Afroamerikaner und Latinos in der Polizei nicht so vertreten sind, wie es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspräche. Wie kann man das lösen? Durch eine Quote?

Irish: Es muss damit beginnen, dass sich Menschen mit schwarzer und brauner Haut physisch sicher fühlen, wenn sie es mit der Polizei zu tun bekommen. Das Verhältnis muss besser werden, das ist das Entscheidende. Selbst wenn Sie eine Quote einführen, wird das Misstrauen ja nicht automatisch verschwinden. Erst muss Vertrauen wachsen. Das würde es der Polizei auch erleichtern, mehr Schwarze und Latinos als bisher zu rekrutieren.

STANDARD: Wie soll Vertrauen wachsen, wenn ständig neue Übergriffe von Polizisten bekannt werden?

Irish: Zugegeben, es wird nicht leicht. Aber jetzt erleben wir einen Moment, in dem nicht einmal Polizisten bestreiten, dass völlig inakzeptabel ist, was George Floyd widerfuhr. Diese Chance gilt es zu nutzen. Wenn Polizeichefs im ganzen Land sagen, so etwas wie in Minneapolis darf sich bei uns auf keinen Fall wiederholen, sind sie vielleicht offen für den Wandel.

STANDARD: In Ferguson haben Polizisten offensichtlich nicht verstanden, warum Reporter vor Ort waren, um zu berichten. In den vergangenen Tagen wurden aus den USA rund 250 Fälle gemeldet, in denen Journalisten von Polizisten geschlagen oder mit Gummigeschoßen, Tränengasgranaten, Pfefferspray attackiert wurden. Es ist doch eher noch schlimmer geworden. Liegt das an Donald Trump, der Teile der Medien zu Feinden des Volkes erklärt?

Irish: Seine Rhetorik kennt keine Rücksicht, hilfreich ist sie ganz bestimmt nicht. In dem Maße, wie er Leute beeinflusst, die auf ihn hören, hat das sicher eine Rolle gespielt. Letztlich haben es die einzelnen Bundesstaaten aber in ihrer Hand. Die Staaten haben durchzusetzen, dass Medienvertreter auch in solchen Situationen respektiert werden. (Frank Herrmann, 7.6.2020)