Betreuungszeit oder Kurzarbeit? Was anderen Firmen hilft, passt im Sozialbereich sehr schlecht zusammen.

APA

Praktisch zeitgleich mit dem Ausbruch der Corona-Krise waren für unser Sozialunternehmen atempo zwei Dinge sonnenklar: Massive Umsatzeinbrüche bedrohen uns existenziell. Und: Unsere Produkte und Dienstleistungen werden mehr gebraucht denn je. Menschen in Führungspositionen greifen in Krisen gerne auf Entscheidungsmuster zurück, mit denen sie gute Erfahrungen gemacht haben. Nicht überraschend, dass das Modell der Kurzarbeit ganz schnell als die Lösung am Tisch war. Hat ja schon einmal gut funktioniert. Weniger Frauen und Männer verlieren ihren Arbeitsplatz, ihr Netto-Lohnverlust ist beschränkt, Unternehmen halten Mitarbeiterinnen mit wertvollen Kompetenzen im Betrieb, und für den Staat ist Kurzarbeit weniger teuer als Arbeitslosigkeit. So weit, so konventionell und theoriekonform.

In der Praxis stehen wir als Social Entrepreneurs vor ganz anderen Herausforderungen: In einem unserer Unternehmensbereiche bilden wir Menschen mit Lernschwierigkeiten und Behinderung aus und schaffen bezahlte Arbeit am ersten Arbeitsmarkt. Erfreulich schnell signalisierten Land Steiermark und Bund finanzielle Sicherstellung. Diese monetäre Absicherung bot uns die Chance zur offensiven Reaktion: Zahlreiche Module unserer Ausbildung werden seither online vermittelt, zusätzliche Bildungsangebote wie virtuelle Exkursionen, Online-Diskussionen und vieles mehr bieten Struktur. Zoom, Teams und Co ersetzen zwar den direkten Kontakt nicht ganz, ließen unsere Trainerinnen aber täglichen Kontakt zu unseren Trainees halten.

Alles gut also? Medienbeiträge zeigten kürzlich drastisch, welche Probleme entstehen, wenn derlei Rahmenbedingungen fehlen. Man berichtete von Tagesbetreuern in Kurzarbeit und zeigte in beklemmenden Bildern Menschen mit Behinderung, die nun Tag für Tag daheim bei ihrer Familie oder in Wohnbetreuung ‚beurlaubt‘ sind. Unisono klagten sie über massiven ‚Boreout‘ und Vereinsamungssymptome. Inklusion und berufliche Eingliederung waren im Shutdown. Pflege lässt sich nicht ver-, Bildung nur beschränkt aufschieben, Integration nicht auf Eis legen. Menschen mit Behinderung, die ihr Leben mit persönlicher Assistenz meistern, wollen sich nicht einmotten lassen. Sie fürchten zurecht, bei Corona-bedingtem Ausfall ihrer derzeitigen Assistenzpersonen buchstäblich ‚hilflos‘ alleingelassen zu werden.

Sozialunternehmen verhindern Brandkatastrophen

Sozialunternehmen reagieren in solchen Situationen reflexartig lösungsorientiert– sie unternehmen, was andere unterlassen. Im konkreten Fall programmierten unsere Software-Entwickler in Nachtschicht-Arbeit einen digitalen Assistenz-Notfall-Service für Corona-Zeiten. Auch die Online-Marketing-Abteilung ging nicht in Kurzarbeit, sondern erhöhte die Schlagzahl. Binnen weniger Tage hatten sich über 1100 Frauen und Männer als Helferinnen und Helfer für den Notfall gemeldet und stehen seitdem zur Verfügung. Sozialunternehmen bauen soziale Resilienz auf, sorgen für Inklusion und verhindern damit Brandkatastrophen. Wir haben freilich gelernt, dass Brandverhinderung weniger gewürdigt wird als heroisches Löschen. Aktuell helfen die Notfallinstrumente des Staates den Sozialunternehmen wenig. Zuschüsse für Kurzarbeit sind nicht das Mittel der Wahl, wenn man mehr Arbeit braucht. Voll statt kurz arbeiten kann auch aus anderen Gründen viel Sinn machen. In einem anderen Unternehmensbereich formen wir unter der Marke capito komplizierte Texte zu leicht verständlichen Informationen um. Jetzt etwa dazu, dass wirklich all jene die Corona-Informationen und Notfall-Regeln verstehen, die diese befolgen sollen. Viele unserer Auftraggeber vertrösten uns aber derzeit, und wir verlieren Umsatzerlöse.

Textvereinfachung ist personalintensiv und teuer, weshalb wir intensiv an der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten, um zu verringerten Kosten viel mehr Texte als bisher zu vereinfachen. Dabei verfügen wir international über einen klaren Entwicklungsvorsprung. Das KI-Projekt könnte gut in Homeoffice-Arbeit erfolgen, wenn uns der Staat nicht bloß mit Kurzarbeitsförderung unterstützte – also dafür ‚belohnen‘ bzw. entschädigen würde, unser Forschungspersonal bis zu neun Zehnteln seiner Normalarbeitszeit in die Pause zu schicken, statt dafür, diesen Wettbewerbsvorteil zu verteidigen oder auszubauen.

Lohnkostenzuschuss fürs Weiterarbeiten

Staatliche Beihilfe für Kurzarbeit ist überall dort hilfreich, wo eine Dienstleistung aktuell nicht nachgefragt wird, weil sie auch nicht gebraucht wird. Aber stellen wir uns doch einmal vor, der Staat käme auf die Idee, dieselbe – oder wenigstens annähernd dieselbe – Summe Geldes als Lohnkostenzuschuss fürs Weiterarbeiten überall dort zur Verfügung zu stellen, wo die Arbeit weiterhin gebraucht wird, wo dies die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Betriebe unterstützt oder wo es darum geht, soziale Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, um einen gesellschaftlichen und finanziellen Flächenbrand zu vermeiden.

Die Bereiche ‚wissenschaftliche Dienstleistung‘ und ‚Gesundheits- und Sozialwesen‘ liegen in der Kurzarbeitsstatistik mit rund 130.000 in Kurzarbeit geschickten Personen auf den Rängen fünf und sechs von 21 Branchen. Man stelle sich vor, welchen Nutzen für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und den Forschungsstandort Österreich dieses Heer an Fachkräften bringen könnte – anstatt seine Zeit unterbeschäftigt in Kurzarbeit zu vergeuden. ‚Die Krise als Chance‘ nutzen klingt für viele schon reichlich abgeschmackt. Selten aber hätte das Motto mehr Gültigkeit. (Klaus Candussi, Walburga Fröhlich 6. 6. 2020)