Und wieder war der Zustrom größer, als erwartet. Etwa eine Stunde nach Beginn der Black-Lives-Matter-Demo am Freitag vor der US-Botschaft in Wien musste die Polizei die Währinger Straße sperren und die Menschenmenge Richtung Votivpark ziehen lassen. "Black Lives Matter" skandierten auch an diesem Tag tausende Menschen, die gegen Rassismus und Polizeigewalt anschrien.
Schon nach der Anti-Rassismus-Demonstration in Wien, bei der am Donnerstagabend statt der erwarteten 3.000 insgesamt 50.000 Menschen auf die Straße gingen, wurde allerorts positive Bilanz gezogen: Überraschend viele Teilnehmer, zurückhaltender Polizeieinsatz, bemerkenswert friedlicher Verlauf, hieß es. Außer bei der FPÖ. Der blaue Stadtrat Maximilian Krauss sieht durch Kundgebungen, die durch Einkaufsstraßen ziehen, die Wirtschaft bedroht. Er forderte deshalb einmal mehr Demoverbotszonen. Zum eigentlichen Sinn der Demo, nämlich Solidarität für die wegen des gewaltsamen Todes des Afroamerikaners George Floyd in den USA protestierende Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM) zu zeigen, fiel Krauss nichts ein.
Rechtsextreme versuchten, Demo zu stören
50.000 waren es tags darauf wohl nicht, doch die Polizei spricht im Nachhinein zumindest von 8.000 bis 9.000. Die neu gegründete Gruppierung BLM Vienna hatte via Facebook zu einer Kundgebung aufgerufen. Die Polizei setzte abermals auf Deeskalation – auch wenn sie deutlich präsenter war, als noch am Vortag. Dass Rechtsextreme vom Dach eines Wohnhauses ein provozierendes Plakat ausrollten, heizte die Stimmung zusätzlich an. Nach nur wenigen Minuten jedoch griffen aus mehreren Fenstern Personen nach dem Stoffstück und rissen es vom Dach. Beifall unter den Demonstranten und ein Handgemenge zwischen Rechten und Linken waren die Folge. Dabei wurde laut Polizei eine Person leicht verletzt. Man habe das Plakat mitgenommen, heißt es von der Exekutive, um es "fachgerecht zu entsorgen". Am Rande der Versammlung wurden Polizeikräfte mit Flaschen beworfen. Zu weiteren Zwischenfällen sei es nicht gekommen.
Dennoch war die Ausgangssituation eine andere als bei der Großdemo vom Vortag. Für diplomatische Vertretungen ausländischer Staaten gelten erhöhte Sicherheitsbestimmungen, die Botschaft der USA in der Boltzmanngasse gehört überhaupt zu den am schärfsten bewachten Gebäuden Österreichs. Das Sicherheitspersonal im Inneren stellt die CIA, der Auslandsgeheimdienst der USA.
Polizist gegen Aktivisten
Vor der Botschaft soll es vor wenigen Tagen zu einem Zwischenfall gekommen sein, als ein schwarzer Aktivist mit Kreide "Y WE KNEEL" als Reaktion auf den gewaltsamen Tod von George Floyd malen wollte. Ein Polizeibeamter habe ihn daraufhin bedrängt, "mehrmals gefragt, ob er überhaupt gemeldet sei, und zur Krönung ohne Schutzmaske und Sicherheitsabstand die Gesundheit des Aktivisten gefährdet", heißt es in einer Stellungnahme von BLM Vienna auf Facebook. Eine zunächst klein gehaltene Protestaktion habe dann so viel Zulauf erhalten, dass man eine Kundgebung angemeldet habe.
Kreide zog sich daher auch durch die Demo am Freitag. Ordner verteilten Kreide und Desinfektionsmittel, "No justice, no peace" und "BLM" stand in leuchtenden Farben auf dem nassen Asphalt, bevor die Masse darüberstapfte – zumindest bemüht, Abstand zu halten, was nicht allerorts gelang.
Van der Bellen twitterte
Zuvor hatte sich am Donnerstag schon Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf Twitter zu Wort gemeldet: Friedliche Proteste "gegen strukturellen Rassismus und unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte" seien verständlich und gerechtfertigt. "Ausschreitungen und Plünderungen", wie es sie in den USA bei eskalierten Kundgebungen gab, allerdings nicht. Van der Bellen rief auf, weltweit gegen Rassismus und Diskriminierung aufzutreten sowie "Grund- und Freiheitsrechte zu verteidigen". "Hören wir rassistisch diskriminierten Menschen zu", appellierte der Bundespräsident.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) wiederum forderte besseren Pandemieschutz bei Demos. Auch wenn er froh sei, "dass so viele Menschen gegen Rassismus aktiv werden und ihren Beitrag leisten für eine gerechte und faire Gesellschaft", wie er in einer Aussendung schrieb.
Neue Kontrollbehörde liegt auf Eis
Im Vorjahr hatte es bei Klimaschutzkundgebungen in Österreich mehrere auf Video dokumentierte Fälle von übertriebener Polizeigewalt und sogar Gefährdung von Teilnehmern gegeben. Im Regierungsübereinkommen haben ÖVP und Grüne deshalb die Schaffung einer neuen Behörde festgeschrieben, die Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamte aufklären soll. Diese multiprofessionell zusammengesetzte Behörde soll sogar mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet werden. Wegen der Corona-Krise liegt das Vorhaben allerdings derzeit auf Eis. (Gabriele Scherndl, Michael Simoner, 5.6.2020)