Was ist Freiheit? Sebastian Gruber, Redakteur bei "Andererseits", einer Initiative für Inklusion im Journalismus, gibt im Gastkommentar anlässlich der STANDARD-Schwerpunktausgabe Freiheit Antworten. In einem weiteren Gastkommentar widmet sich der Jenaer Philosophieprofessor Klaus Vieweg den Fehldeutungen von Freiheit. Der Sprachphilosoph und Politikwissenschafter Paul Sailer-Wlasits ruft Risiken, Grenzen und Umcodierungen von Freiheit in Erinnerung.

Ich habe mit meinem fünften Lebensjahr begonnen am Rollator zu gehen, das war das beste Gefühl in meinem Leben und der Beginn zur Freiheit.

Freiheit heißt für mich auch, Gehalt zu verdienen und es selbst zu verwalten und eine Wohnung selbst zu finanzieren. Freiheit ist auch, ein eigenes Auto zu besitzen und einen Führerschein.

Mein Arbeitsleben begann vor elf Jahren, als ich Bewerbungen schrieb, um meine Lehre zu verlängern. Bei fünf Unternehmen war ich sogar beim Schnuppertag – unter anderem bei der Stadt Wien. Ich war bis zu Mittag dort, wobei ich den ganzen Tag wollte. Aber als sie zu Mittag sagten, du kannst gehen, weil es keine Arbeit mehr gibt, bin ich gegangen. Am nächsten Tag kam der Anruf, dass ich nicht genommen werde, weil ich ja kein Interesse gehabt hätte und zu Mittag gegangen bin. Das ist eine allgemeine Frechheit.

Geregelter Alltag

Später war ich beim AMS und habe gleichzeitig 350 Bewerbungen geschrieben für eine integrative Lehre. Fünf kamen zurück, wobei vier ohne integrative Lehre waren und die einzige, die gepasst hat, war bei der Allianz-Versicherung. Nach fünf Schnuppertagen waren sie von mir so begeistert, dass sie mich behalten wollten. Mittlerweile bin ich knapp zehn Jahre dort.

Sebastian Gruber, "Andererseits"-Redakteur.
Foto: Andererseits / Stefan Fürtbauer

Für Menschen mit Behinderung ist es etwas ganz Besonderes, ein fixer Bestandteil der Arbeitswelt zu sein – wahrscheinlich besonderer als für Menschen ohne Behinderung, weil das ein Gefühl von Freiheit und Selbstständigkeit im Leben ist. Davor war ich in einer Welt gefangen, wo das nicht so war. Wenn man eine Arbeit hat, dann hat man einen geregelten Alltag. Das ist wichtig, weil man sonst nicht weiß, was man mit dem Leben anfangen soll. Man fällt in eine Art Trance, wo man nicht mehr leicht rauskommt. So habe ich mich gefühlt. Auch wenn sich wahrscheinlich jeder Mensch ohne Arbeit so fühlt, aber für Menschen mit Behinderung ist es noch schwerer, eine Arbeit zu finden, die man sein Leben lang hat. Ohne Arbeit habe ich mich sehr gelangweilt, man braucht etwas Geregeltes, auch um neue soziale Kontakte zu knüpfen. Neue Kontakte und Freunde bedeuten auch Freiheit.

Chance bekommen

Ich finde die Arbeitssituation in Österreich brutal. Meiner Meinung nach gehört jeder gefördert, weil alle gleich sind und alle eine Chance bekommen sollen. Alle Firmen, die einen Behinderten ablehnen, zahlen einfach nur eine Strafe zwischen 267 und 398 Euro pro Monat. Als Unternehmen muss man erst ab einer Anzahl von 25 Mitarbeitern einen Behinderten einstellen, wobei das viel zu wenig ist. Das gehört geändert, und alle sollten eine Chance bekommen, und das wäre wieder ein Grund für Freiheit.

Freiheit ist auch, in seiner eigenen Wohnung zu leben. Meine erste Wohnung war daher auch der erste Schritt zur Selbstständigkeit. Mir ist sie auch wichtig, weil ich Ruhe und Abstand brauche, um aus dem Alltag ein wenig rauszukommen und abzuschalten.

Wie ich ausgezogen bin vor knapp fünf Jahren, habe ich zwei Jahre vorher der Mama meinen Auszug vorgeschlagen. Ich habe mich schon wohlgefühlt daheim, aber ich wusste, dass ich ausziehen und selbstständiger werden muss. Ich wollte ein Reich für mich haben und vor allem auch mein Leben selbst verwalten. Das ist Freiheit. (Sebastian Gruber, 7.6.2020)